© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/99 12. Februar 1999


Biographie: Der Kritiker Friedrich Luft
Ein vertrauter Zeitgenosse
Hans-Jörg von Jena

Im Umgang war er zurückhaltend, fast scheu. Natürlich kannte man ihn, so unauffällig er sich gab. Auf seinem Sessel ließ er Reaktionen selten erkennen. Wie die meisten Kritiker klatschte er nie Beifall, höchstens am Zögern oder an der Eile, mit der er nach dem letzten Vorhang das Parkett verließ, war etwas von seinem Urteil zu ahnen.

Spät, in den achtziger Jahren, habe ich ihn noch persönlich kennengelernt. Der 13. August 1961 lag damals schon fast ein Vierteljahrhundert zurück, aber er blieb und bleibt bis ins Detail unvergessen. Nach durchbummelter Nacht hörte ich früh um sechs in den Nachrichten von dem Unausdenkbaren, das seit drei Stunden im Gange war: Stacheldraht an der Sektorengrenze, der Ost-West-Verkehr unterbrochen, die ersten Mauersteine aufgeschichtet und vermörtelt. Vorbei alle Müdigkeit. Groß die Empörung, noch größer die Ratlosigkeit. Was sollte werden? Man muß unter Menschen in solcher Situation.

Ich fuhr nach Ost-Berlin, unbehelligt. In der Marienkirche predigte um 10 Uhr Probst Grüber, ein honoriger Mann. Aber das Ungeheuerliche, das sich gerade abspielte, erwähnte er überhaupt nicht. Um 11.45 Uhr, ich war gerade vor der Staatsbibliothek Unter den Linden, hielt ich mein Transistorradio ans Ohr. Und siehe da, Friedrich Luft schwieg nicht. Er nannte den Tag einen "der schändlichsten, der unverständlichsten, der widerwärtigsten auf lange Zeit". Er nahm Stellung. Der Theaterkritiker als wacher, spontan reagierender Zeitgenosse. Er zog vom Leder, wie es niemand sonst in diesen Stunden der Ungewißheit wagte. Das brachte Erleichterung. Man fühlte sich nicht mehr allein.

Schon vorher war Friedrich Luft, dessen "Stimme der Kritik" seit 1946 allsonntäglich durch den Äther ging, weil über Berlin hinaus vielen Menschen ein vertrauter Zeitgenosse, beinahe ein Freund. So viel er für Zeitungen schrieb, das Radio war das ihm gemäße Medium. Die helle Stimme, das über Satzgrenzen hinaushastende Tempo, das Stakkato des Vortrags, seine unverwechselbar persönliche Art machten ihn populär bei Zuhörern, die selten oder nie ein Theater von innen sahen.

Sein Urteil erfaßte rasch das Wesentliche, und er sprach es unverblümt aus. Luft hat nach-, er hat aber auch vorausgedacht. Dem Heimkehrer Brecht hat er den Boden bereitet, Beckett für Deutschland entdeckt. Dabei ging es ihm nicht um die abwägende literarische Analyse, sondern zuerst immer um den lebendigen Theateraugenblick. Dem Ereignis, dem Abend wollte er Echo geben. Jeder Theaterpolitik stand er, den wechselnden Bühnenmoden hielt er sich fern.

Man hat ihn zuweilen einen Nachfahren Alfred Kerrs genannt. Daran war, was die Knappheit und Prägnanz seiner Sprache betraf, manches Wahre. Nur blieb Luft frei von den Manierismen und Gespreiztheiten des Vorgängers. Er wurde nicht zum "Kritikerpapst". Bescheiden nannte er sich vor allem einen Reporter. Er war freilich mehr als das: ein Beobachter, der zum Helfer wurde, weil er das, was ihn begeistere oder abstieß, Lesern zum Zuhörern wichtig zu machen wußte.

In seinem Stil prallte das Anspruchsvolle mit dem Berlinerischen aufeinander. Die Methode mag er bei Brecht oder bei Benn gelernt haben. Nur war das Resultat bei ihm nicht lyrisch, sondern humoristisch und von schlagendem Witz. Elvis Presley etwa nannte er einen "effeminierten Schnulzenröchler". Und wie geistvoll konnte er Zitate verstecken! Man mußte als Leser nicht wissen, daß der Satz "Beckett neigt am Ende zum Schönen sich" eine Hölderlin-Wendung aufnimmt, aber wer es merkte, dem machte es Spaß, nicht wahr?

Über Lufts spezifische Sprache, ihr Eigentliches und ihr Uneigentliches, findet sich in Petra Kohses Buch kaum etwas. Dem Mangel werden künftige Untersuchungen abhelfen. Was die junge Theaterhistorikerin (geboren 1966) jedoch beabsichtigt hat, ist ihr gelungen. Sie sagt’s im Untertitel "Friedrich Luft und seine Zeit". Wie ein Kritiker zur Autorität und Vertrauensperson wird, wie er trotzdem ein Einzelgänger bleibt, sein Leben lang der Sache des Theaters verfallen, man liest es hier einmal im Zusammenhang. Und greift dann wieder zu einem der Sammelbände von Lufts luziden Kritiken. Petra Kohse, indem sie Luft in seine Zeit einblendet, macht ihn als Menschen wie als Schriftsteller neu kenntlich.

 

Petra Kohse: Gleiche Stelle, gleiche Welle. Friedrich Luft und seine Zeit. Aufbau Verlag, Berlin 1998


 
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