© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/99 08. Januar 1999


Günter Schabowski
Der Verräter
von Kai Guleikoff

Er gehörte zu den 26 politisch mächtigsten Personen der DDR, die im Politbüro der SED für die Durchsetzung der kommunistischen Ideologie im Arbeiter-und-Bauern-Staat verantwortlich zeichneten. Zuletzt als 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin auch gleichzeitig Chef der Bezirkseinsatzleitung und damit oberster Vorgesetzter für alle Dienststellen der Staatssicherheit, der Volkspolizei und der Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der "Hauptstadt der DDR". Wer mit einer derart hohen Parteifunktion betraut wurde, gehörte potentiell zum Kreis der Auserwählten als Parteiführer. Vorigen Montag feierte Günter Schabowski seinen 70. Geburtstag.

Als er am 4. Januar 1929 im mecklenburgischen Anklam als Arbeitersohn geboren wurde, dürfte wohl niemand seine Bilderbuchkarriere vorhergesehen haben. Als 16jähriger sah er das Kriegsende 1945 in Deutschland als Chance für die berufliche Anwendung seines Rede- und Schreibtalentes. Die sowjetische Besatzungsbehörde suchte vor allem unter Minderjährigen geeignete Freiwillige, die sich im Ideologiebereich einsetzen ließen. Schabowski wurde Volontär und Hilfsredakteur beim Lizenzblatt Freie Gewerkschaft. Parallel dazu begann seine politische Integration in das System: Beginn der Mitgliedschaften im FDGB (1946), in der FDJ (1950) und in der SED (1952). Sein fachlicher Fleiß und seine politische Linientreue wurden belohnt mit den Abschlüssen als Diplom-Journalist an der Karl-Marx-Universität Leipzig (1962) und dem Nachweis für das Studium an der Parteihochschule beim ZK der KPdSU in Moskau (1967/68). 1978 war der journalistische Olymp erreicht: Chefredakteur des Neuen Deutschland und damit verbunden die Mitgliedschaft in der Agitationskommission beim Politbüro des ZK der SED. 1985 wurde Schabowski Mitglied des Politbüros und 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung.

In den politischen Wirren nach dem 40. Jahrestag der DDR, als die Gewißheit die SED-Parteiführung lähmte, die Sowjetführung stehe nicht mehr an ihrer Seite, wurde Schabowski Verantwortlicher für die Zusammenarbeit mit den Medien. In dieser Funktion antwortete er auf der internationalen Pressekonferenz vom 9. November 1989 auf die Zusatzfrage zum Zeitpunkt der Grenzöffnung mit dem inzwischen historisch gewordenen Satz: "Wenn ich richtig informiert bin, nach meiner Kenntnis unverzüglich." Diesen "Irrtum" (Egon Krenz) quittierten die verantwortlichen Genossen der SED/PDS im Januar 1990 mit dem Parteiausschluß und der inoffiziellen Aufnahme in die Liste der "Verräter".

Heute ist Schabowski Anzeigenredakteur einer kleinen westdeutschen Regionalzeitung. Sympathie kommt auf, wenn der Mann mit den tiefen Gesichtsfalten auch noch nach zehn Jahren betont: "Scham werde ich immer empfinden."


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