© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/99 12. Februar 1999


Pankraz,
die Lachforscher und die Comedy am Rosenmontag

Auf dem Kongreß der Gelächter-Forscher, der sogenannten Gelotologen, kürzlich in Basel wurde in besorgtem Tone mitgeteilt, daß die Menschen in den fünfziger Jahren durchschnittlich achtzehn Minuten pro Tag gelacht hätten, während sie heute nur noch sechs Minuten lachten. Das sei "ein Alarmsignal". Denn Lachen stärke das Immunsystem, senke den Cholesterinspiegel und setze "Glückshormone" frei. "Die Gesellschaft", so hieß es in Basel, müsse also unbedingt etwas unternehmen, damit die Menschen endlich wieder mehr lachen.

Was aber tun? Es sind doch jetzt schon an allen Ecken und Enden, vor allem im Fernsehen, Lachsäcke sonder Zahl installiert, es wimmelt von "Comedyshows" und "Lachparaden", und bei all diesen Veranstaltungen wird gelacht, gelacht, gelacht ... Ganz abgesehen davon, daß auch die sogenannten ernsten Dinge des Lebens, besonders die Politik, immer lachhafter werden, bis zum Platzen, mit Komik gefüllt sind, mit durch und durch komischen Figuren, die jeden Hofnarren von anno dunnemals spielend in die Ecke stellen. Weshalb also beim Publikum, das alldem zusieht, dieser beängstigende Rückgang von ehemals achtzehn auf nur noch sechs Lachminuten?

Freilich wäre zunächst einmal zu fragen, wo die Gelotologen ihre Zahlen herhaben. Wie will man denn herausgekriegt haben, daß in den fünfziger Jahren, als es ja noch gar keine "Lachforschung" gab, Tag für Tag achtzehn Minuten lang gelacht worden sei? Das ist doch ein ungeheurer Zeitraum! Man mache bei sich selbst einmal die Gegenprobe: Der Mensch lacht im Laufe des Tages über dies und das, doch immer nur für kurze Augenblicke, die sich nie und nimmer zu Halb- oder Viertelstundenlängen summieren lassen. Wer will denn hier die Meßlatte angelegt haben?

Auch setzt bestimmt nicht jede Art von Lachen Glückshormone frei, von der Senkung des Cholesterinspiegels zu schweigen. Es gibt das bittere Lachen und das höhnische Lachen, das pflichtschuldige Mitlachen und das in Krampf ausartende Sich-tot-Lachen. Außerdem steht es bekanntlich so, daß immer die eine Hälfte der Menschen über die andere Hälfte lacht, so daß sich die Glücks- und Gesundheitszustände letzten Endes ausgleichen. Unterm Strich erweist sich das Lachen als ein Nullsummenspiel.

Doch es könnte schon sein, daß die Lust zum Lachen in den letzten Jahren geschwunden ist, obwohl überall so viele öffentliche Lachnummern abgezogen werden. Oder sollte man vielleicht sagen: Die Lust zum Lachen ist geschwunden, gerade weil so viele offizielle Lachnummern abgezogen werden?

Wenn Situationen, die einstmals nichts als Ernst verbreiteten, in denen es möglicherweise sogar um Tod oder Leben geht, immer häufiger und mit sich steigernder Penetranz als lachhaft hingestellt werden, so reizt das nicht unbedingt zum Lachen. Ein Henker, der sein Handwerk nicht versteht, bleibt ja nicht nur ein Henker, er gewinnt sogar noch an Unheimlichkeit. Er ist, mag sein, lachhaft, doch mag man nicht über ihn lachen.

Hinzu kommt ein Weiteres. In dem berühmten Buch "Le Rire" von Henri Bergson erscheint das Lachen als Reaktion auf die Tölpelhaftigkeit von sogenannten "Raumtretern", die kein Gefühl für die lebendige Zeit haben, keinen "élan vital", keine Schmiegsamkeit. Das bezog sich damals speziell auf die unbeholfenen Bilder des frühen Kinos, auf Charlie Chaplins Watschelgang, auf das maschinenförmige Hampeln der Keystone Cops. Die Bilder selbst waren lachhaft, nicht die von ihnen Abgebildeten.

Inzwischen sind die elektronischen Bilder technisch unheimlich perfektioniert, übertreffen an Schmiegsamkeit und motorischer Eleganz die Realität des Alltags um Längen, machen nun ihrerseits diesen Alltag, im Sinne Bergsons, "lachhaft". Was heute in den vielen medialen "Comedys" passiert, ist dies: Das Medium stellt ungeniert seine Überlegenheit in Sachen "élan vital" aus, schiebt die komische Raumtreterei dem Betrachter zu und macht diesem bewußt (oder halbbewußt), daß kein anderer als er selbst der Depp vom Dienst ist, daß er, wenn er lacht, nur noch über sich selbst lacht. Da mag ihm also das Lachen im Halse stecken bleiben.

Im Grunde, sagt Bergson, können nur die Götter aus reinem Herzen lachen, denn sie sind die absoluten Herren über Zeit und Raum und müssen nicht befürchten, daß man eines Tages über sie selber lacht. Zur Unterhaltung auf ihrem Olymp haben sie sich extra einen aus ihrer Mitte, den hinkenden Hephaistos, zum Lachobjekt erkoren, wie bei Homer in der "Ilias" nachzulesen: "Unermeßliches Lachen erscholl den seligen Göttern,/ Als sie sahen, wie Hephaistos im Saal so gewandt einherging ....". Ähnlich steht es mit den modernen Medien: Die Fülle der Comedyshows dient ihnen in erster Linie zur eigenen Unterhaltung, der Zuschauer ist nur unumgängliches Beiwerk, Quotenbringer, man will, daß er eingeschaltet läßt, nicht unbedingt, daß er auch lacht.

Glücklicherweise gibt es Ausnahmen, die Rosenmontags-Übertragungen beispielsweise (sofern sie nicht eigens für die Medien arrangiert werden), weil hier das Fernsehen selber Zuschauer ist. Die realen Jecken sind noch Tölpel vom alten Schrot und Korn; je weniger sie etwas vorher Eingeübtes aufsagen, je mehr sie – und sei es durch Alkohol beflügelt – sie selber werden und die Sau herauslassen, um so öfter stolpern sie unfreiwillig über die eigenen Füße und steigern allerseits den Lachpegel enorm.

Das Lachen, das sie provozieren, geht natürlich auf ihre Kosten – doch es ist gleichwohl göttliches Lachen, "unermeßlich" im umfassenden Sinne des Wortes, durch keinen Gelotologen exakt meßbar, dafür zweifellos erquickend, Glückshormone freisetzend, das Immunsystem stärkend. Am Aschermittwoch ist aber alles wieder vorbei, und der moderne Lachalltag mit seinen Comedys kehrt zurück.


 
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