© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Deutsches Theater: Intendant Thomas Langhoff vor dem Ruhestand
Hauptsache neu und anders
Hans-Jörg von Jena

Deutschlands Feuilletons feixen erbittert über Peter Radunski, den Kultursenator der Hauptstadt. Er hat von Frank Baumbauer den erwarteten, erhofften Korb bekommen. Der Noch-Intendant des Hamburger Schauspielhauses, der sein Amt vorzeitig aufgibt, sah sich von Berlin wie von seiner Heimatstadt München umworben. Höflich und ungerührt hat er sich für die Leitung der renommierten Münchner Kammerspiele entschieden. Für das berühmte, überdies geschichtsträchtige Deutsche Theater wird nun verzweifelt nach einem Intendanten gesucht.

Man könnte denken, es hätte keinen. Aber Thomas Langhoff, der zur Wendezeit das Steuer des Hauses übernahm und es, wie alle Welt (auch der Senator) versichert, gut geführt hat, steht vertragsgemäß bis zum Sommer 2001 an der Spitze des Deutschen Theaters. Er hatte um zwei Jahre Verlängerung gebeten, sie wurden ihm, nachdem er nor noch wenigen Wochen zuvor von der Kulturverwaltung überschwenglich gelobt worden war, plötzlich verweigert. Langhoff, kein Dickhäuter, fühlt sich davon tief verletzt.

Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen, Vertrag sei Vertrag, ein solcher habe nun einmal – Optionen hin, Optionen her – einen Anfang und ein datiertes Ende. Aber so einfach liegt die Sache nicht. Der Intendant räumt selber ein, es sei in den letzten drei, vier Spielzeiten nicht alles optimal gelaufen in seinem Theaterreich. Eine gewisse künstlerische Stagnation sei eingetreten, verglichen mit der ersten Hälfte der Neunziger, als das Deutsche Theater von der Kritikerprominenz zweimal zum "Theater des Jahres" gewählt wurde. Aber er erstrebe und traue sich zu, diese Entwicklung umzukehren. Und eben dafür benötige er zwei weitere Jahre. Langhoffs Plan, mit dem geistvollen Regisseur Luc Bondy und mit seinem in Frankreich heimisch gewordenen Bruder Matthias Langhoff regelmäßig zusammenzuarbeiten, klang dann auch vernünftig und vielversprechend.

Aus ihm wird nun wahrscheinlich nichts. Bloß weil ein zehn Jahre jüngerer, aber seines jetzigen Amts vorzeitig müde gewordener Intendantenkollege einer beschäftigungslosen Zeit entgegensieht? Es ist wohl so. Radunski wollte sich Baumbauer nicht entgehen lassen. Nun steht er da mit überreizten Karten.

Berlins Politik hadert zudem mit Langhoff, weil er in den letzten zwei Jahren defizitär gewirtschaftet hat. Seine Sanierungsstrategie, mit den gekürzten Subventionen künftig auszukommen und zwischen 2001 und 2003 die Schuldenlast von vier Millionen DM abzutragen, war allerdings schon gutgeheißen worden. Langhoff wollte das Haus dem Nachfolger unbelastet übergeben. Er verweist auch darauf, daß die Schulden nicht zuletzt durch sein mutigstes Innovationsprojekt entstanden sind. Die "Baracke", Experimentierfeld der allerneuesten Ekel- und Elendsdramatik meist britischer Herkunft und zudem Tummelplatz des Regienachwuchses, hat es in kaum zwei Jahren zu überregionaler Bedeutung, ja zu Ruhm gebracht.

Auf einmal zählt das alles nicht mehr. Mit Recht spricht Langhoff von "wirrer", "hektischer", auch von "verantwortungsloser" Kulturpolitik. Man habe ihn geradezu ermuntert, für die "Baracke" Geld auszugeben und finanzielle Zusagen nicht eingehalten. Doch es geht nicht eigentlich um Geld. Es geht um das künstlerische Profil des Hauses. Und da geistert schier übermächtig die Vorstellung herum, es müsse "erneuert" werden, und das nicht etwa bloß durch neue, gelungene – und man darf hinzufügen: auch wieder durch zahlreichere – Inszenierungen. Vielmehr brauchte das Ensemble einen Neuanfang.

Genau da liegt der Hase im Pfeffer und das Exemplarische des unerquicklichen Vorgangs. Das Ensemble nämlich, seit eh und je Ruhm und Stütze des Hauses, paßt der gegenwärtig tonangebenden Neuerungssucht nicht in den Kram. Schon – auf Westdeutschland bezogen, muß man verschärfend sagen: längst – ist es atypisch geworden. Man kennt sie kaum noch, die Generationen umgreifende, sich über die Jahre hin mit- und aneinander abarbeitende Künstlergemeinschaft, die den "Geist des Hauses" verkörpert und in der Regel sich nur durch junge Leute erneuert, die in sie hineinwachsen. Und nun will man sie auch nicht mehr. Mode ist vielmehr die "Truppe", die sich unter dem Fähnlein eines Regisseurs zusammenfindet und unter ihm von Stadt zu Stadt zieht, oder sogar die für eine spezielle "Produktion" zusammengeholte Gruppe. Ensemblearbeit hingegen war einst der Stolz des Deutschen Theaters, ganz ausdrücklich auch für Brecht. In der DDR hatte diese Struktur überlebt, sie hat schließlich die DDR selber überlebt. Nun will man ihr "modernisierend" an den Kragen, ohne recht zu wissen, wie und zu welchem Zweck. Hauptsache neu, Hauptsache anders, Hauptsache nach westlichem Muster.

Leicht werden wird das den bestallten Hektikern nicht. Das Ensemble des Deutschen Theaters ist nicht bloß eine Arbeits-, es ist auch eine Gesinnungsgemeinschaft. Und keine willfährige. Die Riesendemonstration vom 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz ist von ihr organisiert worden. Zweimal hat sie ihr von der SED aufgezwungene Intendanten hinausgeekelt. Sie wird sich auch jetzt, wenngleich verspätet, zu wehren wissen. Ob sich unter diesen Umständen überhaupt ein neuer Intendantenkandidat findet?


 
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