© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/99 15. Januar 1999


Langer Marsch durch die Medien
von Hans-Jürgen Hofrath

Das ursprünglich auf der Montesquieu’sche Staatstheorie basierende und auch das Grundgesetz konstituierende Gewaltenteilungsprinzip sieht drei sich wechselseitig kontrollierende Basisgewalten vor: Legislative, Exekutive und Judikative.

Bemerkenswerterweise ist jedoch seit Jahren eine vierte Gewalt schleichend im Entstehen begriffen, von der eine zunehmende Zahl von Kritikern zu Recht sagen, daß sie unterdessen bereits zur ersten Gewalt avaneiert ist: die Massenmedien. Das Ganze bezieht seine Brisanz daraus, daß sie schon breite Bewußtseinsinhalte von Politikern, der Rechtsprechung und ohnehin dem Medienrezipienten, sprich: Bürger prägen, ja kontrollieren. Botho Strauß faßte dieses allgegenwärtige Phänomen in seinem Essay "Anschwellender Bocksgesang" ebenso pathetisch wie zutreffend in die Worte: "Das Regime der telekratischen Öffentlichkeit ist die unblutigste Gewaltherrschaft und zugleich der umfassendste Totalitarismus der Geschichte. Es braucht keine Köpfe rollen zu lassen, es macht sie überflüssig."

Ebenso sah George Orwell in seinem visionären Werk "1984" ähnliche Phänomene bereits voraus. Das letztlich Tragische dabei: trotz aller postulierten pluralistischen Vielfalt werden merkwürdig gleichgeschaltete Meinungsraster transportiert. Große Medienhäuser, Herausgeber, Verlage, Fernsehanstalten haben damit heute faktisch die Funktion neuzeitlicher Fürstentümer: nämlich die maßgebliche Bestimmungsgewalt über Köpfe, Denkmuster, Gefühle und Tabus. In früheren Jahrhunderten bestimmten Fürsten die Religion ihrer Untertanen.

Die derzeit ebenso aktuelle wie wirksame Ausprägung dieses Phänomens ist die berüchtigte Political Correctness: Eine rigide, heuchlerische Pseudo-Moral, die sich durch Sprach- und somit auch Denkregulierungen hervortut. Eine verhängnisvolle Mischung von Herdentrieb und Hang zum Beqemlichkeitsdenken verführt dazu, Denkmuster und Ideologien im Bewußtsein einer großen Masse zu implementieren. Dies trotz aller Individualisierungsschübe der letzten 30 Jahre. Die Beeinflussungsgewalt der medialen Mechanismen hinsichtlich des menschlichen Verhaltens ist nachweislich höher einzuschätzen als die aufgrund des expliziten, formal juristischen Rechts. Was die Medien nicht aufgreifen, existiert zumindest nicht im offiziellen Massenbewußtsein.

Inganggesetzt wird konsequenterweise die verhängnisvolle "Schweigespirale", wie die renommierte Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann so eindrücklich darlegt. Dem liegt ein simples Grundgesetz der Sozialpsychologie zugrunde: Nackte Isolationsfurcht bei Andersdenkenden. Eine der gefürchtesten menschlichen Grunderfahrungen. Ein zunehmendes Auseinanderklaffen von öffentlicher und veröffentlichter Meinung ist die unausweichliche Folge. Ein "doppeltes Meinungsklima" entsteht, wobei Mehrheiten oft schweigen. Der Begriff "Dressur" scheint hier angebracht. Sozialpsychologen kennen das zu schockierender Berühmtheit gelangte Experiment von Milgram: Er führt den wissenschaftlichen Nachweis, wie Menschen unter geeignetem Druck gegen ihre innersten Überzeugungen agieren können.

Diesem erstaunlichen und über die Zeitabläufe –nur mit wechselnden Akteuren – konsistenten Phänomen entspricht auf der anderen Seite der Anspruch der Medienmacher. Es soll nicht mehr nur informiert und unterhalten werden. Vielmehr soll ein bestimmtes Wahrnehmungsmuster der Welt, basierend auf Ideologien, transportiert werden. Dies mit vehement sendungsbewußtem Alleinvertretungsanspruch! Die zwangsläufige Parallele ist das in Sozialismus und Kommunismus proklamierte Prinzip, die Masse durch die "Diktatur der Partei" erziehen und formen zu können. Die Werke Lenins und Maos bieten für diese strategische Grund attitude reichhaltiges theoretisches und in der politischen Praxis erprobtes Anschauungsmaterial. Wie sich die Geschichte doch – unter modifizierten Erscheinungsformen und den Bedingungen unseres modernen Medienzeitalters – wiederholt!

