© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/99 19. Februar 1999


Front National: Yvan Blot kehrt reumütig in die Arme Le Pens zurück
Eine politische Odyssee
Charles Brant

Die Mégretisten haben ihren ersten Abtrünnigen hinnehmen müssen. Der Europa-Abgeordnete Yvan Blot, der nicht nur am Kongreß von Marignane teilgenommen, sondern auch im Nationalbüro die Aufgaben des Nationaldelegierten für Auslandsbeziehungen übernommen hatte, hat einen Rückzieher gemacht. Nachdem er in einem Brief an Jean-Marie Le Pen um seine Wiederaufnahme ersucht hatte, erschien er an dessen Seite, um gegenüber der Presse die Gründe für seine reumütige Heimkehr zu erläutern.

Scheinbar schlichte Erklärungen gingen hier Hand in Hand mit theatralischen Anklagen. Yvan Blot habe seine Entscheidung in Anbetracht der "wahren Absichten" Bruno Mégrets getroffen. Ihm zufolge geht es nicht darum, den FN zu erneuern oder zu modernisieren, sondern vielmehr darum, seinen Anschluß an das Bündnis der institutionellen Rechten aus RPR, UDF und DL vorzubereiten. Um seine Behauptungen zu untermauern, nahm Blot Bezug auf Empfehlungen Mégrets, die angeblich direkt darauf abzielten, mit den Verantwortlichen des RPR in der Region Bas-Rhin ins Einvernehmen zu kommen. Blot wirft Mégret vor, die Strategie Gianfranco Finis in Italien verfolgen zu wollen. Für den einen wie den anderen FN gilt dies derzeit als Kapitalverbrechen.

Zwei Schlüsselfiguren im Kreuzfeuer der Kritik

Mégret und seine Anhänger haben die Vorwürfe Blots kategorisch zurückgewiesen. Jean-Yves Le Gallou, momentan die Nummer Zwei in der mégretistischen Bewegung, hat angedeutet, daß die unerwartete Wende Blots auf "seinen Geschmack für Ämter und Pfründe" zurückzuführen sei. In Wirklichkeit war die "Trotzhaltung" Blots vorhersehbar. Seit dem Kongreß von Marignane zeigte sich, daß für die Führungsmannschaft der mégretistischen Bewegung die große Frage weniger die Bestimmung einer politischen Linie war als die Verteilung der Listenplätze bei den anstehenden Europawahlen.

Der prophezeite "Stellungskampf" scheint Realität geworden zu sein. Im Kreuzfeuer der Kritik stehen im Moment zwei Schlüsselfiguren der mégretistischen Riege: Philippe Olivier, stellvertretender Generaldelegierter und Lebensgefährte Marie-Caroline Le Pens, und Damien Barillet, Vorsitzender von Bruno Mégrets Kabinett. Ersterer ist für das Medienprofil der Bewegung verantwortlich; letzterer kümmert sich um Kommunikation und Außenbeziehungen. Beide verdanken ihre Positionen Mégret, der ihre Qualitäten offenbar zu schätzen weiß. Ihre Verleumder stellen sie als junge Wölfe in den Vierzigern dar, denen jede Überzeugung fehlt, keineswegs aber Ehrgeiz und Zynismus, und werfen ihnen vor, Bruno Mégret von seinen treuesten Freunden abschotten zu wollen. Zum Beispiel sollen sie alles getan haben, um den Aufstieg Pierre Vials, der aufgrund seines Heidentums und seiner ehemaligen Verbindungen zur neurechten Vereinigung GRECE als zu "ausgefallen" gilt, in eine entscheidende Position in der Führungsmannschaft zu verhindern. Inzwischen sind die Differenzen zwischen Mégret und dem Leiter der Organisation "Terre et Peuple" ("Land und Volk") fürs erste bereinigt. Pierre Vial wurde mit der offiziellen Mission beauftragt, ein "Forum für kulturelle Aktion" ins Leben zu rufen. Die Fragen, die "Terre et Peuple" betreffen, sind damit jedoch nicht verstummt. Effektiv muß Vial zwei Absagen für den Runden Tisch hinnehmen, den er Ende Februar in Paris organisiert: die des Publizisten Jean Mabire, der nach seinem Austritt aus dem Schirmherrschaftskomitee von "Terre et Peuple" beabsichtigt, weiterhin an der Wochenzeitung National Hebdo mitzuarbeiten, die Jean-Marie Le Pen hörig ist, sowie die Dominique Venners, Herausgeber der Zeitschrift Enquête sur l’Histoire. In beiden Fällen scheint das Hauptmotiv die Autonomie von "Terre et Peuple" in bezug auf Mégrets FN-Mouvement National (Nationale Bewegung) zu sein.

Diese Organisation, die Olivier und Barillet als zu explosiv erachten, war von Pierre Vial mit dem offiziellen Ziel gegründet worden, einen "Kulturkampf" zu führen; in Wirklichkeit aber, um dem Einfluß der katholischen Gruppen Romain Maries auf den FN entgegenzuwirken. Sie hat bei dem Erfolg des Kongresses von Marignane eine gewisse Rolle gespielt und soll demnächst in Paris unter Beteiligung Bruno Raccouchots, des ehemaligen Kabinettsvorsitzenden Jean-Marie Le Pens, den Runden Tisch veranstalten.

