© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/99 08. Januar 1999


Oper II: Der Kupfer-"Ring" in der Berliner Staatsoper behauptet sich
Vom Tunnel zum Rätsel
Hans-Jörg von Jena

Kürzlich erst dirigierte Christian Thielemann, der junge Generalmusikdirektor, erstmals Richard Wagners "Ring der Nibelungen" an der Deutschen Oper Berlin. Im Dezember nahm nach langer Pause auch die Staatsoper die Tetralogie unter Daniel Barenboim wieder in ihren Spielplan auf. Seufzt da wer gelangweilt: Muß das sein? Er wäre im Unrecht. Wagner reizt zu immer neuen Ansätzen und Auseinandersetzungen. Man könnte Rudi Dutschke variieren: "Schaffen wir zwei, drei, viele ’Ringe‘!"

Götz Friedrichs Tunnel-"Ring" an der Deutschen Oper aus der Mitte der achtziger Jahre ist längst zu einem Stück Theatergeschichte geworden. Ob dies auch bei Harry Kupfers ein Jahrzehnt jüngerer Staatsoper-Inszenierung der Fall sein wird? Vor allem ist ihr keine derart zwingende Bilderfindung eigen, wie sie Peter Sykora mit dem Tunnel-Schauplatz, den aus Marmorstarre sich lösenden, am Ende sich wieder verhüllenden und versteinernden Göttern gelang, "Zum Raum wird hier die Zeit", anschaulich wie selten.

Bei Hans Schavernoch, dem Bühnenbildner der Staatsoper, drängt sich die Weltesche, das zentrale Symbol, nicht ebenso auf. Im "Rheingold" füllt ihr Wurzelgeflecht zwar die Szene, den Grund des Rheins, und veranlaßt die Unterwasser-Akteure (die Rheintöchter, Alberich) zu waghalsigen Kletterkunststücken. Aber schon vor Beginn der "Walküre" hat sie der welthistorische Blitz getroffen: den Stamm in Hundings Hütte hält nur noch eine Stahlprothese zusammen und bis zur "Götterdämmerung" verkümmert ein morscher, verkohlter Rest zum Erinnerungsposten. Wotan muß nicht mehr befehlen, "die Weltesche zu fällen", wie es Waltraute berichtet. Technischer Schnickschnack beherrscht Schavernochs Bildwelt. Eine wechselnd beleuchtete Rasterwand, anzusehen wie ein Kreuzworträtsel, dient als Feuerzauber und illuminiert die Geschehnisse. Der Untergangsmythos als Rätselaufgabe?

Anfang und Ende sind entscheidend für jede "Ring"-Deutung. Harry Kupfer stellt dem Vorspiel des Vorspiels ("Rheingold") noch eine stumme Szene mit dem "Urfried" voran: Wotan schneidet aus dem Stamm der Esche seinen die Weltherrschaft bedeutenden Speer. Das ist von beeindruckendem Scharfsinn. Nur müßte es szenisch kräftiger vonstatten gehen als dadurch, daß der Gott die Waffe wie aus einem Futteral zieht.

"Die Welt vergeht." So der letzte Satz der Inhaltsangabe auf dem Programmzettel der "Götterdämmerung". Ganz falsch! Das Finale der Tetralogie trägt einen präzisen Titel, es handelt sich weder um eine "Menschheitsdämmerung" (wie bei der berühmten Lyriksammlung des Expressionisten Kurt Pinthus) noch um atomaren Weltuntergang. Es sind nur die Götter, die untergehen in dieser allerdings exemplarischen Geschichte, die Menschen sehen dem "in sprachlosem Entsetzen" zu, als Überlebende in die Freiheit entlassen, wie von Ludwig Feuerbach oder wie die Deutschen 1945.

So inszeniert Kupfer den Schluß auch, phantasievoll und meisterlich. Noch einmal taucht Wotan auf und wirft seines Speeres Splitter dem Enkel in die Grube nach. Lange und tief sehen sich Wotan und Brünnhilde in die Augen – zwei Gescheiterte, nur daß die Tochter jetzt die erlösende Tat vollbringen wird. Sie entreißt Hagen den Speer und zerbricht ihn. Aber für ein paar fürchterliche Augenblicke bekommt tatsächlich Alberich den gleißenden Ring in die Hand. Hat er gesiegt? Er dreht das Machtsymbol triumphierend – da zerbröselt es ihm zwischen den Fingern. Dumm steht er da, ganz wie Mephisto, als im Orchester die Liebesmelodie überwältigend aufrauscht. Zwei Kinder machen überdeutlich: Kein Spiel hebt an.

Ein Einwand gegen Kupfers Personenführung: seine Götter benehmen sich von Anfang an albern und oberflächlich, ihr Unglück bewirkt kaum Sympathie. Das gilt sogar für den wunderbaren John Tomlinson, in dem Kupfers Spiel- und Bewegungsdrang einen vielleicht allzu willigen und fähigen Partner fand. Ein Göttervater als bloßer Aufschneider und tobender Hallodry, der sogar bei Alberichs Ringfluch herumtanzt, steht sich selbst im Wege. Und auch als Hagen ist Tomlinson mehr Intrigant als schreckliche Autorität. Sängerisch war der Waliser Spitze: ein warmer Heldenbariton, der zum finsteren Baß (oder umgekehrt) die Stimme charakteristisch zu färben versteht.

Anrührend und überzeugend Anne Schwanewilms, die erstmals in Berlin die Sieglinde sang. Als Gutrune macht die junge Sängerin in Reinhard Heinrichs schönen Kostümen die Entwicklung vom anmutig-koketten Dummchen zur Ahnung des Tragischen deutlich. Ein bewährter Siegmund: Poul Elming. Noch keine Erda mit ihrem hellen Akt: Anna Larsson. Beim Publikum umstritten: Siegfried Jerusalem und Carol Yahr. Darüber sollte nicht zu kurz kommen, wie rollendeckend von den Schmiedeliedern bis zur Anrufung der "heiligen Braut" Jerusalem den Siegfried gestaltet, ein fettfreier Held – mit der Leichtigkeit eines Spieltenors. Auch die Amerikanerin Carol Yahr gestaltet intelligent und einfühlsam. Über die ganz große Brünnhilden-Stimme verfügt sie freilich nicht.

Von Daniel Barenboim und der Staatskapelle werden die Sänger nie übertönt. Aber unversehens ballt sich der musikalische Fluß immer wieder zum tosenden Katarakt.


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