© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/99 12. Februar 1999


Globalisierung: Themenheft der Zeitschrift "wirselbst"
Verwestlichung der Welt
Werner Olles

Die neue Ausgabe von "wirselbst" liegt inzwischen als Doppelnummer (3-4/98) mit dem Schwerpunktthema "Globalisierung" vor. Der Redaktion ist es auch dieses Mal wieder gelungen, von Jean Ziegler über Dieter E. Zimmer und Hans Magnus Enzensberger bis zu Frank Böckelmann und Bernd Rabehl eine Reihe hervorragender Autoren zu gewinnen.

So beleuchtet Michael Wiesberg, Theologe, Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Landtag von Baden-Württemberg, in seinem Beitrag "Der deutsche Sozialstaat vor dem Hintergrund der Globalisierung" u. a. das von der politischen Klasse verdrängte Tabuthema der Zuwanderung, die Deutschland zum zweitgrößten Einwanderungsland der Welt werden ließ, dadurch enorm zu unserer Arbeitslosigkeit beitrug und inzwischen das Sozialsystem zu sprengen droht.

Charles Champetier, Chefredakteur der Zeitschriften Éléments und Nouvelle école, beschreibt dagegen das Scheitern der amerikanischen und französischen Assimilierungsmodelle, will aber dennoch nicht von einem "Zusammenprallen der Kulturen" sprechen – womit er indirekt dem "Alarmismus" Samuel P. Huntingtons widerspricht – sondern eher von einem "Krieg aller gegen alle". Dieser drohende Konflikt könne jedoch nur durch das "Prinzip der Vielfalt" überwunden werden. Dagegen wäre einzuwenden, daß doch gerade der Balkan-Krieg gezeigt hat, daß nur die Verknüpfung ethnisch-kultureller Gesichtspunkte mit dem Territorialprinzip zur Stabilität einer Region und eines Staates beiträgt.

Der Schriftsteller und Kommunikationswissenschaftler Frank Böckelmann sieht hingegen im Multikulturalismus "die Herablassung der Weißen": "Ohne etwas davon zu wissen, sind Türken, Pakistani, Vietnamesen, Nigerianer und Indios als Entwicklungshelfer der europäischen Lebensfreude tätig." Nur der Westen habe bisher "Prozesse weltweiter Entgrenzung in Gang gesetzt". Folgerichtig definiert Böckelmann den Begriff der Transkulturalität als "ein Synonym für die sogenannte Verwestlichung der Welt".

Dem Thema "Sanfter Tourismus" widmet sich Briga Bohlinger und setzt dabei sowohl auf staatliche Umweltpolitik als auch auf die Bildung "neuer Nachbarschaften" nach dem Vorbild der aus den USA stammenden kommunitaristischen Bewegung. Ob jedoch eine auf vollkommener Vermassung beruhende Individualisierung allein durch "gemeinschaftbildende Institutionen" im Zaum gehalten werden kann? Man muß wohl nicht unbedingt ein autoritärer Etatist sein, um in diesem Zusammenhang auch an repressive Maßnahmen zu denken.

Hanno Borchert führt mit Rüdiger Nehberg, der sich seit fast 20 Jahren für das letzte große Regenwaldvolk, die Yanomami-Indianer, einsetzt, ein sehr spannendes Gespräch. Nehberg, der seine Aktionen gemeinsam mit der "Gesellschaft für bedrohte Völker" durchführt, hatte einst das "Survival"-Thema in Europa populär gemacht. Heute kämpft er für die Rechte indigener Völker, deren Natur- und Stammesverbundenheit er bewundert

Ein Interview des "wirselbst"-Herausgebers Siegfried Bublies mit Arno Klönne macht dagegen nur deutlich, daß linke Intellektuelle, aus welchen Gründen auch immer, offenbar nur sehr schlecht in der Lage sind, ihre gesammelten Fehleinschätzungen – ob zur Wiedervereinigung Deutschlands oder zur angeblich "aggressionslosen Koexistenz verschiedener kultureller Gruppen in unmittelbarem Nebeneinander" – zu revidieren. Klönnes Ausführungen zum "Konzept des Vielvölkerstaates" sind eine Mixtur aus vernunftgesteuerter Volkspädagogik und tränentreibender Sentimentalität, die davon ausgeht, daß prinzipiell grundgute und lernfähige Menschen aller Kulturen, Religionen und Rassen eigentlich doch prima miteinander auskommen müßten. Wo derartiges Wunschdenken Einzug in die Realität des Alltagslebens hält, verschärfen sich die Dramen von ganz allein. Staaten und Nationen als permanenter Ethikunterricht in Überlänge und in edelster Form: pursuit of happiness als multikulturelles Weichspülprogramm.

Den Gegenpart zu Klönne liefert Horst Mahler mit seiner "Flugschrift an die Deutschen, die es noch sein wollen". Mahler bezichtigt die "Frankfurter Schule" angetreten zu sein "mit dem Vorsatz, die geistigen Grundlagen der Deutschen: ihre Religion, ihr Geschichtsbild, ihre Traditionen, ihre Philosophie zu zerstören, um sie ihrer Identität zu berauben". Der Gehorsam gegen die "von den Umerziehern erlassenen Denkverbote" sei "der operative Kern der neoliberalen Ideologie".

Zu ganz ähnlichen Beobachtungen kommt auch Mahlers früherer SDS-Genosse Bernd Rabehl, der "den Fremden, die nach Deutschland fliehen", rät, "sich nicht anzupassen, die eigene politische Identität zu pflegen, um nicht selbst unterzugehen in Dekadenz und Lethargie".

Claus Wolfschlag schildert in seinem Aufsatz "Die Fremden, das sind wir" die desaströsen Konsequenzen der Zuwanderung in Offenbach, der Stadt, die nach Frankfurt am Main den höchsten Ausländeranteil in Deutschland hat. Dabei stellt er auf originelle Weise die gelungene Integration der hugenottischen Religionsflüchtlinge des 16. und 17. Jahrhunderts der offenkundigen Integrationsunwilligkeit der Einwanderer aus dem orientalisch-islamischen Kulturkreis gegenüber.

 

"wirselbst", Postfach 168, 56001 Koblenz. Das Doppelheft kostet 20 DM, Abo für vier Ausgaben 46 DM, Schüler und Studenten 36 DM.


 
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