© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Karlsruhe: Bundesverfassungsgericht macht familienpolitisch Druck
Ein Ende des Aussitzens
Mina Buts

Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Bundesregierung war die Erhöhung des Kindergeldes für das erste und zweite Kind eines Erziehenden um jeweils 30 Mark auf 250 Mark. Damit war ein zentrales Wahlversprechen eingelöst, weitere Verbesserungen zugunsten der Erziehenden standen vorerst nicht zur Debatte.

Daß die Regierung nun ab 1. Januar 2000 den Familien gravierende weitere Entlastungen gewähren muß, die sich nach vorsichtigen Schätzungen auf bis zu 22,5 Milliarden Mark jährlich summieren könnten, war nicht geplant und ist dem Bundesverfassungsgericht zu verdanken. Dies entschied die Klage von fünf Familien dahingehend, daß die bislang praktizierte finanzielle Bevorzugung von Alleinstehenden mit Kindern gegenüber den Verheirateten verfassungswidrig und damit änderungsbedürftig ist.

Der grundgesetzliche Schutz von Ehe und Familie, so das Gericht, gewährleistete die Freiheit, "über die Art und Weise der Gestaltung des ehelichen und familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden"; Ehepaare dürften nicht wegen ihrer Ehe und Familie von Steuerentlastungen, wie sie Alleinstehenden gewährt werden, ausgeschlossen werden. Da die Leistungsfähigkeit von Familien durch den Kinderbetreuungsbedarf gemindert würde, müsse dieser in der von den Eltern gewählten Form ermöglicht und gefördert werden. Kindererziehung sei eine Leistung, die auch im Interesse der Gemeinschaft liege.

Die von allen Parteien vielbeschworene Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie sowie die Wahlfreiheit zwischen beiden wird damit – endlich – mit Leben erfüllt, ohne daß die Politik viel dazu beigetragen hätte.

Bislang gilt, daß nur Alleinerziehende Betreuungskosten, die beispielsweise durch Erwerbstätigkeit entstehen, in Höhe von bis zu 4.000 Mark für das erste und 2.000 Mark für jedes weitere Kind steuermindernd geltend machen können. Gleichzeitig erhält ein Großteil der Alleinerziehenden vom Jugendamt einen Zuschuß zu diesen Kosten von bis zu 500 Mark monatlich. Mit einem Haushaltsfreibetrag in Höhe von 5.616 Mark sollen die erhöhten Aufwendungen für Wohnung und Haushalt zugunsten der Kinder Alleinstehender aufgefangen werden.

Für Verheiratete gibt es solche Vergünstigungen nicht: Gleichgültig, ob nur ein oder beide Elternteile berufstätig sind, Kinderbetreuungskosten sind in jedem Fall Privatsache. Nicht einmal Fahrten zu einer Tagesmutter können steuerlich geltend gemacht werden, von einem Haushaltsfreibetrag zur Deckung des durch Kinder entstehenden Mehrbedarfs ganz zu schweigen.

Dies muß sich nach den Vorgaben des obersten Gerichts im kommenden Jahr ändern. Es hat der Bundesregierung aufgegeben, bis dahin eine Lösung zur Gleichstellung von Kindern aus ehelichen Gemeinschaften mit den Nichtehelichen zu finden, andernfalls würde auch für diese ein Freibetrag von 4.000 Mark für das erste und je 2.000 Mark für jedes weitere Kind zur Deckung des Betreuungsbedarfs gelten. Dabei sei es – im Gegensatz zur bisher praktizierten Regelung – unerheblich, ob für die Betreuung von Kindern tatsächlich Kosten entstünden oder ob diese ausschließlich von den Eltern erzogen würden.

Ab dem 1. Januar 2002 wird es darüber hinaus – analog dem Haushaltsfreibetrag für Alleinstehende – einen Erziehungsfreibetrag für alle Eltern geben. Hier wird – falls der Bundestag bis zu diesem Termin keine andere Lösung gefunden hat – automatisch der bislang für Unverheiratete geltende Freibetrag in Höhe von 5.616 Mark (für das erste Kind) zugrunde gelegt, der für weitere Kinder entsprechend modifiziert werden soll. Durch diese Neuerungen dürften Familien mit einem Kind um bis zu 4.800 Mark, für jedes weitere Kind um jeweils 1.000 Mark jährlich entlastet werden.

Trotz der mit dem Urteilsspruch verbundenen immensen Kosten begrüßten alle Parteien das Urteil. Auch die CDU scheint sich zu freuen, obwohl sie selbst 16 Jahre lang Zeit gehabt hätte, der jetzigen Entscheidung vorzugreifen.

In den vergangenen Jahren war die damals noch CDU-geführte Bundesregierung mehrfach von den Verfassungsrichtern ermahnt worden, den Belangen der Kinder und der Familien in Deutschland Rechnung zu tragen, sei es beim Thema Abtreibung oder bei der finanziellen Belastung der Familien. Erst 1996 hatte es eine Modifizierung im Steuerrecht zugunsten der Familien und Alleinstehenden mit Kindern gegeben. Der bis dahin geltende "Familienlastenausgleich" wurde von einem "Familienleistungsausgleich" abgelöst; die bei Kohls Regierungsantritt erfolgte einkommensabhängige Kindergeldkürzung mußte zurückgenommen werden, denn – so hatte das Bundesverfassungsgericht befunden – das Existenzminimum müsse nicht nur den Erwachsenen, sondern auch den Kindern freigestellt werden. Die Erhöhung des Kindergeldes auf 200 Mark für die ersten beiden, 300 Mark für das dritte und 350 Mark für das vierte und alle weiteren Kinder war die Folge. Auch den Handlungsbedarf bei der Kinderbetreuung hat die Regierung Kohl durchaus erkannt. Sie sorgte für eine Kindergartenplatzgarantie, obgleich deren praktische Umsetzung bis heute hapert, und versuchte, mit einer steuerlichen Vergünstigung die Beschäftigung von Hauspersonal und damit auch privaten Betreuungspersonen zu fördern.

Seit 1997 können Privathaushalte die Kosten für die Beschäftigung einer Haushaltshilfe in Höhe von bis zu 18.000 Mark jährlich steuerlich geltend machen. Dies gilt aber nur dann, wenn diese sozialversicherungspflichtig beschäftigt wird und mehr als 620 Mark verdient. Es verwundert nicht, daß diese Neuerung nahezu resonanzlos und der Bereich der privaten Tagespflege ein Schwarzmarkt blieb.

Längst hätte der Gesetzgeber auch Verheirateten eine steuerliche Geltendmachung der Kinderbetreuungskosten zugestehen – und damit gleichzeitig bei den Tagesmüttern Steuern und Sozialabgaben erheben können. Diese wären sozial abgesichert gewesen, der "Betreuungsbedarf" hätte nicht erst von den Hütern der Verfassung angemahnt werden müssen.

Offen bleibt, in welchem Ausmaß die allfällige Gegenfinanzierung die Entlastung der Familien zurücknehmen wird. Die Regierung Schröder hat die Möglichkeit, sich durch die Umsetzung der Auflagen familienpolitisch zu profilieren, ohne daß die Initiative von ihr ausgegangen wäre.


 
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