© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/99  01. Januar 1999

 
 
SPD Berlin: Ex-Regierungschef Momper will’s noch einmal wissen / Urwahl am 17. Januar
Alle wollen Gerhard Schröder sein
Ronald Gläser

"Hier steht einer, der auch wirklich Regierender werden will." Walter Momper läßt keinen Zweifel an seiner Kampfbereitschaft. Am 17. Januar steht er als Spitzenkandidat der Berliner SPD bei den Abgeordnetenhauswahlen im Oktober zur Wahl. In einer Urwahl haben die Berliner Genossen Gelegenheit, direkt über ihren Bürgermeisterkandidaten zu entscheiden.

Momper fordert den eher farblosen SPD-Fraktionschef Klaus Böger heraus. Böger gilt als Kandidat der Parteispitze und der Funktionäre, während Momper an seinem Image als Außenseiter und Vertreter der Basis arbeitet. Gerade deswegen ist diese Urwahl so spannend. Sie erinnert an die Vorwahlschlachten in den USA, in denen sich oft etliche Kandidaten um die Gunst ihrer Parteigänger bemühen. Solche Entscheidungen sind sonst Gremien wie Landesparteitagen vorbehalten. Schon 1995 konnte die Berliner SPD davon profitieren, als Hunderte Interessierte der Partei beitraten, um an der Kür des Spitzenkandidaten teilnehmen zu können.

Die beiden Kandidaten könnten unterschiedlicher kaum sein. Walter Momper war von 1989 bis Anfang 1991 Regierender Bürgermeister und möchte nun der Nachfolger seines Nachfolgers werden. Vor vier Jahren hatte er sich in der Politik zurückgemeldet und in einem Blitzfeldzug die mit der Parteiführung Unzufriedenen hinter sich versammelt. Schon damals stützte Momper sich vor allem auf die elf Bezirskverbände im Ostteil der Stadt, von denen er 1995 sieben erobern konnte. Dennoch verlor er die Vorwahl gegen Sozialsenatorin Ingrid Stahmer, auf die 56 Prozent der Stimmen entfielen. Während der letzten vier Jahre ist es Momper gelungen, im Gespräch zu bleiben. So gründete er den parteiunabhängigen Verein "Berlin 2000", mit dem er auch Nicht-SPD-Mitglieder an sich binden konnte. Das trägt zusätzlich zu seinem Image als Außenseiter bei.

Klaus Böger dagegen steht bereits seit Jahren in vorderster Front. Als Fraktionschef hat er natürlich die Mehrheit der SPD-Abgeordneten hinter sich. Er setzt auf die rechten SPD-Bezirke im Westen, zum Beispiel Reinickendorf, Neukölln oder Steglitz, seine politische Heimat. Böger ist eher zuzutrauen, daß die sogenannte neue Mitte erreichen kann, dem Vergleich mit Schröder hält er allerdings nicht stand. "Ein Schröder ist er nicht", titelte die Welt.

Beide Kandidaten versuchen die Zeit bis zum 17. Januar optimal zu nutzen. So tingelten sie während der Weihnachtszeit bei Apfel, Nuß und Mandelkern durch sämtliche Ortsvereine der Partei, um ihre Botschaft bei Gewerkschaften, Jusos und Seniorengruppen vorzutragen. Momper erhält dabei Unterstützung von den Mitgliedern des rot-grünen Senats von 1989. Ex-Bausenator Wolfgang Nagel gehört ebenso zu seinem Team wie Ex-Bildungssenatorin Barbara Riedmüller, die allerdings erklärt, nicht wieder in die Politik zurückkehren zu wollen. Auch der frühere Verkehrssenator Horst Wagner, an den sich die Berliner Autofahrer mit Schrecken erinnern, ist mit von der Partie. Als Momper von seiten der Böger-Anhänger vorgeworfen wurde, "Rot-Grün gegen die Wand gefahren zu haben", meldete sich Wagner zu Wort: Der rot-grüne Senat unter Momper habe 1989 Entscheidungen für Berlin getroffen, die auch von der CDU nicht mehr korrigiert worden seien. Womit er recht hat, denn keine der vielen Busspuren oder Tempo 30-Zonen sind wieder abgeschafft worden. Und Tempo 100 auf der Avus besteht heute ebenfalls noch.

Mehrfach schon trafen die Kandidaten aufeinander. Während Böger die Kompromisse der Parteiführung mit dem Koalitionspartner CDU vertreten muß, kann Walter Momper die ungeliebte Senatskoalition ungehemmt kritisieren. Schützenhilfe bekommt er von seinen Sympathisanten. Sie sind leicht zu erkennen, denn sie tragen das Markenzeichen ihres Kandidaten: den roten Schal. Seit Momper das auffällige Kleidungsstück bei der Wiedereröffnung des Brandenburger Tores getragen hatte, wird er damit identifiziert. Es kann als eine der erfolgreichsten politischen Marketingmaßnahmen der Gegenwart gelten.

Ansonsten ist die Momper-Kampagne nicht sonderlich originell. Der Slogan "Ich bin bereit. Walter Momper" ist bei Gerhard Schröder abgekupfert, und in Sachfragen ist der Kandidat alles andere als sattelfest. Zudem offenbaren die regelmäßigen Bettelbriefe Mompers den Mangel an finanziellen Mitteln des Kandidaten-Kandidaten.

Reserveoffizier Böger hat es da leichter. Er leistet sich sogar eine PR-Referentin, die 30jährige Politologin Anke Wiß. Sie fungiert in den Räumen einer Werbeagentur und betreibt die Kampagne auch dementsprechend profesionell. Böger-Buttons und Böger-Plakate sind an den Bundestagswahlkampf der SPD angelehnt. Und zu den Unterstützertreffen der "Initiative Klaus Böger" braucht sich kein Genosse sein Dosenbier mitzubringen. Lachshäppchen, Getränkeausschank und Live-Musik gibt es gratis. Eine Internetseite zeigt aktuelle Bilder aus dem Wahlkampf, und Imagebroschüren werben für den Kandidaten Böger.

Trotzdem wirken dessen Unterstützer bei weitem nicht so mitgerissen wie die Momper-Anhänger. Allerdings werden hie und da die Glacéhandschuhe ausgezogen. Momper wird deutlich kritisierrt. "Klaus Böger ist der glaubwürdigere Kandidat", so die PR-Beraterin des Fraktionsvorsizenden. Das ist ein Seitenhieb auf die Wahllüge des SPD-Kandidaten von 1989, der vor der Wahl einer Koalition mit den Grünen eine deutliche Absage erteilt hatte. Andere behaupten, Momper suche angesichts der bevorstehenden Pleite seiner Immobilienfirma lediglich neue Erwerbsmöglichkeiten.

Unterdessen profiliert sich Böger als Gegner eines Kuschelkurses mit der PDS. Das brachte ihm nicht nur die Unterstützung des ehemaligen Bürgermeisters Hans-Jochen Vogel und weiterer hochrangiger Sozialdemokraten ein, er erobert dadurch auch die sensibilisierte Öffentlichkeit im Westteil Berlins für sich. Im Grunde steht er vor der gleichen Aufgabe wie Gerhard Schröder: Er muß die Öffentlichkeit für sich gewinnen, um die Partei hinter sich bringen zu können.


 
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