© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Die spinnen, die Amis
von Silke Lührmann

Wer hat nicht die ersten Brocken Latein aus den Asterix-Heften gelernt, von denen in Deutschland inzwischen dreißig erschienen sind? "Alea iacta est!* (*Die Würfel sind gefallen!)" entschlüsselte der Text jedesmal akribisch und lehrte so auch gleich noch den Umgang mit Fußnoten. Als eingefleischter Asterix-Leser winkte man natürlich überlegen-ungeduldig ab: Weiß ich doch längst – mich interessiert viel mehr, wieviele Wildschweine Obelix wohl diesmal verputzen kann! Und auch daß Paris früher Lutetia hieß, gehört zur Allgemeinbildung.

Um so stutziger wurde man dann bei der Krönung der gymnasialen Lateinlaufbahn, der mühseligen und mit häufigen Griffen nach dem Wörterbuch verbundenen Lektüre von Caesars literarischem Meisterwerk "De Bello Gallico", schon auf der ersten Seite: "Gallia est omnis divisa in partes tres ..." Ganz Gallien? Moment mal, da stimmt doch was nicht! War da nicht noch ein kleines Dorf, das so richtig zu keinem dieser drei Teile gehört, eben ganz eigenständig ist, seine eigene Kultur und Traditionen hat und genau deswegen – wegen des geheimen Zaubertranks von Miraculix nämlich – auch im Jahre 50 v. Chr., nach Beendigung des gallischen Krieges, noch nicht in die Hände der spinnerten Römer gefallen ist? Hat Caesar das etwa vergessen oder gar geschichtsklitternd unterschlagen?

In diesem Jahr nun feierten Asterix und sein treudoof-treuer Freund Obelix (und natürlich dessen Hündchen Idefix, der Druide Miraculix, der Häuptling Majestix, seine Perle Gutemine, der Barde Troubadix, der Greis Methusalix und all die anderen liebenswerten Gallier, furchtlosen Normannen, lischpelnden Schweizer und teetrinkenden Briten) ihren vierzigsten Geburtstag – auch wenn es sie eigentlich schon viel länger gibt: seit jenem geschichtsträchtigen Jahr 50 v. Chr.

Hinkelsteine sind inzwischen ausgestorben, die verbleibenden Wildschweine vom Staat unter Naturschutz gestellt. Die Römer haben sich klammheimlich aus der Weltgeschichte verabschiedet. Auch das Rezept für den Zaubertrank ist längst nicht mehr geheim: Er wird in den Fabriken des fernen Lutetia massenproduziert, nicht selten von Neugalliern – oder solchen, die es erst noch werden wollen oder auch nicht, je nachdem – aus ehemaligen Kolonien in Afrika. Allerdings hat er sich in den Supermärkten landesweit als Ladenhüter erwiesen, denn auch die Gallier trinken heute lieber Coca Cola, jenen stärkeren Zaubertrank, der einen ganz anderen Stamm zur einzigen Weltmacht gedeihen ließ. Miraculix hat aus dem Verkauf der Produktionslizenz immerhin soviel Profit geschlagen, daß er sich aufs Altenteil zurückziehen konnte. Seine Tage verbringt er jetzt meistens bei McDonald’s, wo Obelix als Chefkoch waltet und der schlaue Asterix die Bücher führt. Obelix findet zwar manchmal immer noch, daß frische Wildschweine eigentlich viel besser schmeckten als Hamburger aus der Mikrowelle, aber die Zeiten haben sich halt geändert.

"The dice is cast" *, könnte man sagen. (*Alea iacta est!) Aber sind sie das wirklich? Wird das nächste, für 2001 angekündigte Album tatsächlich "Asterix, der Globalisierungsverlierer" heißen müssen? Das kleine Dorf ist im Laufe seiner symbolischen Existenz schon von vielen verschiedenen Besatzern mit der Vereinnahmung bedroht worden. Ins Leben gerufen wurden Asterix und Obelix 1959 auf Betreiben von François Clauteaux, seines Zeichens Herausgeber der Jugendzeitschrift Pilote, um der schon damals als aktuelle Gefahr empfundenen kulturellen Hegemonie der USA entgegenzuwirken. Donald Duck und der Mickymaus wollte man spezifisch französische Comic-Figuren entgegensetzen.

