© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/99 22. Januar 1999


SPD Berlin: Spitzenkandidat Walter Momper bringt die Genossen durcheinander
Der rote Schal kehrt zurück
Ronald Gläser

Walter Momper feiert sein Comeback. Eine satte 57-Prozent-Mehrheit der Berliner SPD-Mitglieder nominierte statt Fraktionschef Klaus Böger unerwartet Walter Momper zum Spitzenkandidaten für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus im kommenden Oktober.

Ganz überraschend kam der Siegeszug des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters allerdings nicht. Drei Tage vor der Wahl traf sich Gerhard Schröder mit ihm zum Essen, was trotz gegenteiliger Beteuerung von beiden Seiten als Zeichen der Unterstützung gewertet wurde. Schließlich sprach sich auch noch Innenminister Schily für den Mann mit dem roten Schal aus, wodurch Momper endgültig in den letzten vier Tagen vor der Vorwahl am vergangenen Sonntag die Schlagzeilen der Hauptstadt dominieren konnte.

Der Sieg Mompers resultiert unter anderem aus dem guten Abschneiden in den Ostbezirken, wo bis zu 85 Prozent der Genossen den Ex-Regierenden favorisierten. Klaus Böger setzte sich nur in den beiden großen, als rechts geltenden Bezirksverbänden Reinickendorf und Neukölln durch.

Auf der großen Wahlparty im Willy-Brandt-Haus in Berlin verkündete der frischgebackene Kandidat dann auch gleich den Anfang vom Ende der Großen Koalition in Berlin: "Ich bin wieder da" und "Eberhard Diepgen ist weg vom Fenster" verkündete er lauthals und unter dem frenetischen Beifall der Hauptstadtgenossen. Momper, dessen Amtszeit 1990 wegen der Wiedervereinigung vorzeitig geendet hatte, will die SPD aus der politischen Bedeutungslosigkeit und dem 23-Prozent-Getto befreien, in dem sich die Sozialdemokraten seit 1995 befinden.

Enttäuschung herrschte dagegen im Lager der Bögerianer. Hochrangige Funktionäre, die sich im Vorfeld der Abstimmung für Klaus Böger ausgesprochen hatten, bekamen den Unmut der linken Parteibasis zu spüren und wurden ausgebuht. Der sichtlich enttäuschte Fraktionschef erklärte, sich mit aller Kraft für den neuen Frontmann der SPD einsetzen zu wollen: "Zwischen meine Person und Walter Momper paßt kein Blatt Papier."

Einige enttäuschte Parteimitglieder haben allerdings bereits angekündigt, keinen Wahlkampf für Momper machen zu wollen. Dem Diplom-Politologen werfen sie seine Machtbesessenheit, seine Egozentrik und windige Immobiliengeschäfte vor. Wie tief die Sozialdemokraten aufgrund der Mitgliederentscheidung gespalten sind, wird sich im Laufe des Jahres zeigen müssen, so ein politischer Beobachter.

Um die Einigkeit der Partei wiederherzustellen, erklärten der SPD-Landesvorsitzende Detlef Dzembritzki und sein Landesgeschäftsführer Norbert Meissner, beide erklärte Böger-Anhänger, am Tage nach der Wahl ihren Rücktritt. Momper lehnte allerdings den ihm angebotenen Parteivorsitz ab und schlug Umweltsenator Peter Strieder als Nachfolger Dzembritzkis vor. Der SPD-Landesausschuß nominierte Strieder noch am selben Tag bei nur einer Gegenstimme zur Wahl auf dem Ende Januar stattfindenden Sonderparteitag. Außerdem steht der Kandidatur Mompers für das Abgeordnetenhaus im bürgerlichen Bezirk Reinickendorf nichts mehr im Wege, weil der dortige Bezirksvorsitzende auf diese Position verzichtete. Das schnelle Handeln der Parteispitze zeigt, wie wichtig den Sozialdemokraten der Eindruck innerer Geschlossenheit ist.

Freude herrschte auch bei CDU und FDP. CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky sprach von einer "guten Entscheidung für die CDU und einer schlechten Entscheidung für Berlin". Das bürgerliche Lager habe eine wirkliche Steilvorlage erhalten, denn Momper sei den West-Berlinern noch in guter Erinnerung. 1990 konnten CDU und FDP im Westteil der Stadt einen ihrer größten Wahlsiege erringen. "Walter Momper polarisiert, das können wir zu unseren Gunsten ausnutzen", hieß es bei der CDU. Zudem befänden sich die Genossen aufgrund des Ergebnisses und der Rücktritte in "partieller Auflösung".

Auch FDP-Vertreter begrüßten die Entscheidung. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Axel Hahn sieht jetzt eine CDU-FDP-Koalition wieder "in greifbarer Nähe", weil die Wahlchancen des bügerlichen Lagers insgesamt und besonders die der Liberalen gestiegen seien. Bei der Wahl vor vier Jahren war die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.


 
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