© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/99 22. Januar 1999


Zeitschriftenkritik: "Ossietzky"
Verbissen und ängstlich
Werner Olles

Die entscheidende Frage, ob die (post)marxistische Linke ihre kulturpolitische Hegemonie verloren habe und ob 1989 realiter ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat, beantwortete Ossietzky, die in Hannover erscheinende "Zweiwochenschrift für Politik/Kultur/Wirtschaft" mit dem Aufruf zur Herausbildung eines parteiübergreifenden Diskurses, der die alten Selbstblockaden der Linken überwinden soll. Da dies bislang offensichtlich nur ansatzweise gelungen ist und selbst die Bündnisgrünen seit ihrer Einbindung in die rot-grüne Regierungskoalition nur noch wenig Neigung zu außerparlamentarischen Aktionen zeigen, will man hier verstärkt die alte Bündnispolitik linkssozialdemokratischer, unabhängiger marxistischer und kommunistischer Kräfte wiederbeleben.

Zum Herausgeberkreis der Zeitschrift gehören Arno Klönne, Eckhard Spoo, Otte Köhler, Reinhard Kühnl und Rolf Gössner, zu den regelmäßigen Autoren zählen neben Gerhard Zwerenz, Norman Peach, Dietrich Kittner, Emil Carlebach und Lorenz Knorr auch der österreichische Dramatiker Peter Turrini und Daniela Dahn. Allein die Namen der Herausgeber und Mitarbeiter von Ossietzky stehen für eine politische Programmatik, die ihre Positionen auch nach 1989 ungebrochen fortgeführt hat. Einerseits wirken diese dezidierten Überzeugungen jener alten BRD-Linken unter den Bedingungen der neoliberalistischen Globalisierung und dem sozialen Autoritarismus der Neo-Sozialdemokratie auf eine gewisse sympathische Weise verstaubt und antiquiert, andererseits verhindert ihr pessimistischer und teilweise verbissener Tonfall das Herauskommen aus einer Vergangenheit, von der die marxistische Linke bis heute annimmt, sie sei 1989 an ihr Ende gekommen.

Selbstverständlich ist Ossietzky froh und erleichtert, die Kohl- Regierung losgeworden zu sein. Mit dem ständigen Insisitieren auf einen Politikwechsel nach dem Regierungswechsel demonstriert man aber nur seine eigene Ängstlichkeit. Dabei hätte man nur beim Ahnherrn Carl von Ossietzky nachschlagen müssen, der nach dem Wahlsieg der SPD 1928 in der legendären Berliner Weltbühne schrieb: "Sozialismus bei der Sozialdemokratie suchen, das hieße, von einem Brombeerbusch Bananen verlangen... Sie lebt nur noch von einer lieberalistischen Gelegenheitsmacherei."

Leider ist aber Ossietzky nicht die legitime Nachfolgerin der Weltbühne, ist Otto Köhler kein Kurt Tucholsky und Reinhard Kühnl kein Kurt Hiller. Wie zum Beispiel Arno Klönne die Walser-Rede in der Paulskriche gleichzeitig als "rhetorisches Kunststück" und Heimfindung "ins Reich des öffentlich sich nicht ausweisenden persönlichen Gewissens" lächerlich macht und großzügig konzediert, Walser sei zwar kein "Auschwitz-Leugner, und vermutlich will er es auch nicht werden", das ist eine schlimme Polemik und wird der Debatte, die mit Gewißheit ihre Fortsetzung finden wird, in keiner Weise gerecht.

"Ossietzky" erscheint zweiwöchentlich. Einzelpreis 4,50 DM, Jahresabo 100 DM. Abos bei Interdruck Berger GmbH, Ossietzky Abo-Service, Vordere Schönewerth 21, 30167 Hannover


 
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