© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/99 08. Januar 1999


Finanzwelt: Mit der Euro-Einführung stellt sich erneut die Frage nach der politischen Union
Konkurrenz für den US-Dollar
Karl-Peter Gerigk

Seit dem 1. Januar 1999 regiert in elf Ländern der Europäischen Union der Euro und damit die Europäische Zentralbank (EZB). Nach der Aussage des Präsidenten der deutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer, ist es die vornehmste Aufgabe der EZB in Fankfurt am Main und ihres Präsidenten Wim Duisenberg, nach der Euro-Einführung das Stabilitätsniveau in den Teilnehmerländern langfristig zu sichern.

Insbesondere die Chancen für Wachstum und Beschäftigung, so Tietmeyer im Handelsblatt, würden sich wegen des Wegfalls des Wechselkursrisikos verbessern. Doch intensiviere sich auch der internationale Wettbewerb. Die Politik auf nationaler Ebene müsse hierzu den Boden bereiten. Hierbei kann der Euro nicht die Standortnachteile in den Regionen ausgleichen. Auch ist nicht zu erwarten, daß es einen durchschlagenden Effekt hinsichtlich einer Reduzierung der Arbeitslosigkeit gibt. Der Euro sei nunmal kein Allheilmittel für verfehlte Politik, und sicherlich könne er keine Versäumnisse wettmachen. Es sei Aufgabe der einzelnen Teilnehmerländer, die Strukturanpassungen und Besonderheiten in den ökonomischen Entwicklungen der Konjunktur, von Wachstum und Beschäftigung durch eigene Leistung zu meistern, so der Chef der Bundesbank.

Dies erfordert vor allem mehr Flexibilität auf den nationalen Märkten, denn die nationale Geldpolitik als Steuerungsinstrument für lokale und regionale Besonderheiten fällt weg. Geldpolitik wird nun unter eher globalen Gesichtspunkten betrieben. Hierzu ist eine hinreichende Koordination der nationalen Politiken sicherlich notwendig. Wenn auch den einzelnen Regierungen genügend Spielraum für nationale Entscheidungen im Bereich etwa der Sozial- und Lohnpolitik bleibt, müssen diese Entscheidungen doch auf die nun offen zu Tage tretenden internationalen Interdependenzen zugeschnitten sein. Diese werden bislang bestimmt durch den Dollar.

Doch der Euro erscheint hier ebenbürtig. Im Euro-Raum leben zur Zeit 292 Millionen Menschen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 5.774 Milliarden ECU (11,48 Milliarden Mark) übertrifft das Japans in 1998, welches ein BIP von 3.327 Milliarden ECU aufweist. Die Euro-Länder liegen damit knapp hinter den USA mit einem BIP von 7.592 Milliarden ECU. Dabei wird das jährliche Wachstum der Euro-Zone für das Jahr 1998 auf über drei Prozent geschätzt. Dies ist eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 0,5 Prozent. Auch die Inflation fiel auf einen historischen Tiefstand. Im November 1998 betrug sie im Vergleich zum selben Monat des Vorjahres 0,9 Prozent. Die Zinssätze lagen mit 3,7 Prozent außerordentlich niedrig und die Defizite in den Haushalten bei den Teilnehmerstaaten des Euro durchschnittlich bei 2,5 Prozent. Damit sind sie deutlich unter der Grenze des im Maastricht-Vertrag vorgesehenen Limits von drei Prozent.

Die Euro-Staaten liegen vor den USA und Japan

Weit vor den USA und Japan liegen die Euro-Staaten bei der Erwirtschaftung des Handelsüberschusses. Mit 89,4 Milliarden ECU stehen sie an der Spitze, gefolgt von Japan mit einem Überschuß von 72,7 Milliarden ECU und einem Defizit in den USA von 186,1 Milliarden ECU. Auch hinsichtlich der Währungsreserven ist das Euro-Europa bestens ausgestattet. Es sind 296,4 Milliarden ECU vorhanden. Im Vergleich dazu besitzt Japan Geldreserven im Wert von 187,1 Milliarden und die USA von 56,1 Milliarden ECU. Dies deutet darauf hin, daß der Euro sich zu einer Konkurrenz für den Dollar entwickeln könnte.