Beispielhaft die auf tiefstem Niveau zirkusähnlich aufgezogenen Talkshows: Ist dies nicht unverholen eine "Diktatur des Proletariats" im besten Wertsinne –wenngleich kapitalistisch ausgeschlachtet? Hier wie auch in ernstzunehmenden medialen Darbietungen betreibt eine selbsternannte "Elite" Volkspädagogik nach allen Regeln der Kunst. Dies alles im Bewußtsein ihrer machtvollen "Gatekeeper"-Funktion: Sie entscheiden, was durch das von ihnen überwachte "Tor" auf die öffentliche Agenda gelangt! So etwa desavouieren die Medien unisono -– ohne sich einer umgekehrten Prozedur aussetzen zu müssen – pauschal die Vertreter ihrer auserkorenen "Lieblingsfeindbilder". Diese werden lustvoll einer Dekonstruktion und Desintegration unterworfen. Dazu gehören – ganz in 68er Traditionslinie stehend: Kritische Konservative, die traditionellen Kirchen, Sekten, Beamte, Inländer, Nation, Familie und in den letzten Jahren zunehmend der "Mann" als das negative, "urböse" Geschlecht. Überhaupt ist augenfällig, wie ein hypertropher Feminismus als quasiegalitäre Ideologie mit üppigen Verheißungs- und Enderlösungshoffnungen (als Variation des historischen Dauerideals vom "Neuen Menschen") – in der Nachfolge des kollabierten und in Mißkredit geratenen Sozialismus – erscheint. Es überrascht, wenn hier sogar das sonst so geächtete Prinzip des von Carl Schmitt propagierten Freund-Feind-Denkens in jeglicher Spielart medial inszeniert wird – ob in Printmedien, Werbung oder Film. Was hier an stereotypen Tiraden und Verbalienjurien transportiert wird, gewinnt oft volksverhetzungsähnliche Dimensionen. Aber es sind ja auch moralisch legitimierte "Gutmenschen", die ganz im Dienste eines von Minderheiten gesteuerten, doppelmoralischen Zeitgeistes stehen. Solche und ähnliche Mega-Kampagnen durchdringen die Wahrnehmung auch des letzten Rezipienten – und zeitigen ihre Wirkung: Sie erzeugen Haß, dessen Anstachelung doch ansonsten – etwa zwischen Deutschen und Ausländern – vermieden werden soll. Im übrigen ist die Liste solcher doppelbödiger Moral-Postulate der herrschenden Political Correctness beliebig verlängerbar.

Daß hier ein Gegengewicht ganz im Sinne des dialektischen Prinzips Hegels nottut, wird nicht erst vor folgendem Hintergrund überdeutlich: Klaus Rainer Röhl, ehedem prominenter publizistischer Promoter der 68er Revolte, konstatiert, daß sich 85 Prozent der WDR-Redakteure zur Linken bekennen. Diese symptomatische Tendenz belegt Professor Matthias Kepplinger von Institut für Publizistik der Universität Mainz statistisch auch für die übrige Journalistenschaft.

Aber welche strategische Optionen sind nachdenkenswert, um Wege aus der Schweigespirale zu eröffnen? Freilich sind etwa Quoten für Konservative in den Redaktionen derzeit ebensowenig vorstellbar wie die Schaffung verfassungsrechtlicher, medienkontrollierender Institutionen.

Daß die Linke gleichwohl in der Observation von Medieninhalten mehr taktisches Gespür an den Tag legt, beweist die Existenz eines sogenannten Media-Watch-Instituts in der grünen Heinrich-Böll-Stiftung. Lapidares Exempel: Wird in einer Fernsehsendung etwa eine Frau nicht gemäß dem neuen feministischen Mythos dargestellt, erfolgt unmittelbar eine öffentlich verbreitete "Rüge"!

Eine Art Stiftung Warentest als Instrument gegen linke mediale Selbstherrlichkeit wäre sicher wünschenswert. Hier könnten Gruppen wie der Verein "Bürger fragen Journalisten", der sich kürzlich wieder in seinem jährlichen Erlanger Konvent dem heiklen Thema "Medienkritik" widmete, eine entwicklungsfähige Basis darstellen. Vielleicht wäre gar ein Verbandsklagerecht für eine solche "verbrauchernahe" Einrichtung diskutabel – so wie man es etwa aus dem Bereich Umweltschutz kennt. Denn: Sollte nicht die medial verursachte Innenweltverschmutzung - zumal bei Jugendlichen – einen vergleichbaren Stellenwert haben?

Die erfolgversprechendste Option für die demokratische Rechte heißt aber nichts anderes als: Die Diaspora ihrer geschlossenen Zirkel verlassen und Strategien für eigene Medienpräsenz entwickeln. Dies wäre ein essentieller Teil der als signifikant erkannten, von Antionio Gramsci theoretisch hergeleiteten und von der internationalen Linken so trefflich vorexerzierten "kulturellen Hegemonie". Oder wenigstens eine "Gegenkultur".

Offensichtlich jedoch ist der zeitgeistinduzierte intellektuelle Leidensdruck noch nicht hoch genug, um mehr Konservativen und demokratischen Rechten – die wohl eher klassisch-bürgerliche Berufe präferieren – die Medienwelt schmackhaft zu machen. Offenbar erliegt man immer noch einer eklatanten Fehleinschätzungen von Medienwirkungen auf kollektives Verhalten! Vielleicht sollten die US-Konservativen als Lehrstück dienen: Ihnen gelang 1994 die Organisation eines berauschenden Stimmungsumschwunges. Und dies trotz überwältigender Übermacht etwa der "Ideologiemaschine" Hollywood oder anderer Medien.

Daß man sich hierzulande eher auf einen langwierigen, hindernisreichen Prozeß einzustellen hat, dürfte unumstritten sein. Der zudem nur von Menschen bewältigt werden kann, deren Naturell jedwede Art von Bequemlichkeitsdenken fremd ist. Aber jegliche Reklamation von Freiheit braucht Mut. Hier mag ein beziehungsreicher Buchtitel des Schriftstellers Hermann Hesse helfen: "Eigensinn macht Spaß".

Theatralischer, in der Essenz aber das gleiche Kernproblem treffend, drückt es der Autor Julius Evola mit seinem Werkstitel "Den Tiger reiten" aus. Geben letztlich doch alle historischen Entwicklungen Zeugnis davon, daß alles, was länger währt, im Ergebnis zu mehr gerät als nur einer schnellebigen Modeerscheinung.


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