© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Zeitschriftenkritik: "Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt"
Christlich verbrämt
Philip Plickert

"Kirche kontra Zeitgeist" hämmert der Titel einer Streitschrift, für die der Stocker-Verlag per Anzeige im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt wirbt. Die Irrtümer linkslastiger Modechristen und deren Hang zur Anpassung an den Zeitgeist werden aufgespießt. Der Stocker-Verlag erscheint wie der Rufer in der Wüste, denn das Sonntagsblatt kann man als die christlich verbrämte Zeitgeist-Postille par excellence bezeichnen. Daraus macht die Redaktion auch kein Hehl: "Es wäre mehr als töricht, wenn sich gerade die Kirche als bremsende Kraft erwiese und sich weigerte, überfällige gesellschaftliche Entwicklungen angemessen mitzuvollziehen." Nicht gegensteuern, sondern regelrecht beschleunigen will das Sonntagsblatt den Wertewandel: mit Volldampf in die schöne neue Welt!

Neben Fragen des Glaubens widmet sich das protestantisch geprägte Blatt mit Leidenschaft der Politik. Warum nur wurde aus den bundesweiten Studentenstreiks im Dezember ’97 kein zweites ’68, fragt traurig das DS und mutmaßt: "Falsch getimt" (sic!). Das Blatt zieht drei handverlesene Experten heran, erstaunlich nur, daß ausgerechnet die Sprecherin des marxistischen "Linksruck" als angeblich repräsentative Studentin zu Wort kommt – für das DS offensichtlich eine kompetente Gesprächspartnerin.

Chefredakteur Arnd Brummer ist in der FDP politisch aktiv. Er mag noch so sehr die schleichende Aufwertung der PDS beklagen, auch sein Blatt wirkt an der Rehabilitierung der SED-Nachfolgerin mit. "Antikommunismus ohne Kommunisten ist sinnlos und wohl auch ein wenig kleinlich", verkündet SPD-Veteran Erhard Eppler via DS. Ach ja, kleinlich? Eppler plädiert für mehr Großzügigkeit etwa im Fall der Autorin Daniela Dahn. Zu diesen Zeilen bringt das Sonntagsblatt ein sympathisches Photo der Schriftstellerin und erklärt, sie sei "besser als ihr Ruf".

Das Sonntagsblatt lebt christliche Tugenden wie Vergeben und Toleranz allwöchentlich vor. Ein Kopftuch-Verbot für muslimische Referendarinnen an deutschen Schulen findet es unzeitgemäß, und ein Minister-Eid ohne den Verweis auf Gott gilt ihm gar als Zeugnis besonderer Religiösität. Doch nicht alle Leser vermögen dem stramm aufklärerischen Kurs zu folgen. In Leserzuschriften kritisieren sie, diese Art von Toleranz grenze an Beliebigkeit. Beim Thema Homo-Ehen kann das Sonntagsblatt nicht oft genug vor der "fundamentalistischen Lesart einiger Bibelstellen" warnen; es bleiben die Ewiggestrigen, die sich der DS-Einsicht verweigern, man dürfe die (klassische) Familie nicht zur Norm erheben. Quasi als abschreckendes Beispiel erscheint von Zeit zu Zeit ein Leserbrief wie aus dem finstersten Mittelalter: eine Diakonisse und ein Seelsorger bekennen, daß sie Prostitution als eine Perversion ansehen, und meinen, die Aufwertung einer "psychopathologischen Verhaltensweise" zum Beruf verbiete sich von selbst. Man sieht, es gibt noch viel Arbeit für die fleißigen Aufklärer vom Sonntagsblatt.

"Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt", Mittelweg 11, 20149 Hamburg


 
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