© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/99 15. Januar 1999


Hauke Janssen: Nationalökonomie und Nationalsozialismus
Zwangloser Paradigmenwechsel
Peter Boßdorf

Jens Jessen und Otto Ohlendorf: Vergleicht man die Lebenswege und vor allem die Todesumstände dieser beiden Ökonomen, die sich eine Zeitlang nahestanden, sind Irritationen unausweichlich. Gemeinsam versuchen sie 1933/34, das noch heute renommierte Institut für Weltwirtschaft in Kiel zu einer Hochburg nationalsozialistischer Wirtschaftstheorie umzugestalten. Nach dem Scheitern dieser Pläne laufen ihre Karrieren im Endergebnis auseinander: Jessen, seit 1930 NSDAP-Mitglied und auch nach dem Kieler Intermezzo in reputierlichen Positionen, ist in den 20. Juli 1944 involviert, wird verhaftet und hingerichtet. Ohlendorf hingegen übernimmt auf Empfehlung von Jessen und dessen Freund Höhn das Amt III in Heydrichs Reichssicherheitshauptamt (RSHA), von Juni 1941 bis Juni 1942 als Chef die Einsatzgruppe D., der über 90.000 Opfer auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetuinion zugeschrieben werden. Dafür wird nach dem Krieg über ihn das Todesurteil ausgesprochen und vollstreckt. Offenbar waren es nicht theoretische Positionen und die Beteiligung an akademischen Cliquen allein, anhand derer sich Schicksale entschieden: eigentlich eine schlechte Ausgangssituation, um die Verknüpfung einer Disziplin mit den Zeitläufen nachzuzeichnen.

Allerdings ist in der nationalökonomischen Dogmengeschichte selten so viel Schicksalshaftigkeit wie in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts anzutreffen, was allein schon die Arbeit von Hauke Janssen – seine Dissertation – zu einer phasenweise fesselnden Lektüre macht – und dies, obwohl seine Vorstöße zum Ende des Nationalsozialismus, zum Krieg und seinen besonderen ökonomischen Erfordernissen, aber auch zu den Nachkriegsplanungen, die entwickelt wurden, eher Ausflugscharakter besitzen. Das eindeutige Schwergewicht liegt auf der Umbruchssituation der frühen 30er Jahre über die nationalsozialistische Machtergreifung hinweg bis zur Etablierung von neuen Strukturen und neuen Personenkonstellationen, die im Einklang mit den Intentionen des Regimes gesehen werden können. Durch den bibliographischen Anhang verleiht Hauke Janssen seiner Publikation sogar den Charakter eines Handbuches, der nur durch das Fehlen jeglichen Registers geschmälert wird.

1933 kann ebenso wenig wie 1945 von einer Stunde Null in der Nationalökonomie gesprochen werden, die Paradigmenwechsel in der Theoriebildung verlaufen nicht synchron zu den politischen Umbrüchen. Hauke Janssen trägt dem Rechnung, indem er sehr weit ausholt: Minutiös wird ein Panorama der akademischen Nationalökonomie in der Weimarer Republik einschließlich ihrer Zeitschriften und Vereinigungen, hier vor allem des Vereins für Sozialpolitik, entworfen. In kaum beschönigender Form wird dabei auch das nahezu konspirative Vorgehen der primär "theoretisch" orientierten "Ricardianer" skizziert, jener Gruppe um Eucken, Rüstow und einige andere, die sich anschickte, der in Agonie gefallenen historischen Schule das Terrain, das heißt Lehrstühle, Etats und Publikationsräume, streitig zu machen. Janssen gelingt es sogar, die unfreiwillige Komik dieser Bemühungen offenzulegen etwa in seiner Darstellung jener Tagung der Friedrich-List-Gesellschaft im Frühsommer 1928, die sich eigentlich mit den Reparationszahlungen befassen wollte, dann jedoch dazu benutzt wurde, um "den wichtigsten Praktikern die geschlossene Front vernünftiger Theoretiker gegenüberzustellen und sie durch Vorträge und Diskussionen zu belehren" (Alexander Rüstow). Dafür hatten die Politiker aber immer weniger Zeit und Interesse, und darin sah auch der akademische Nachwuchs immer weniger seine Aufgabe. Über die "Ricardianer" als akademische Interessengemeinschaft ging die Zeit hinweg, bevor die ihre überhaupt angebrochen war, das war nicht allein eine Frage der wissenschaftlichen Sprache, sondern vor allem eine solche der Verortung von Theorie. Wenn der Nationalsozialismus jenseits des "rassischen" Rasters überhaupt eine Anforderung an die makroökonomischen Lehrer stellte, war es die Akzeptanz eines Primats des Politischen vor dem Nur-Wirtschaftlichen. Die reale Wirtschaft und die Nationalökonomie hatten sich in den Dienst zu stellen und sich auch unüberhörbar als Dienende zu begreifen. Dabei ist es – Janssen berichtet ausgiebig darüber – zu devoten Ergebenheitsadressen in großer Zahl gekommen, ein durchaus zeitloses Ritual allerdings.

Der Abbruch "ricardianischer" Bemühungen in den frühen 30er Jahren ist aber keineswegs mit einem Ende "theoretischer" Bemühungen gleichzusetzen. Eine Renaissance der historischen Schule setzt nicht ein, und es waren auch nicht irgendwelche Esoteriker oder Paradiesvögel der Disziplin, die aus ihrer bisherigen Randposition heraus ins Zentrum der Lehrmeinungen gerückt wären. Was sich vielmehr bemerkbar machte, waren Ansätze in jene Richtung, die später unter dem Namen Keynesianismus zu einer der einflußreichsten Schulen der modernen Nationalökonomie werden sollte. Die Versuche von einigen Wissenschaftlern, ihre eigene Forschungsleistung in den 30er Jahren nach dem Krieg in diesen Zusammenhang zu stellen, kann daher nicht nur als Versuch einer Biographiebegradigung betrachtet werden. Das Erscheinungsbild der Disziplin war heterogener, als es aus dem politischen Kontext heraus erwartet werden dürfte. Autoren wie Stackelberg, Preiser und auch Eucken legten Werke vor, die über das Ende des Nationalsozialismus hinaus Bestand haben sollten, selbst der Einsatz mathematischer Methoden über die Ökonometrie hinaus scheint nicht behindert worden zu sein, wenngleich diese erst lange nach dem Krieg die Hegemonie in den Wirtschaftswissenschaften erobern sollten.

Viele einfache Fragen, die im Kontext des Themas zu stellen sind, erfahren eine Antwort, deren Profil in der Komplexität verschwimmt – das trifft sogar auf die nächstliegende zu, was denn unter einer nationalsozialistischen Wirtschaftstheorie überhaupt verstanden werden könnte. Das Verschulden liegt aber nicht beim Autor, sondern bei seinem Stoff.

 

Hauke Janssen: Nationalökonomie und Nationalsozialismus. Die deutsche Volkswirtschaftslehre in den 30er Jahren. Metropolis Verlag, Marburg 1998, 650 Seiten, 98 Mark


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