Olivier und Barillet, denen ihre Verleumder Allgegenwärtigkeit zugestehen, wachen über das geringfügigste Detail. So sollen sie das Tragen österreichischer Joppen verboten und empfohlen haben, nach amerikanischer Manier die rechte Hand aufs Herz zu legen, wenn bei Versammlungen die Nationalhymne gespielt wird ... Der jetzige Generaldelegierte Jean-Yves Le Gallou war der Mentor dieser mégretistischen Tempelhüter und teilt ihr Bemühen um eine möglichst "polierte" und "moderne" Selbstdarstellung des FN-Mouvement National. Dies scheint auch Bruno Mégret offenkundig zu unterstützen, wenn man an seine kürzlich im Radio Courtoisie gemachten Erklärungen und die Sorgfalt denkt, mit der er die Pariser Presse umgarnt hat.

Abgesehen von diesen Differenzen, deren entscheidender Beweggrund der persönliche Ehrgeiz zu sein scheint, bringt die Wende Blots einen bösen Riß im Herzen einer Mannschaft ans Licht, von der man glauben konnte, sie sei durch ein gemeinsames Projekt und die Stränge einer sehr langen Kameradschaft zusammengeschweißt. Tatsächlich gehören Yvan Blot, Bruno Mégret und Jean-Yves Le Gallou eindeutig derselben Generation an und sind Produkte desselben Kreises: des Club de l’Horloge. Diese Gruppe, die 1974 durch die Initiative Blots und Le Gallous ins Leben gerufen wurde, hatte es sich zum Ziel gesetzt, gesellschaftliche Führungskreise zu beeinflussen und zu erobern. Ihre Ambition war nicht bloß, die Rolle einer "Ideenfabrik" für die Rechte zu spielen, sondern auch Zugang zur Entscheidungsebene zu gewinnen.

Nach zehn Jahren das Scheitern erkannt

Die beiden Gründer des Club de l’Horloge gehörten dem GRECE an (Blot machte sich unter dem Pseudonym Michel Nory einen Namen als brillanter und kompromißloser Theoretiker). Sie trennten sich, um in die Politik einzutreten. Jean-Yves Le Gallou schloß sich dem Parti Républicain an, während Yvan Blot dem RPR beitrat. Was ihren Einfluß anbelangt, mußten sich beide damit zufriedengeben, in den Kabinetten zu sitzen und ideenlosen Rednern als "Schreibfedern" zu dienen, ohne jemals ihre Strategie beeinflussen zu können. So sollte es Yvan Blot mit Jacques Chirac ergehen. Nach zehn Jahren, in denen sie sich vergeblich ein politisches Standbein zu verschaffen suchen, müssen sie ihr Scheitern erkennen. Jean-Yves Le Gallou schloß sich 1985 als erster dem Front National an und wurde technischer Berater Le Pens. Yvan Blot, seit 1979 Mitglied des Zentralkomitees des RPR, brauchte etwas länger, um diesen Schritt zu tun; er trat am 18. Mai 1989 aus der Partei aus. Le Pen empfing ihn mit offenen Armen und setzte ihn auf einen aussichtsreichen Platz auf der europäischen Liste. Am 18. Juni 1989 zum Europaabgeordneten gewählt, bemühte er sich, Jean-Marie Le Pen zu kultivieren und zu hofieren. Politisch gelang es ihm zuletzt, in der Region Bas-Rhin Fuß zu fassen, wo der FN erstaunliche Wahlergebnisse erzielt, ohne es jemals zu schaffen, zum Abgeordneten gewählt zu werden. Er muß sich mit einem Sitz im Regionalrat des Elsaß sowie im Stadtrat von Straßburg zufrieden geben.

Blot und Le Gallou, uralte Freunde Mégrets, haben eine nicht unbeträchtliche Rolle bei der politischen Entwicklung dieses Technikers gespielt, der ein Bewunderer Napoleons und intellektuellen Spekulationen wenig zugeneigt ist. Es heißt, Blot habe Mégret zu der Idee inspiriert, den RPR zu verlassen, um die republikanischen Aktionskomitees in Gang zu setzen, eine Organisation, die dem heutigen Präsidenten des FN-Mouvement National als Sprungbrett diente. Es heißt ebenfalls, Le Gallou habe alles getan, um Le Pen Mégret schmackhaft zu machen. Die Kluft, die sich zwischen den drei "horlogers" (Mitgliedern des Clubs de l’Horloge) aufgetan hat, bedeutet also nicht nur das Ende einer Zusammenarbeit, sondern auch das Scheitern eines gemeinsamen politischen Aufbruchs.

Es ist zu früh, vorherzusagen, wie die Konsequenzen für die beiden FNs aussehen werden. Für manche bedeutet Blots Rückkehr zu Le Pen den politischen Selbstmord eines Mannes, der immer noch Ehrenpräsident des Club de l’Horloge ist und unter der Obhut Henry de Lesquens offiziell für eine Art "Nationalliberalismus" und für eine Bündnisstrategie "sämtlicher Rechten" kämpft. Für andere zeigt diese Kehrtwende, daß die Entfesselung der Ambitionen in der mégretistischen Mannschaft schon die Flammen des Streits angefacht hat. Die beiden Hypothesen sind durchaus miteinander vereinbar. Die radikale Rechte Frankreichs befindet sich auf einem äußerst gefährlichen Kurs. Macht sie so weiter, geht sie das Risiko ein, ihre Marginalisierung inmitten der allgemeinen Gleichgültigkeit zu beschleunigen.


 
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