© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Verlage: Zu den Vorgängen in der Chefetage des Springer-Konzerns
Liebe, Geld und Phantasie
Andreas Wild

Bei der Hamburger Woche herrschte Verwirrung. Ein Artikel über die jüngste Aufsichtsratssitzung bei Springer war druckfertig, mit der dicken Schlagzeile "Larry hat es geschafft". Darin wurde berichtet, daß der Springer-Vize Claus Larras ("Larry") definitiv als Nachfolger des im nächsten Jahr ausscheidenden Vorstandschefs Gustav ("Gus") Fischer benannt sei. Doch plötzlich, der Andrucktermin war längst überschritten, hieß es: "Kommando zurück! Fischers Vertrag wird verlängert! Sein Nachfolger im Jahre 2001 heißt Mathias Döpfner! Larry ist out!" Was war geschehen?

Nun, geschehen war, daß sich die Mehrheitseigentümerin Friede Springer inzwischen unsterblich in Mathias Döpfner (36), zur Zeit noch Chefredakteur der Springerzeitung Die Welt, verliebt hatte. Sie sieht in ihm eine Art verjüngte Wiedergeburt ihres verstorbenen Mannes Axel Springer und will ihn unbedingt so schnell wie möglich zum neuen Herrn des Konzerns ernannt sehen. Döpfner, so kalkulierte sie, solle zunächst den Posten von Larras als Chef der Zeitungen im Vorstand übernehmen, um anschließend nahtlos die Nachfolge von Fischer antreten zu können.

Die Feinde, die sich Larras in Vorstand und Aufsichtsrat gemacht hat, frohlockten. Besonders die Leute von Leo Kirch, der vierzig Prozent der Anteile bei Springer hält und mit Larras noch so manche Rechnung zu begleichen hat, schlugen sofort zu. Im Verein mit Friede Springer funktionierten sie die Aufsichtsratssitzung, die Larras ernennen sollte, kurzerhand um, verlängerten – entgegen der Absprache vom Vortag – Fischers Vertrag und kürten Döpfner zum Vorstandsmitglied, zunächst "ohne Geschäftsbereich".

Für Claus Larras brach eine Welt zusammen. Sorgfältig hatte er die Medien bis dahin auf seine "unmittelbar bevorstehende" Machtübernahme eingestimmt, hatte besonders den Spiegel und andere Hamburger Zeitschriften in den letzten Monaten immer wieder zu einschlägigen Berichten inspiriert – und nun das! Der Mann steht buchstäblich über Nacht ohne Hose da. Er ist bis auf die Knochen blamiert und wird nicht bei Springer bleiben können.

Dabei ist keineswegs klar, ob der neue Shooting-Star Döpfner den Laden wird schmeißen können. Er macht zwar äußerlich eine gute Figur und ist familiär mit höchsten Bankenkreisen verbunden, hat aber in seiner bisherigen Karriere als Chefredakteur bei der Wochenpost, bei der Hamburger Morgenpost und bei der Welt nur hohe bis höchste Verluste eingefahren. Das Defizit bei der Welt steigerte sich unter seiner Ägide auf rund 100 Millionen Mark. Als Publizist ist Döpfner ausgesprochen blaß, steht seit Jahren im Schatten seines "väterlichen Freundes" Thomas Schmid (53), der mittlerweile auch bei der Welt das große Wort führt.

Das Verschwinden von Larras wird für das Haus Springer einen weiteren Schritt weg von seinen Ursprüngen, hin zum global playing bedeuten. Larras hatte Rückhalt in den Resten des alten Hamburger Springer-Managements, war riskanten internationalen Finanzoperationen stets abgeneigt. Als seinerzeit der Vorstandsvorsitzende Gus Fischer, ein in London residierender Ziehsohn von Rupert Murdoch und begeisterter global player, die mürbe englische "Daily Mirror"-Gruppe aufkaufen wollte, legte sich Larras entschieden quer und verhinderte den Deal. Er ließ das damals im Spiegel als großen Sieg feiern, es war jedoch bereits der Anfang von seinem Ende.

Denn die Zeichen bei Springer stehen unübersehbar auf Internationalisierung und "Murdochisierung". Analysten weisen darauf hin, daß Murdochs Einstieg in Leo Kirchs Pay-TV für den angelsäsischen Tycoon nur strategischen Sinn mache, wenn damit eine Verabredung über seine künftige Beteiligung auch bei Springer verbunden sei. Kirch/Springer solle das Sprungbrett für die langersehnte "Eroberung Mitteleuropas" durch Murdoch abgeben. "Provinzielle" Manager wie Larras mit ihrem "Hausmeister-Image" störten da bloß.

Jetzt heißt es, Larras werde zu Bertelsmann wechseln. Dort würde er dem ehemaligen Springer-Vorstandsvorsitzenden Richter begegnen, der vor zwei Jahren, durch tätige Mithilfe von Larras, ebenfalls seinen Posten überraschend verlor und vorzeitig gehen mußte. Das Haus Springer bleibt seinem Branchenruf treu, ein "Tollhaus" zu sein, das die Vorstände wie Hemden wechselt und dabei immer mehr von seiner corporate identity einbüßt.

Seit dem Tode Axel Springers im Jahre 1985 wurden elf Vorstände verbraucht, und mit jeder Vorstands-Umgruppierung ging ein Stück corporate identity den Bach hinunter. Von der einstigen patriotischen Orientierung Springers und seiner Blätter ist schon heute so gut wie nichts übriggeblieben. Es ist aber auch nicht gelungen, dem Haus eine andere "Idee" einzupflanzen, die zur Phantasie anregte, vom Markt registriert und neue Leserschichten ertschließen würde. Sowohl das politische als auch das intellektuelle Profil wird in allen Objekten niedrig gehalten.

Ob die Affäre um Larras weitere personalpolitische Konsequenzen haben wird, bleibt abzuwarten. Peter Boenisch, Larras-Förderer und neues Mitglied im Springer-Aufsichtsrat, hat sich bei dem Coup gegen Larras nicht für seinen alten Freund eingesetzt, sondern stand von vornherein an der Seite vor Kirsch und Friede Springer. Larras-Spezi Kai Dieckmann, Chefredakteur der Welt am Sonntag, der sich Hoffnungen auf die Übernahme der Bild-Zeitung machte, wird seine Ambitionen möglicherweise zurückstutzen müssen. Der neue Held bei Springer heißt eindeutig Mathias Döpfner, Hauptakteur in einem Stück, das man – in Erinnerung an einen alten Filmtitel – "Liebe, Geld und Phantasie" nennen könnte.


 
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