Pate stand den Asterix-Erfindern Albert Uderzo und René Goscinny die historische Figur des Avernerführers und französischen Nationalhelden Vercingetorix, der im Jahre 52 v. Chr. den gesamtgallischen Aufstand gegen Caesar anführte und die Römer zunächst in der Schlacht von Gergovia arg in die Bredouille brachte, dann aber in Alesia eingekesselt und zur Kapitulation gezwungen wurde.Vercingetorix selbst wurde im Triumphzug nach Rom verbracht und dort 46 v. Chr. nach sechsjähriger Gefangenschaft hingerichtet. (Ihm zu Ehren ließ dann Napoleon III. im 19. Jahrhundert am Ort seiner vernichtenden Niederlage ein Heldendenkmal errichten, das frappierende Ähnlichkeiten mit seinen eigenen Gesichtszügen aufweist und die wahre Abstammung aller Franzosen von den Galliern – nicht den germanischen Franken – betonen sollte.)

Während viele Franzosen in Asterix und Obelix sicherlich auch die Résistance gegen die Deutschen verkörpert sahen, hießen sie hierzulande zunächst "Siggi und Barrabas" und wohnten in einem Dorf namens Bonnhalla. Dessen Besatzer sprachen mit angelsächsischen und russischen Akzenten und spannen dabei genauso wie dereinst die Römer. In der letzten von insgesamt sieben Verfilmungen spielte Gerard Depardieu die Hauptrolle, der vor allem mit Green Card zu Hollywoods Inbegriff des temperamentvollen, aber letztendlich doch bezähmbaren Franzosen wurde.

Dieser Tage nun schwingt sich erneut ein kauziger Gallier mit feschem Schnauzbart zum Märtyrer für die nationale Selbstbestimmung auf – und als strategisches Handbuch mag ihm durchaus ein Asterix-Heft gedient haben, so skurril und unkonventionell sind seine Methoden und seine Angriffsziele: José Bové und seine Mannen haben der internationalen Nivellierung des Geschmacks den Krieg erklärt. Statt globalem Einheitsburger wollen sie kulinarische Vielfalt, Spezialitäten der Region und der Saison. Aus Protest gegen die sogenannte cocacolacolonisation – gegen die in Frankreich schon 1950 ein Gesetz zum Schutz der Volksgesundheit verabschiedet wurde – zerstören sie McDonald’s-Filialen, bombardieren sie mit Äpfeln, kippen Müll vor die Tür oder verschenken französisches Brot und französischen Käse an die Besucher.

Seinen Kopf hat José Bové für solche Aktionen bislang nicht hergeben müssen, aber immerhin schon 21 Tage im Gefängnis verbracht. Hinter dem Unmut der Franzosen gegen den US-amerikanischen Lebensmittelimperialismus stecken selbstverständlich handfeste Wirtschaftsinteressen. Stein des Anstoßes sind vor allem die hundertprozentigen Einfuhrzölle, mit denen die USA typisch französische Produkte wie Roquefort, Trüffel und Entenleberpastete belegten, um sich für das Importverbot für hormonbehandeltes Rindfleisch zu rächen. Wenn es aber um nichts anderes ginge, hätte Bové sich sicher nicht so schnell in die Herzen all jener schleichen können, die ihn nach Verbüßung seiner Haftstrafe als Retter des Roquefort feierten.

In den USA selbst gibt es – und gab es schon immer, denkt man beispielsweise an den ursprünglichen Konflikt zwischen den Befürwortern eines Staatenbundes und denen eines Bundesstaates – Bestrebungen, die politische, kulturelle und wirtschaftliche Gleichschaltung der Welt im Namen des Partikulären, Lokalen und Regionalen zu bekämpfen. Nicht zuletzt machten dies die Proteste gegen die "Millenniumsrunde" der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle deutlich – die allerdings ohne das Globalisierungsmedium par excellence Internet kaum in dieser Form zustande gekommen wären. In einem großflächigen Einwanderungsland wie den USA sind solche Spezifika zumeist ethnischer oder aber geographischer Natur. Trotz – oder gerade wegen – der vielgerühmten "Mobilität" der Amerikaner scheinen sie zwangsläufig in Ethnopluralismus, sozialen Berührungsängsten und einem xenophoben Lokalpatriotismus zu münden, der auch dem kleinen gallischen Dorf nicht ganz fremd ist, wenn etwa der greise Methusalix in "Das Geschenk Caesars" schmollt: "Nein! Mich stören Fremde nicht, solange sie bleiben, wo sie hingehören. Wenn sie aber zu uns kommen, hab’ ich keine Lust, zu ihnen zu gehen." Methusalix besinnt sich allerdings schnell eines Besseren, als er die betörend wohlproportionierte Tochter des Fremden erblickt. Im "Postkolonialismus" amerikanischer Ausprägung dagegen werden alte Schuldscheine immer wieder aufs Neue präsentiert, Narben stolz zur Schau getragen und erlittene Unrechte eifersüchtigst gegeneinander verrechnet, damit ja kein anderer mehr Opfer sein darf, als ihm zukommt (oder gar: als man selbst). Nicht ganz ohne Grund wird diese Entwicklung als Balkanisierung – oder gar mit dem neuen Schlagwort der "Brasilianisierung" (Michael Lind) – stigmatisiert.

Solche Modelle unbesehen nach Europa zu importieren – geschweige denn zu exportieren –, ist lediglich Imperialismus in einem anderen Gewand. Und auch dem postindustriellen Spätkapitalismus kann derlei – in Maßen – nur recht sein, tun sich hier doch wieder neue Vermarktungschancen auf, vor allem im Tourismus und im sogenannten Kulturmanagement. Denn wenn die Welt sowieso überall gleich aussieht, muß der Verbraucher auch keinen Urlaub mehr buchen, sondern kann die billigere Alternative wählen und vor dem Fernseher sitzenbleiben. Ein traditioneller Wildschweinschmaus im authentischen Römerlager mit Fünf-Sterne-Komfort (Alternativunterbringung für Knauserige in der Drei-Sterne-Pension "Zum Hinkelstein") schafft da schnell und schmerzlos Abhilfe.

Nebenan bei McDonald’s läßt die alljährliche "Fiesta Mexicana" die Kassen klingeln. Obelix reibt sich die Hände. Mit der Mitarbeiterprämie für hundert verkaufte McTacos kann er seinem Sohn endlich den letzten Schrei auf dem Computermarkt kaufen: ein Spiel namens "Asterix, le Gaulois". Auf dessen interaktiver Benutzeroberfläche befinden wir uns im Jahre 50 v. Chr. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt. Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die römischen Legionäre, die als Besatzung in den befestigten Lagern Babaorum, Aquarium, Laudanum und Kleinbonum liegen ...

So dreht sich das Rad der Geschichte weiter, in ein brandneues Jahrtausend hinein. Um Silvester 2000 (das, nebenbei bemerkt, eigentlich Silvester 1999 ist) kostet die Unterkunft sogar in der bescheidenen Pension Zum Hinkelstein 900 Francs (ca. 300 Mark), in der Jahrtausendnacht selbst verdoppelt sich der Preis noch einmal. Um Punkt Mitternacht erlöschen im Orgiensaal des originalgetreu nachgebauten Römerlagers Laudanum die bunten Lichter, und die elektronisch verstärkte Musik verstummt plötzlich. Auf der ganzen Welt fällt die Zeit aus – die digitale Zeit, die wir doch gerade glaubten, uns endgültig untertan gemacht zu haben. Auf der ganzen Welt? "Latürnich nicht!" ruft der gewiefte Asterix-Leser bangend, aber triumphierend.

Tatsächlich: Troubadix, der es inzwischen im Olympix in Lutetia weit gebracht hat, genau wie es ihm einst in "Asterix und die Normannen" der schnöselige Grautvornix prophezeite – er läßt sich dort jeden Donnerstagabend als "Kuriosität aus der Provinz – Typische Volksmusik der alten Gallier" bejubeln –, und bei der Echt Gallischen Millenniumsgala in seinem Heimatdorf nicht fehlen durfte, nutzt das allgemeine Chaos, um sich davonzustehlen und seine alten Freunde zu suchen.

In der Ferne glüht ein großes Lagerfeuer wie ein Hoffnungsschimmer. Schon auf dem Weg dorthin beginnt Troubadix zu singen – und merkt dabei, daß er gar keinen Verstärker braucht, denn seine Stimme geht noch genauso durch Mark und Bein wie eh und je. Sein Gesang scheucht ein einsames Wildschwein auf und treibt es geradewegs in die Arme von Obelix, der sich auf die Jagd nach Nachschub für das Festmahl begeben hat.

Im Vergleich zu ihren prachtvollen Vorfahren sind die heutigen Wildschweine armselige Gesellen, ernähren sie sich doch hauptsächlich vom Zivilisationsmüll, den sie in den gallischen Wäldern vorfinden – "O tempora, o mores!" hätten die Römer damals zweifelsohne gejammert –, aber sie sind besser als gar nichts, und erst recht besser als die faden McTacos. Dafür ist der illegal gebraute Zaubertrank um so vorzüglicher geraten; eine Extraportion Hummer macht ihn besonders schmackhaft. Und auch Obelix darf diesmal einen Schluck probieren, obwohl er doch als Kind hineingefallen ist. Wer weiß, welche Kraftproben noch auf ihn zukommen.

 

Silke Lührmann hat Literaturwissenschaft in Marburg und Yale studiert und schreibt zur Zeit an ihrer Dissertation.


 
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