© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/99  01. Januar 1999

 
 
Kolumne:
Platz 42
von Klaus Motschmann

Zum 50. Jahrestag der UN-Menschenrechtserklärung am 10. Dezember hat die angesehene London School of Economics die Ergebnisse einer Umfrage in 54 Ländern nach dem subjektiven Glücksempfinden der dort lebenden Menschen veröffentlicht. Die glückseligsten Menschen leben demnach in Bangladesch, also in einer der allerärmsten Regionen dieser Welt, in Aserbeidschan und in Nigeria. Deutschland nimmt auf dieser "Glücksrangliste" Platz 42 vor Kanada, Japan, Italien und den USA ein. Auf den letzten Plätzen liegen die Ukraine, Weißrußland und Bulgarien.

Die Ergebnisse dieser Studie sind freilich so überraschend nicht. Sie bestätigen vielmehr lange geschichtliche und reiche persönliche Erfahrungen. Dennoch ist es gut, wenn von Zeit zu Zeit an einige Binsenweisheiten menschlicher Daseinsgestaltung erinnert wird, gerade auch zum Jahreswechsel. Es ist die Zeit der Rückschau, der Umschau und der Vorschau, in der wir uns bewußt werden, wenn wir nur ein wenig nachdenken, wie einfach es ist, Glück zu wünschen, und wie schwer, Glück zu verwirklichen. Ein Zusammenhang zwischen äußerem Wohlstand und innerem Glücksgefühl besteht jedenfalls nur bedingt; oft genug sogar in einem sich gegenseitig ausschließenden Sinne, wie auch die Londoner Studie erneut belegt: Obwohl der Wohlstand in den westlichen Demokratien dank der Bemühungen um die Verwirklichung des "Great Happiness Principle" der Aufklärung in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen ist, ist das angestrebte "größte Glück der größten Zahl" bei weitem nicht erreicht.

An den äußeren wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen fehlt es in den westlichen Demokratien bekanntlich nicht, um das menschliche "Streben nach Glück" zu fördern. Allerdings muß die Frage erlaubt sein, ob es nicht höchste Zeit ist, die einstmals mit Erfolg praktizierten wirtschaftlichen und sozialen Prinzipien radikal zu überdenken, wenn wir eine menschliche Gesellschaft erhalten wollen. Dazu gehört die Einsicht, daß der Mensch in seinem persönlichen Glücksempfinden nicht allein und nicht einmal im wesentlichen Maße von wie immer begründeten kollektiven Wohlfahrtsprinzipien bestimmt wird, sondern von den Möglichkeiten individueller Lebensgestaltung im Rahmen fester, bewährter und zuverlässiger Ordnungen wie Familie, Gemeinde, Beruf, religiöse und kulturelle Vereinigungen und das eigene Volk.

Die Einwände gegen diese Ordnungen und die damit verbundenen Werte sind bekannt. Sicher haben sie dazu beigetragen, daß wir auf Platz 42 der Glücksrangliste liegen. Vielleicht rutschen wir ein wenig nach vorne, weg von Platz 42, wenn wir uns gemeinsam um eine Wende bemühen.


 
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