© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Vor achtzig Jahren: Konrad Adenauer wollte eine Westdeutsche Republik im Reich gründen
Ein souveränes Rheinland soll sein
Kai Guleikoff

Der Hansa-Saal des Kölner Rathauses war am 1. Februar 1919, einem Samstag, mit Abgeordneten der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, der Preußischen Landesversammlung und Repräsentanten der Rheinlandbewegung gefüllt. Konrad Adenauer, der Oberbürgermeister der damals drittgrößten Stadt im Reich, hatte Politiker der Mehrheitssozialisten (MSPD), der Christlichen Volkspartei (CVP/Zentrum), der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und der separatistischen Rheinlandbewegung eingeladen, um über die politische Zukunft des Rheinlandes eine Entscheidung zu finden.

In dem Diktat des Waffenstillstandes von Compiegne war u. a. zu Papier gebracht worden, daß die alliierten Truppen die "Brückenköpfe in Mainz, Koblenz und Köln" besetzen, um den Einflußbereich zu beiden Seiten des Rheins militärisch zu sichern. Das französische Hauptkriegsziel, Revanche für den verlorenen Krieg von 1870/71 zu nehmen und die Rückgewinnung von Elsaß-Lothringen zu erreichen, konnte damit verwirklicht werden.

Doch damit war der Appetit nicht gestillt worden. Im Zuge einer Demontage Preußens "als Hort des deutschen Militarismus" sollten die preußischen Rheinprovinzen "französisiert" werden. Poincare und sein Statthalter in Koblenz, der Präsident der Hohen Interalliierten Rheinlandkommission Henri Tirard, suchten dafür deutsche Kollaborateure für die Ausrufung einer Rheinischen Republik und deren Abspaltung vom Reich. Wie zu allen Zeiten in deutschen Landen, fanden sich auch damals Aktivisten des Separatismus, um regionale und persönliche Machtgelüste zu befriedigen. Die Rheinlandbewegung mit dem ehemaligen Staatsanwalt Dorten an der Spitze bildete sich und suchte ihrerseits einen politisch Prominenten mit überregionaler Bedeutung und Glaubwürdigkeit im Reich und bei den alliierten Siegern. Adenauer ließ sich von Dorten ansprechen und stand mit ihm im Gedankenaustausch.

Der bei der rheinischen Großindustrie und den Banken in hohem Ansehen stehende Kölner Oberbürgermeister war 1917 für zwölf Jahre gewählt worden. Mit seinem Amt verbunden waren Sitz und Stimme im Preußischen Herrenhaus und danach im Staatsrat der Weimarer Republik. Adenauer hatte es bei den harmlos verlaufenden Unruhen des November 1918 in Köln verstanden, seine diplomatische Begabung auch gegenüber dem Arbeiter- und Soldatenrat als Stadtoberhaupt durchzusetzen. Nachdem er ihnen im Rathaus Büroräume und Schreibmaschinen zur Verfügung stellte, wurde Adenauer "Chef des Sicherheitsdienstes des Arbeiter- und Soldatenrats Cöln" und hatte mit seiner roten Armbinde überall Zutritt. Der "Fuchs", wie ihn Bewunderer und Kritiker zeitlebens nannten, vermochte komplizierte Zusammenhänge frühzeitig zu erkennen und in seinem persönlichen Interesse zu nutzen.

Dem Treffen vom 1. Februar 1919 waren zahlreiche vorbereitende Gespräche vorausgegangen. Analysiert wurde auch der Wahlausgang vom 19. Januar 1919 zur Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung. Im Wahlkreis 20 Cöln wurden 13 Abgeordnete gewählt, fast ausschließlich die Vertreter der katholischen Christlichen Volkspartei (CVP/Zentrum) als "Bekenntnis zum Föderalismus und zur christlichen Lebensweise". Im Reichsgebiet erreichte diese Parteienvereinigung aus dem ehemaligen Zentrum (seit November 1918 CVP), der Bayerischen Volkspartei, der Deutsch-Hannoverschen Partei und der Katholischen Volkspartei Oberschlesiens mit 19,7 Prozent Wählerstimmen bei 83 Prozent Wahlbeteiligung die zweitstärkste Position nach den Mehrheitssozialisten (37,9 Prozent). Das Wahlverhalten der 62,3 Millionen Deutschen hatte sich durch Krieg und Revolution nicht wesentlich verändert.

Im Stimmungsbericht aus dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet hieß es dazu: "Starke Beteiligung. Haltung der Massen im allgemeinen ruhig und würdig. In Hamborn, Dinslaken und Walsum Spartakisten-Demonstrationen, in deren Verlauf Wahlurnen und Listen auf der Straße verbrannt wurden." Der große Wahlsieg der MSPD, der Nichtkatholiken oder "Heiden", erschien der rheinischen Herrenrunde um den Bankier Heinrich von Stein und den Wirtschaftsmagnaten Hugo Stinnes als Bevormundung. In diesem "Wirtschaftsausschuß" herrschte "Einstimmigkeit darüber, daß die Rheinisch-Westfälische Republik kommen müsse". Von den 84 rheinischen Interessenvertretern waren 65 der Einladung in das Kölner Rathaus gefolgt. Die Rheinlandbewegung erwartete die Proklamation eines Separatstaates. Die Anwesenden wußten, daß für den 6. Februar 1919 die Verfassungsgebende Deutsche Nationalversammlung nach Weimar einberufen worden war. In der Mitteilung dazu auch hieß es "daß mit der Verlegung des Sitzes der Nationalversammlung in eine Stadt des mittleren Deutschland den Wünschen der Süddeutschen besonders entgegengekommen worden ist, versteht sich von selbst".

Der Ungeist des deutschen Separatismus war in Berlin bereits als Gefahr erkannt worden. Adenauer begründete in seiner "Großen Rheinland-Rede" die Notwendigkeit, dem Hegemonialstaat Preußen ein Gleichgewicht zu schaffen mit der Bildung eines Bundesstaates der "Westdeutschen Republik" im Verbande des Deutschen Reiches. Das war eine klare Absage an Dortens Rheinlandbewegung. Doch so eindeutig legt sich kein "Fuchs" fest. Interessant ist deshalb der Schlußsatz dieses Teiles seiner Ausführungen: "Wie soll diese Initiative ergriffen werden? Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Westdeutsche Republik unbedingt auf dem gesetzmäßigen Wege geschaffen werden muß – wenn wir nicht durch außenpolitische, bis jetzt noch nicht zu übersehende Verhältnisse anders gezwungen sein werden."

Der "gesetzmäßige Weg" wäre eine Vertagung der Gründung bis zur Inkraftsetzung einer Reichsverfassung gewesen, die einen rheinischen Freistaat hätte legalisieren können. Die "außenpolitischen Zwänge" können nur in Handlungen der Siegermächte gedeutet werden, das Rheinland vollständig zu annektieren. Vielleicht hätte sich Adenauer dann an die Spitze der Bewegung "Zurück-zum-Reich" gestellt. Mit dieser Rede erhielt er sich die Gunst aller Mächtigen. Als Vorsitzender des Westdeutschen Politischen Ausschusses löste er selber diese Schattenregierung auf. Ironie der Geschichte: Als Präsident des Preußischen Abgeordnetenhauses von 1920 bis 1933 trug er die Verantwortung für die ungeliebte Hegemonialmacht zwischen Tilsit und Aachen, Beuthen und Flensburg.


 
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