© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/99 19. Februar 1999


Parteien: SPD will die Union spalten / Schröder spielt mit den Grünen
Gefällige Doppelstrategie
Hans-Georg Münster

In vielen Kommentaren wird die doppelte Staatsangehörigkeit als Lockvogel für den weiteren Zuzug von Ausländern angesehen. Man kann das Instrument auch in der Innenpolitik nutzen, wie Oskar Lafontaine beweist: Der SPD-Chef stellt den Doppelpaß als Lockvogel auf; die CDU soll auf die Leimrute gehen. So schlägt der Saar-Napoleon aus dem rot-grünen Landes-Waterloo in Hessen den Funken Hoffnung, mit dem aus verlorener Schlacht eines Tages ein furioser Sieg über den politischen Gegner werden könnte.

Für die berufsmäßigen Auguren stand schon am Abend der Hessenwahl fest, daß die von SPD und Grünen propagierte doppelte Staatsangehörigkeit ausschlaggebend für die Niederlage war. Einen Tag lang erschöpfte sich die Reaktion des rot-grünen Lagers in Bonn in Beschimpfung der siegreichen Opposition. Die Sprachlosigkeit hatte Gründe: Lafontaine und Kanzler Gerhard Schröder waren im Ausland und fielen bis zur SPD-Präsidiumssitzung am Dienstag als Stichwortgeber aus.

In dem Gremium übernahm Lafontaine die Verantwortung und stellte Bonner Gründe als hauptursächlich für die Niederlage dar. Man muß es andersrum drehen, um die Zielsetzung zu erkennen: Hätte Lafontaine die von Krisen, Pannen und Korruptionsfällen geschüttelte rot-grüne Koalition in Hessen wenigstens mitverantwortlich gemacht, wären das die üblichen Ausflüchte nach einer schlecht verlaufenen Wahl gewesen. Doch indem der rot-grünen Ausländerpolitik der Schwarze Peter zugeschoben wurde, konnte Lafontaine schnell den Richtungswechsel vollziehen und die Unionsparteien zu Gesprächen einladen. Im Bundesrat müsse man jetzt auch sehen, wie man Mehrheiten gewinnen könnte, wurde das Angebot schmackhaft gemacht. Die in Rheinland-Pfalz mitregierenden Liberalen standen sofort als Mehrheitsbeschaffer für eine abgeschwächte doppelte Staatsbürgerschaft bereit.

Die Gerüchteküche brodelte derart über, daß die Tageszeitung Die Welt einen Tag nach Weiberfastnacht eine ganze Seite über ein Auseinanderbrechen der rot-grünen Koalition und die Neuauflage eines sozialliberalen Bündnisses brachte. Nicht nur angesichts des Datums war die Sache nicht weiter ernst zu nehmen. Lafontaines Stoßrichtung war eine andere: In der Union gebe es unterschiedliche Vorstellungen über die Ausländerpolitik, "was ich", so Lafontaine wörtlich, "ausdrücklich begrüße". Damit schielte er auf die nach CDU-Chef Schäuble wichtigsten CDU-Führungsmitglieder Volker Rühe, Generalsekretärin Angela Merkel und den neuen Parteichef in Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers, denen die ganze Richtung mit der Unterschriftenaktion nicht paßt. In den fortschrittlichen CDU-Kreisen fühlt man sich von den konservativen Bayern unter Druck gesetzt, manche wähnen sich von Edmund Stoiber erpreßt. Schröder, der den Doppelpaß jetzt nur noch befristet gewähren will, erscheint da fast als Lichtfigur.

Das Angebot der SPD soll wie ein Spaltpilz wirken

Stoiber, der für seinen Sturm auf Berlin bereits die Achse von Bayern über den Wahlsieger Roland Koch bis zum CDU-Bundesvorsitzenden schmieden will, sollte nicht vergessen, daß Schäuble im eigenen Vorstand und Präsidium keine verläßlichen Mehrheiten hat. Das weiß Lafontaine auch; daher sollen die Gespräche über die doppelte Staatsbürgerschaft die Union direkt in eine Zerreißprobe führen. Der kurzfristige Aspekt des Gesprächsangebotes ist, daß sich die Unterschriftenaktion in weiteren Wahlkämpfen kaum noch zur Mobilisierung nutzen läßt. Viele in der CDU sind ja auch erleichtert, wenn sie nicht mehr auf der Straße den Kontakt mit dem Volk suchen müssen.

Langfristig bringt Lafontaine die Union in Verlegenheit. Stoiber wird in der Sache hart argumentieren, Schäuble jedem schnellen Kompromiß zustimmen wollen. Der Rühe-Geißler-Süssmuth-Merkel-Flügel wird lediglich auf einigen gesichtswahrenden Korrekturen bestehen. Das SPD-Angebot soll auf die Union wie ein Spaltpilz wirken; historisch Beflissene würden vielleicht vom Trojanischen Pferd sprechen.

Der Saarländer fährt sogar eine Doppelstrategie: Nach dem Scheitern beim kurzfristigen Atomausstieg müssen die Grünen nun in einer weiteren ideologisch zentralen Frage eine Niederlage hinnehmen. Beim nächsten Bundestreffen der kleinen Regierungspartei dürft es um weit mehr gehen als nur um die Aufstellung der Europa-Wahlliste.

Denn beim Ergebnis der Hessenwahl wird ein kleiner, aber wichtiger Punkt stets übersehen: Die SPD hat hinzugewonnen, nur der massive Einbruch der Grünen hat den Regierungswechsel in Wiesbaden verursacht. Natürlich ist auch bei der SPD nicht alles im Lot. Die Partei befindet sich immer noch in einer Art spätem Siegesrausch. Zwischen Schröder und Lafontaine hält aber der Burgfriede, auch wenn sich Lafontaine vor linken SPD-Abgeordneten beschwerte, viele Dinge erfahre auch er erst aus der Zeitung.

Schröders Totalangriff auf den grünen Koalitionspartner muß in Lafontaines Augen so ein Ding gewesen sein. Der Kanzler hatte wohlgefällig empfohlen, er wünsche sich "mehr Fischer – weniger Trittin" und damit präzise Druck auf die Sollbruchstelle der Grünen ausgeübt. Doch die Schweißnaht hielt noch einmal. Unisono wiesen Grüne die Attacke des Kanzlers zurück.

In Gefahr ist die Koalition derzeit nicht. Die Grünen können nicht weg, sondern müssen Schröders Inszenierungen weiter ertragen. Wenn Schäuble das Spiel nicht begreift, wird Hessen ein Pyrrhus-Sieg gewesen sein. Schröder und Lafontaine verfahren derweil nach einem alten Grundsatz: Divide et impera – teile und herrsche.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen