© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Integration ins Nichts
von Hans Hirzel

Ich bin hartes gewöhnt. Aber die Aussagen, die Herr Peter Altmaier, CDU-MdB, im Interview der JF-Ausgabe vom 15. Januar macht, gehören zum Schlimmsten, was ich je las. Um so dankbarer muß man der JF sein, daß sie uns mit diesem Interview die Möglichkeit gibt, zu erfahren, daß Auffassungen, wie sie Herr Altmeier äußert, in der CDU von Leuten mit Einfluß vertreten werden.

Zu einigen Details bei Altmaier: Das Elend fängt bei ihm damit an, daß er zwischen Mitbürgern, die mit allen Rechten und Pflichten zu uns gehören, und Gästen, die lediglich, arbeitend oder nichtarbeitend, in unserem Land sich aufhalten, nicht den geringsten Unterschied macht. Wer einmal unsere Landesgrenze uberschritten hat, ist für ihn sofort unser "Mitbürger", gleich, wie er sich verhält und aufgrund welcher Motive er zu uns kam, und kann als "Mitbürger" auf volle Beachtung seiner Ansprüche rechnen. Auch wird nach der von Herrn Altmaier vertretenen Ideologie jeder, der rein physisch bei uns ist, eine "Bereicherung", ohne Unterschied. Daß wir als Volk unter anderem eine Schicksalsgemeinschaft sind und daß es für uns eine Rolle spielt, ob jemand, der mit allen aktiven und passiven Rechten bei uns mitregieren will, sich zur deutschen Schicksalsgemeinschaft zählt oder nicht – was jedenfalls bis vor kurzem seinem Parteifreund Marschewski noch geläufig war – diese Sehweise scheint bei Herrn Altmaier verlorengegangen zu sein.

Daß viele Zuwanderer tatsächlich eine Belastung sind und der Zuwanderungsdruck eine Gefahr darstellt, scheint Herrn Altmaier nicht zu interessieren. Bassam Tibi interessiert es, Altmaier offenbar nicht. Wenn Schily mit Blick auf die Zuwanderungen sagt, "die Grenze der Belastbarkeit" sei "überschritten", so erfahren wir von Altmaier, der dies zitiert, nicht, ob er in seiner Eigenschaft als CDU-MdB diese Auffassung teilt oder nicht. Er vermeidet in diesem Punkt jede Äußerung zur Sache. Statt dessen sagt er zu Schily, dieser habe "uns" (=die CDU) mit dieser These "populistisch überholt". Er sagt, seine Partei habe es "versäumt, die Ängste der Menschen vor Zuwanderung rechtzeitig auszuschalten". Dies ist die Sprache des Demagogen, der sich über Sachprobleme gar nicht mehr ernsthaft den Kopf zerbricht, sondern nur noch überlegt, wie sich in einer ständig sich wandelnden Situation der Wählerstimmenfang erfolgreich betreiben läßt. Nicht das psychologische Faktum irgendwelcher "Ängste" ist das, was einen verantworlich denkenden Politiker interessieren sollte, sondern die realen und erkennbar uns bevorstehenden mit der Zuwanderung zusammenhängenden Probleme, die beim deutschen Bürger, der wirklich einer ist, nur allzu begründete Besorgnisse hervorrufen. Herr Altmaier nimmt diese Besorgnisse ebensowenig ernst wie deren reale Ursachen, für ihn existieren hier nur "Ängste", die "rechtzeitig auszuschalten" wir (=die CDU) "nicht geschafft haben."

Für Herrn Altmaier ist allein das wichtig, was er "Integration" nennt. Aber Integration muß, wenn sie stattfinden soll, Integration in etwas sein, und dieses Etwas ist für Herrn Altmaier etwas völlig Vages und fast beliebig Wandelbares, weshalb, folgt man seinem Denken, "Integration", wie er es meint, nicht Einfügung des Zugewanderten ins Deutschtum bedeutet; der zur Integration Eingeladene hat, nach Altmaiers Vorstellungen, kaum ernsthafte Integrationsleistungen mehr zu erbringen. "Hinwendung zum Deutschtum" ( die bisherige Formel) und Verzicht auf Einordnung in konkurrierende Loyalitäten sind nicht mehr erforderlich. Der in Deutschland Geborene soll automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten ohne Rucksicht darauf, ob die Eltern deutsche Staatsangehörige sind und welchem Volkstum sie angehören, d.h., gleichgültig, wie diese Kinder durchs Elternhaus gepragt werden. Nach Erreichen der Volljährigkeit sollen sie sich allerdings zwischen deutscher und ausländischer Staatsangehörigkeit entscheiden müssen. Also doch keine Mehrstaatlichkeit, die Herr Altmaier dann wenige Sätze spater als ganz unbedenklich hinstellt. Er nimmt keine Rücksicht darauf, daß deutsche Staatsangehörigkeit nach jetzigem Verfassungsrecht im Unterschied zum Verfassungsrecht anderer Staaten nicht mehr entzogen werden kann. Gleichgültig, ob irgendeine der noch aufrechterhaltenen Integrationserfordernisse erfüllt ist oder nicht, ob der Betreffende sich seinen Lebensunterhalt verdienen kann oder nicht, ob er "hinreichende Deutschkenntnisse" hat oder nicht, ob er sich "zu den Grundsätzen unserer Verfassung bekennt" oder nicht, dem Betreffenden verbleiben die ihm bei Geburt geschenkten deutschen Staatsbürgerrechte, sofern er nur an ihnen festhält. Herr Altmaier meint, das bei Geburt geschenkte deutsche Staatsbürgerrecht führe ganz von selbst zur Loyalität. Was spricht denn dafür – vor allem, wenn der Betreffende in einem Umfeld aufwächst, das seinerseits nicht im geringsten von einer solchen Loyalität geprägt zu sein braucht?

