© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Familienpolitik: Das Bundesverfassungsgericht zwingt die Regierung zum Handeln
Karlsruhe bringt Bonn in die Bredouille
Gerhard Quast

Daß das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Familienbesteuerung von vor zwei Wochen zügig umzusetzen ist, darüber hat das Gericht den Gesetzgeber nicht im Zweifel gelassen: Noch in diesem Jahr muß eine Gleichstellung von Kindern aus ehelichen Gemeinschaften mit nichtehelichen erfolgen. Andernfalls müßte für diese mit Wirkung vom 1. Januar 2000 an ein Familienfreibetrag von 4.000 Mark für das erste und je 2.000 Mark für jedes weitere Kind gewährt werden. Hinzu käme vom 1. Januar 2002 an ein Haushaltsfreibetrag in Höhe von 5.616 Mark.

Will die rot-grüne Bundesregierung also die Gestaltungsspielräume nutzen, die das Gericht dem Gesetzgeber zur Umsetzung gelassen hat, ist Eile geboten. Ein "Familien-Entlastungsgesetz" muß her, und zwar eines, das die Karlsruher Mindestanforderungen zwar erfüllt, aber gleichzeitig das Haushaltsloch möglichst klein hält. Denn die finanziellen Folgen, die das Urteil haben könnte, sind enorm: Während das Bundesfinanzministerium von einem Finanzierungsbetrag von immerhin 22,5 Milliarden Mark ausgeht, wird die Familienentlastung nach Schätzungen des Deutschen Steuerberaterverbandes sogar 40 Milliarden Mark kosten.

Als Varianten zur Umsetzung des Richterspruches sind zur Zeit drei Möglichkeiten im Gespräch: eine Erhöhung des Kindergeldes, eine Anhebung der Freibeträge oder eine Mischlösung aus beiden. Im Moment gibt es sowohl Kindergeld als auch einen Kinderfreibetrag. Anspruch auf Kindergeld haben alle Eltern, unabhängig von ihrem Einkommen. Für das erste und zweite Kind erhalten sie seit 1. Januar 1999 jeweils 250 Mark, für das dritte Kind 300 Mark und für jedes weitere Kind 350 Mark. In den Genuß des Kinderfreibetrages kommen gegenwärtig lediglich Eltern, deren Jahreseinkommen 150.000 Mark übersteigt und die deshalb einem relativ hohen Steuersatz unterliegen. Der Freibetrag in Höhe von 6.912 Mark wird aber nur alternativ zum Kindergeld gewährt.

Gegen "eine bloße Anhebung der Freibeträge" spricht nach Ansicht der bündnisgrünen Finanzexpertin Christine Scheel, daß damit die Besserverdienenden bevorteilt würden und "die Bezieher kleiner Einkommen von einer solchen Regelung nicht profitieren könnten". Denn Ehepaare, die wenig oder gar keine Steuern zahlen – wie beispielsweise Studenten oder Arbeitslose – würden vollkommen leer ausgehen. Höhere Freibeträge brächten ihnen nicht eine einzige Mark mehr in die Haushaltskasse. "Deswegen wäre natürlich ein Kindergeld vorzuziehen", betont der Bund der Steuerzahler (BdSt). Ähnlich sieht das auch das SPD-Präsidium.

Unklar ist jedoch, wie hoch das Kindergeld sein müßte, um als Äquivalent zu den Vorgaben des Gerichts akzeptiert zu werden. Konkret äußern will sich die Regierung dazu derzeit noch nicht. "Wir rechnen noch", heißt es zu den Spekulationen über eine Anhebung des Kindergeldes. In Koalitionskreisen machen derweilen bereits erste Zahlen die Runde: Von einer Anhebung des Kindergeldes um 50 Mark auf dann jeweils 300 Mark für das erste und zweite Kind ist zum Beispiel die Rede.

Ob sich damit allerdings der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts zufrieden gibt, ist fraglich. Denn bei einer Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern und einem zugrundegelegten Steuersatz von 40 Prozent würde der von Karlsruhe vorgesehene Freibetrag einer Kindergelderhöhung von jährlich 2.400 Mark entsprechen. Das aber wären 100 Mark pro Kind. Das seit Januar 1999 gezahlte Kindergeld in Höhe von jeweils 250 Mark für das erste und zweite Kind müßte also nicht etwa um 50 Mark, sondern um insgesamt 100 Mark auf dann 350 Mark aufgestockt werden.

Davon will die Bundesregierung aber verständlicherweise nichts wissen, denn eine solche Kindergelderhöhung ist bei der derzeit angespannten Haushaltslage – und den Unwägbarkeiten bei der ersten Stufe der ökologischen Steuerreform – ohnehin nicht finanzierbar. Alle mit der Familienentlastung zusammenhängenden Fragen – einschließlich der ohnehin anstehenden Neuregelung des Ehegattensplittings und der eigentlich für 2002 vorgesehenen Erhöhung des Kindergeldes um zehn Mark pro Kind – wurden deshalb bei der anstehenden Steuerreform ausgegliedert. Sie sollen nach den Plänen der Bundesregierung in einem eigenen Gesetzentwurf zusammengefaßt und noch vor der parlamentarischen Sommerpause vorgestellt werden. Wie die vom Bundesverfassungsgericht festgestellten "Ungerechtigkeiten" beseitigt werden, darauf darf man gespannt sein.


 
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