© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Zitate

"In Bonn haben sich politische Grundeinsichten entwickelt, deren Fortbestand äußerst wünschenswert ist. Für mich sind das die Westorientierung Deutschlands, die Überzeugung, daß unsere Politik nur eine europäische Politik sein kann, und auch der gelassene, rheinische Umgang mit der Nation, dieses unaufgeregte, fast bescheidene, nicht nationalistische Selbstbewußtsein. Diese ’Bonner Traditionen‘ sind sehr bewahrenswert. Sie sollen auch von Berlin aus lebendig bleiben. Ich möchte nicht, daß Begriffe mit konservativer oder gar nationalistischer Konnotation daran Zweifel aufkommen lassen."

Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident, in der "Welt" vom 30. Januar 1999

 

 

"Der Reichstag in Berlin hat in Krieg und Frieden schon viel überdauert. Er wird auch den neudeutschen Waschzwang aushalten, der ihm einen neuen Namen geben will. (…) Die Idee, den Reichstag umzutaufen, kommt aus Angst und Ahnungslosigkeit. Angst vor den Geistern der Vergangenheit und Ahnungslosigkeit, daß Reichstage seit dem Mittelalter ernsthafte Parlamente waren, die das Land repräsentierten und der Kaiserlichen Majestät – der des weiland Heiligen Römischen Reiches – vieles abrangen. Auch im Bismarck-Reich war der Reichstag alles andere als eine handzahme Institution."

Michael Stürmer, Historiker, in der "Welt am Sonntag" vom 31. Januar 1999

 

 

"Früher gab es hier kaum jüdische Offiziere oder hohe Beamte, das hat sich sehr geändert. In den fünfziger Jahren war auch der religiöse Antijudaismus noch stark. Er ist praktisch verschwunden. Natürlich gibt es noch Vorurteile und auch die Dummen, die Juden als Fremde betrachten. Aber namentlich unterzeichnete Schmähbriefe erhalte ich nur selten, und die anonymen lese ich nicht."

Ruth Dreifuss, Schweizer Bundespräsidentin, in einem Interview mit dem "Spiegel" vom 1. Februar 1999

 

 

"Was wir befürchten, ist die Verharmlosung dessen, was da geschieht. Wenn man diese Pille ’Medikament‘ nennt, ist das positiv besetzt. Das ist ein Wort für Dinge, die man tut, damit man seine Gesundheit erhält. Und wenn man jetzt Medikamente nimmt, um menschliches Leben zu töten, dann ist das ein schlimmer Sprachgebrauch. Sprachgebrauch prägt Bewußstsein. Auch ein Staat muß um die Bewußtseinsbildung unter seinen Bürgern im positiven Sinne bemüht sein. (...) Ich lehne jede Abtreibung ab.(...) Du hast Dein Gewissen. Wir verkünden dir zwar, was Jesus Christus gesagt hat. Aber er nimmt uns gerade nicht unsere Freiheit, sondern er will eine freie Zustimmung von uns."

Herman Josef Spital, Bischof in Trier, in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau" vom 30. Januar 1999

 

 

"Beim Stichwort ’Berliner Republik‘ wird immer an Geschichte gedacht, im Guten wie im Bösen, an traumhafte ’roaring twenties‘ oder an den Alptraum von Pickelhaube und Stechschritt. Nichts spricht dafür, daß die ’Berliner Republik‘ mit solcher Geschichte viel zu tun haben wird. (…) Nicht die bösen Geister des Gestern sind das Bedrohliche der an der ’Berliner Republik‘, es ist die Zombiehaftigkeit eines schattenlosen Hier und Jetzt und eines gespenstisch wiederkehrenden Fortschrittsglauben. Nicht nur im Sinne des Neuanfangs, sondern auch im Hinblick auf diese historische, politische und intellektuelle Leere wird man den Beginn der ’Berliner Republik‘ mit Fug und Recht als eine Stunde Null bezeichnen können."

Jan Ross in der Zeitschrift "Merkur", Heft 2. Februar 1999


 
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