Herr Altmaier sagt, "die Reform" (Welche? Hat er sich mit den Plänen von Rot-Grün bereits vollständig abgefunden?) werde "keinesfalls dazu führen, daß Menschen ohne eigene Ressourcen neu in unser Land kommen können." Wenn aber ein Eingedeutschter sich als Ehepartner jemanden aus seiner nichtdeutschen Heimat erwählt, erwirbt dieser Partner deutsche Rechte, einschließlich der Rechte aus dem hiesigen Sozialrecht. Auf die Erfüllung irgendwelcher Integrationserfordernisse kommt es dann nicht mehr an, nur noch darauf, daß der oder die Betreffende durch Heirat Familienangehörige eines, im staatsrechtlichen Sinn, Deutschen wurde. So schon die jetzige Lage. Das Altmaier’sche Versprechen, daß durch "die Reform keine Menschen ohne eigene Ressourcen neu in unser Land kommen", ist reine Windbeutelei.

Ein schützenswertes kulturelles Erbe, das für unser Gemeinschaftsleben wichtig ist, scheint in Deutschland für Herrn Altmaier nicht mehr zu existieren. Für ihn entscheiden "letztlich die Menschen, die in Deutschland zusammenleben, auch gemeinsam, was ihre Kultur ist." Egal, was dies ist, Herr Altmaier scheint schon im voraus damit zufrieden zu sein. Aus welchen Traditionen und aus welchen Motiven diese Menschen kommen, ist für ihn belanglos. Irgendwelche Mindestvoraussetzungen dafür, daß man mitbestimmen darf, was unsere Kultur ist, werden von Herrn Altmaier nicht mehr genannt. Er sieht jedoch den Zusammenhang zwischen Verfassungswirklichkeit und deren kulturellen Voraussetzungen. Sind letztere beliebiger Veränderung preisgegeben, kann es auf Dauer auch schwerlich mehr einen Grundbestand von Verfassungsgrundsätzen geben, an denen festzuhalten "die Menschen in unserem Land" sich gemeinsam verpflichtet fühlen. Das "Bekenntnis zu unserer Verfassung", das auch Herr Altmaier fordert, dürfte darum, wird der Altmaier-Kurs verwirklicht, nur noch wenig praktische Bedeutung haben. Wie veränderlich Verfassungsgrundsätze für Herrn Altmaier sind, wird gegen Ende seiner Darlegungen deutlich. Man kann keine Grenze erkennen, ab der Herr Altmaier Verfassungsänderungen, wie umstürzend sie auch wären, nicht mehr akzeptieren würde.Herr Altmaier spricht von "Demokratie"; aber dies setzt voraus, daß es das "demos", das Volk nämlich, gibt, während doch offensichtlich für Herrn Altmaier gegen dessen Abschaffung keine Einwände mehr bestehen.

Was für ein Haufen von Gegensätzen, die hier zusammengeschwätzt werden! Herr Altmaier weist mit Bedauern darauf hin, seiner Partei ermangle das Lösungskonzept. Da hat er recht. Seltsam nur, daß er dies an seiner Partei kritisiert, aber für sich selbst keine Verpflichtung zu sehen scheint, ein solches Konzept zu liefern.

 

Hans Hirzel, 74, stand als Mitglied der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" 1944 vor dem Volksgerichtshof; in den fünfziger Jahren Mitarbeit bei den Frankfurter Heften, anschließend Privatsekretär von Walter Dirks und wissenschaftlicher Assistent an Adornos Frankfurter Institut für Sozialforschung. Heute Stadtverordneter der Republikaner in Wiesbaden.


 
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