© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/99 15. Januar 1999


Energiewirtschaft: Atomausstieg im Einvernehmen mit der Energiewirtschaft
Ohne grüne Sonderwünsche
Volker Kempf

Es gibt tragische Charaktäre und Rollenspieler. Ersterem entspricht Jürgen Trittin, letzterem Gerhard Schröder. Statt den im Koalitionsvertrag festgelegten Ausstieg aus der Atomenergie als den Erfolg seiner Partei zu verkaufen, gefällt sich Trittin als Don Quichotte im Kampf gegen Windmühlen bzw. Energiekonzerne. Hier einen Stein in den Weg legen, dort eine Stichelei. Damit hat sich Trittin in die Rolle des Verlierers manövriert, der nur seinen eigenen fundamentalen Ansprüchen genügt. Wen wundert’s also, daß Gerhard Schröder seinen grünen Umweltminister ausgebootet hatte, als im Dezember die Vorabgespräche mit den Energieversorgern zur Atomgesetznovellierung anstanden? Für Schröder war Trittin das Risiko im Risikodiskurs um den Ausstieg aus der Atomenergie, das er geschickt zu entschärfen wußte. Der atompolitische Status quo muß bis zu den Konsensgesprächen Ende Januar gewahrt bleiben, weiß der Kanzler. Ansonsten wird aus dem angestrebten Konsens eine jahrelange Auseinandersetzung über Entschädigungsfragen.

Auch den Umweltschutzverbänden BUND und NABU kann der Ausstieg aus der Atomwirtschaft nicht schnell genug gehen. Das eint sie mit den linksalternativen Atomkraftgegnern, die bei den Bündnisgrünen eine erhebliche Rolle spielen und in der Atompolitik vor allem ein symbolisches Aktionsfeld im Kampf gegen das Großkapital erblicken. Die Umwelt kommt diesem Lager als Ersatzproletariat gelegen, um Trittins harten Kurs gegen die großen Energieversorgungsunternehmen zu stärken.

Und was will das Wahlvolk? Vor der Bundestagswahl im September sprachen sich in einer repräsentativen Umfrage für das ZDF-Politbarometer nur fünf Prozent für den Ausbau der Atomenergie aus, während 21 Prozent den sofortigen Ausstieg favorisierten. Die Losung der Umweltbewegung "Wind, Wasser und Sonne statt Atomkraft und Energieverschwendung" war in der Öffentlichkeit populärer als die bis 1998 amtierende Bundesregierung mit ihrem trotzigen "weiter so, wie immer". Doch so einfach läßt sich das Paradies auf Erden nicht verwirklichen. Der schnelle Atomausstieg kostet Geld, das knapp ist. Und schon sackte der Wert der Befürworter eines sofortigen Ausstiegs aus der Atomenergie bei der repräsentativen Oktober-Umfrage des ZDF-Politbarometers um ein Drittel auf 13 Prozentpunkte ab.

Daß die Bundesregierung unter der Federführung der SPD dem Wählerwillen nicht nachkäme, wie dies Renate Backhaus, BUND-Vorstandsmitglied, erklärte, ist damit keineswegs ausgemacht. Denn der Atomausstieg kommt voran, nur nicht im Sinne des grünen Koalitionspartners.

Schröder hat für die bevorstehenden Konsensgespräche zur Atomgesetznovellierung die Weichen gestellt. Teilnehmen werden, neben dem Kanzler selbst, Wirtschaftsminister Werner Müller und Umweltminister Trittin. Die Stromversorger werden durch Wilhelm Simson (VIAG), Dietmar Kuhnt (RWE), Ulrich Hartmann (VEBA) und Gernot Goll (EnBW) vertreten. Sie werden mit einer raschen Abwicklung rechnen können, um den laut Spiegel anvisierten Atomausstieg binnen 20 Jahren in Angriff nehmen zu können. Das hieße, daß die bestehenden Atomkraftwerke auslaufen, ohne vorzeitig abgestellt zu werden. Dahinter verbirgt sich wirtschaftliches Kalkül: Natürlich könnte gegen Auszahlung von milliardenschweren Ersatzansprüchen ein rascher Ausstieg erkauft werden. Doch das hieße, die AKW zu Milliardengräbern zu machen. Und dafür ist der finanzielle Handlungsspielraum nicht groß genug. Auch wollen die Verbraucher über den Strompreis für einen schnelleren Ausstieg nicht zusätzlich belastet werden. So dürfte den Wählerinnen und Wählern der Atomausstieg zwar lieb, aber nicht teuer sein. Gerhard Schröder nimmt in genau diesem Sinne seine Rolle wahr. Für die Union und die FDP werden sich hier weit weniger Angriffspunkte bieten als bei den Plänen zur ökologischen Steuerreform. Doch die Umwelt- und Energiepolitik war im Gegensatz zur Steuerpolitik nie die Stärke der einstigen Regierungskoalitionäre.


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