© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/99 19. Februar 1999


Tragödie einer Stadt
von Dieter Stein

Journalisten belagern in den letzten Tagen die kleine brandenburgische Stadt Guben. Hier ist der 28jähriger Algerier Omar Ben Noui am vergangenen Samstag auf tragische Weise ums Leben gekommen. Deutsche Jugendliche haben ihn und einen Freund verfolgt. Omar Ben Noui tritt eine Wohnungstür ein, die aus Glas besteht. Kein Sicherheitsglas, das in kleine Splitter zerfällt, sondern es bleiben spitze Zacken übrig, an denen sich der junge Mann lebensgefährlich verletzt. Er verblutet.

Auch wenn der Hintergrund des Streites nicht ganz aufgeklärt ist – die Medien haben ihre Geschichte: Rassismus, Arbeitslosigkeit, DDR-Mief. Aus dieser Mischung werden reißerische Storys geschrieben, der Fall ist klar. Im Handumdrehen wird dann der tragische Tod des Algeriers von den wahlkampfführenden Parteien des Landes in politisches Kleingeld gewechselt. Gregor Gysi verkündet, dies sei der erste Tote, der auf das Gewissen der CDU und ihrer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gehe. Brandenburgs CDU-Landeschef Jörg Schönbohm wirft demgegenüber dem Ministerpräsidenten Stolpe vor, ihm komme "ein Aufwind rechtsradikaler Parteien ganz gelegen, um auf diese Weise der Union einige Prozentpunkte abnehmen zu lassen". So kochen nun die Parteien ihr politisches Süppchen auf dem tragischen Vorfall der Stadt Guben.

Was da in Guben vor sich geht – egal, es muß ins Raster passen. Die Pfarrerin der Gubener Kirchengemeinde, Irene Brockes, drückt im Interview mit der JF ehrlich die Hilflosigkeit gegenüber einer Jugendgewalt aus, die nicht einfach zu erklären und zu lösen ist. So erwähnt sie die Verherrlichung von Gewalt in Videospielen und Fernsehfilmen, mit denen schon Kleinkinder berieselt werden. Ein Entschuldigungsversuch? Nein, sicher nicht. Aber ein trauriger Hinweis, wie Kinderseelen zerstört werden und wie der Boden für die Verrohung unserer Gesellschaft bereitet wird.

Ist es entlastend, zu wissen, daß wenige Tage vor diesem Vorfall ein junger Ausländer einen jungen Deutschen mit einer Machete angegriffen hat? Wohl kaum. Ist die hohe Arbeitslosigkeit eine Entschuldigung? Auch nicht. Die inhaftierten Verdächtigten der Verfolgungsjagd sind in Lohn und Brot.

Zu beobachten ist vielmehr ein Verfall verbindender Werte, von Solidarität und Sekundärtugenden. Dieser Gesellschaft sind positive Leitbilder und Identifikationen abhanden gekommen. Ausländern ist dieser Werteverfall als allerletztes anzulasten. Dieses Problem ist hausgemacht. Wer die Stadt Guben nun zum Sündenbock für bundespolitische Probleme macht, handelt verantwortungslos und menschenverachtend.


 
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