Nach den Worten des Direktoriumsmitgliedes der Europäischen Zentralbank, Otmar Issing, stellt der Euro eine echte Alternative zum Dollar dar und hat das Potential für eine international herausragende Währung. Notenbanken, die nun die Alternative hätten, wie auch weltweit agierende Anleger könnten so ihr Risiko mindern, indem sie neben dem Dollar auch Euro-Titel in ihre Bestände aufnähmen.

Eine Zielabsprache im Wechselkursverhältnis zwischen Dollar, Euro und Yen, wie sie von seiten Lafontaines gefordert wird, kann Issing sich allerdings nicht vorstellen. Solche Fixierungen in den Wechselkursverhältnissen sind nicht zuletzt vom US-Notenbankchef Alan Greenspan als "unerwünscht, altmodisch und unpraktikabel" bezeichnet worden.

Zudem scheint das europapolitische Engagement Lafontaines aus der Sicht seiner politischen Gegner recht fragwürdig. CDU-Gereralsekretärin Angela Merkel sprach Oskar Lafontaine angesichts seines Fernbleibens bei der Festlegung der Euro-Wechselkurse jedes Gespür für diese historische Situation ab. Auch Edmund Stoiber warnte angesichts demonstrierter sozialdemokratischer Interessenlosigkeit vor einer Tendenz in der Bundesregierung, den Stabilitätspakt aufzuweichen, was an die Bestrebungen Lafontaines anknüpft, bei der Geldpolitik auf europäischer Ebene auch die Politik mitagieren zu lassen.

Stoiber erklärte in München, daß es von entscheidender Bedeutung sei, den in Amsterdam vereinbarten Stabilitätspakt auch mit dem Euro-Start konsequent anzuwenden. "Wer das Stabilitätsziel unter Hinweis auf Beschäftigungsziele aufweichen will, verkennt, daß die Geldwertstabilität eine entscheidende Voraussetzung für mehr Beschäftigung und wirtschaftlichen Wohlstand ist", meinte er. Hingegen sei es ermutigend, daß die Bundesbank und die Europäische Zentralbank dem Versuch des deutschen Finanzministers widerstanden haben, sie in der Zinspolitik unter Druck zu setzen. Somit ist auch aus Stoibers Sicht das Fernbleiben Lafontaines mehr als nur ein peinlicher "Fauxpas". Er zeige die vollkommene Fehleinschätzung des politischen Ereignisses.

Weitere kritische Töne bezüglich der langfristigen Entwicklungchancen des Euro kommen aus Anleger-Kreisen. Mittelfristig, so Daniel Bernecker, Herausgeber der Anlegerzeitschrift Aktienbörse (Düsseldorf), ist die Stimmung euphorisch und die Aktien können steigen. Doch langfristig ändere sich ja an der Struktur der Ökonomien durch den Euro nichts oder nur langsam. Es existiere im Euro-Raum nur eine Scheinkonvergenz. Eine neue Währung löse keine strukturellen Probleme.

Ähnlich sieht es Wilhelm Hankel, Professor für Währungs- und Entwicklungsökonomie der Universität Frankfurt/Main. "Mit der Erfindung eines Thermometers wird noch nicht das Wetter geändert. Wir besitzen mit dem Euro nur ein neues Instrument zur Messung der monetären Ströme. Keines der wirtschaftlichen Probleme wird hierdurch gelöst," so Hankel und weiter: "Wir besitzen mit der EZB eine Nebenregierung. In den USA ist dies anders. Hier existiert eine Bank, ein Parlament und eine Regierung für eine umschlossene Wirtschaft. Wir hätten bei uns erst die ‘Vereinigten Staaten von Europa’ politisch realisieren müssen und uns dann einer einheitlichen Währung zuwenden sollen." Zudem sei mit dem Euro bei den Spekulanten eine wundersame Änderung eingetreten. Sie trachten offenkundig nicht nach kurzfristigen Gewinnen, sondern arbeiteten stützend für eine neue Währung. Sie seien in diesem Fall zu verantwortungsvollen Anlegern geworden. "Dies ist eine Umkehrung der Idee von der Spekulation" sagte Professor Hankel gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.

Die politische Integration muß vorankommen

Nach Ansicht von Kanzler Schröder ist der Euro vor allem im deutschem Interesse, und das nicht zuletzt auch im Sinne eines europäischen Beschäftigungspaktes. Nicht unmittelbar, sondern längerfristig werde der Euro der stärksten Volkswirtschaft in Mitteleuropa nützen. Allerdings werde die Arbeitslosigkeit zunächst nicht verringert. Darüber hinaus bekräftigte Schröder, daß mit dem Start der Währungsunion das Zusammenwachsen Europas zu einer politischen Union vorangetrieben werden müsse. Nun solle neben die Vergemeinschaftung der Währungspolitik und die Koordination der Geldpolitik durch die EZB auch eine stärkere Koordination der Finanz- und Wirtschaftspolitik treten. Dazu zähle sicherlich die von Lafontaine propagierte Steuerharmonisierung auf europäischer Ebene. Dies bedeute jedoch keine Steuererhöhungen für Deutschland, insbesondere nicht die Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Um einen europäischen Super-Markt zu verhindern, ist eine weitere politische Integration unausweichlich. Luxemburgs Premierminister Jean Claude Juncker hat die Teilnehmer an der Euro-Zone indirekt vor Selbstzufriedenheit nach der Einführung des gemeinsamen Geldes gewarnt. Schon vor dem Treffen der EU-Wirtschafts- und Finanzminister zur Wechselkursfestlegung sagte Juncker, es sei nicht die Zeit, die Hände in den Schoß zu legen. Ziel sei nicht der Euro, sondern es gehe jetzt darum, die politische Integration voranzutreiben.

Aber es sind weitere Probleme auf dem Weg zur politischen Union zu lösen. Da ist das Demokratiedefizit, die verschwenderische Macht der Kommissare, die Ohnmacht des Parlaments und der Bevölkerung, nicht zuletzt verursacht durch Überrepräsentativität der Parlamentarier auf regionaler, nationaler und Europa-Ebene. Auch das Wahlrecht in den verschiedenen Staaten bleibt bei der Europa-Wahl am 13. Juni 1999 unterschiedlich. Doch zeigt sich Juncker zufrieden mit dem Erreichten.

Auch hinsichtlich Großbritanniens ist der Luxemburgische Premier zuversichtlich. London werde bald mit am Tisch sitzen. "Sie sind im Herzen bei uns", sagte Juncker. Die Bank of England (BoE) hat die Einführung des Euro als Umstellung und Konversion mit allen in London ansässigen Banken und Finanzinstituten bestätigt. "Wir sind sicher, daß alles gut gehen wird, weil die City gut vorbereitet war", sagte David Clementi, Deputy Governour der BoE. London ist als Zentrum des Finanzhandels für die Euro-Einführung besonders wichtig, obgleich Großbritannien nicht zu den Teilnehmern an der Wirtschafts- und Währungsunion zählt. Es fungiert als Zentrum und Konzentrationspunkt für Banken- und Brokeraktivitäten mit dem Euro-Start, weil London immer noch eine der Finanzhauptstädte Europas ist.

In den Zentren Australiens und Asiens verlief der Start vielversprechend. Die neue Währung ist an den internationalen Devisenmärkten reibungslos gestartet. Der Euro begann in Sydney mit einer Notiz von 1,1747 Dollar und zog dann bis auf 1,880 Dollar zu Beginn des europäischen Devisenhandels an. In Frankfurt begannen zu dieser Zeit die Feiern zur Umstellung des Devisenhandels. Früher als üblich hatte der Handel in Sydney und Tokio begonnen.

Nach Einschätzungen von Experten wird es seitens asiatischer Notenbanken und institutioneller Investoren umfangreiche Euro-Anlagen geben. Für die thailändische Notenbank macht der Devisenreservenanteil in Euro schon heute etwa zehn Prozent aus. Mit der Einführung des Euro beginnt also nicht nur für die europäischen Aktienmärkte ein neues Zeitalter. In Frankfurt unterstrich der Börsenvorstand Reto Francioni, daß der Euro internationale Börsenwährung sei. Mit der einheitlichen Notierung an den Börsen der Teilnehmerstaaten ist der Aktienmarkt transparenter geworden. Europäische Indize gewinnen weiter an Bedeutung, wie zum Beispiel der Euro-Stoxx, der die 50 Spitzenwerte der Euro-Zone umfaßt, darunter elf deutsche. Die Anleger können künftig in Euro ordern oder auch ihr Wertpapierkonto bis 2001 weiter in D-Mark führen. Vom strategischen und monetären Gewicht her ist Euro-Land weltweit sicherlich schon jetzt ein zukunftsträchtiger Anlagemarkt.


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