© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/99 19. Februar 1999


Fotoausstellung: "Kunst im Lesesaal" der Gauck-Behörde
Wechselspiele des Verfalls
Uwe Ullrich

Wer vor mehr als zehn Jahren die Bezirkshauptstadt Dresden auf dem Schienenstrang nordwärts verließ oder aus dem Norden kam, mußte unweigerlich durch die Vorstadt Pieschen fahren. Wer noch durch die blinden Fenster der Waggons der Deutschen Reichsbahn blicken konnte, nahm das graue Mischgebiet wahr: Verfallende Wohnhäuser, Handwerksbetriebe im Hinterhof und Fabriken der Leichtindustrie.

Heute bietet sich dem Reisenden ein anderes Bild. Neben den Neubauten zeigen sich auch alte Häuser in neuem Glanz. In einem früheren Fabrikgebäude ist die Dresdner Außenstelle der Gauck-Behörde untergebracht. Das Foyer der Behörde beherbergt eine ständige Ausstellung über die Funktion und Arbeitsweise des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Sie informiert und dokumentiert die Geschichte, Struktur, Methoden und Wirkungsweise des "Schild und Schwert der Partei", wie Mielke sein Imperium zu titulieren pflegte. Unter den Rubriken "Im Dienst des MfS: der IM", "Im Visier des MfS: der Bürger" oder "Entmachtung des MfS und die Öffnung der Archive" werden im Informations- und Dokumentationszentrum 40 Jahre DDR-Geschichte sichtbar.

Am Donnerstag vorvergangener Woche lud erstmals der Außenstellenleiter Dresden des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Konrad Felber, zu einer ungewöhnlichen Ausstellungseröffnung ein. In Zukunft sollen vierteljährlich wechselnde Präsentationen im Lesesaal der Behörde den Nutzern und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Schirmherrschaft über das anspruchsvolle Vorhaben "Kunst im Lesesaal" übernahm der sächsische Staatsminister für Kultus, Matthias Rößler.

Die Premiere der neuen Veranstaltungsreihe erfolgte mit der Fotoausstellung "GEWÄCHShaus" des Dresdner Künstlers Franz Zadnicek. Mit sovielen Teilnehmern bei dieser Veranstaltung war nicht gerechnet worden; mehr als 50 Gäste waren zur Vernissage erschienen. Ständig trugen dienstbare Mitarbeiterinnen der Behörde neue Sitzgelegenheiten herein. Mit wenigen Worten erläuterte Konrad Felber einige Ziele der anschaulichen Unternehmung. Den in ihre Akten Einsichtnehmenden wird im Lesesaal eine aufgelockerte Atmosphäre geboten. Folgerichtig verknüpft sich das Studium der vorgelegten Unterlagen mit unangenehmen Erinnerungen. Die Einsicht in die zur eigenen Person angelegten "operativen Vorgänge" läßt auf ungeahnte Zusammenhänge schließen oder bestätigt gewonnene Ansichten und Vermutungen. Die begonnene persönliche Vergangenheitsbewältigung kann auch Bitternis oder Trauer hervorrufen.

Andererseits möchte sich die Behörde auch allen anderen Bürgern der Landeshauptstadt öffnen, Transparenz vermitteln. Außerdem soll den vom MfS verfolgten und in ihrer Arbeit behinderten Künstlern eine Möglichkeit gegeben werden, ihre gewonnenen wie verarbeiteten Erfahrungen zu zeigen.

Eingebettet in musikalische Beiträge eines Streichtrios, Schülerinnen der Musikschule Dresden unter Leitung Professor Jahns, erläuterte der Kunstfotograf Zadnicek sein Anliegen. Nach seiner Ansicht sind "morbide Sachen interessant". Hauptbestandteil der Fotoausstellung ist die kontinuierliche wildwüchsige vegetarische und bauliche Veränderung am und im Palmenhaus in Pillnitz. Die Fotografien entstanden in den achtziger Jahren. An diesem Objekt kann das "Zusammenspiel von Natur und Gebäude – die Wechselspiele des Verfalls" über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet werden.

Der seit 1991 als Fotograf am Museum für Geschichte der Stadt Dresden tätige Franz Zadnicek wurde 1954 in Weimar geboren. Ab 1980 beteiligte sich der gelernte Werkzeugmacher an Ausstellungen oder gestaltete eigene. Seine 1986 geplante Präsentation unter dem Titel "Zeit" in der damaligen Hochschule für Verkehrswesen wurde vor der Eröffnung auf Weisung des MfS abgebaut. In einem Bericht an die "Firma" war Franz Zadnicek denunziert worden. Wegen "pessimistischer destruktiver Grundtendenz", so heißt es in dem Papier, gerieten die Fotografien in den Blickwinkel des Ministeriums. Die Probleme nahmen zu, als Zadnicek 1988 mit dem französischen Kulturzentrum in Berlin (Ost) Kontakt aufnahm. Mit Rückblick auf diese Zeit meinte der Künstler, daß er wahrscheinlich nicht die (unbewußte) Konfrontation gesucht hätte, wenn er sich der Repressionen des Ministeriums für Staatssicherheit gegen seine Familie bewußt gewesen wäre.

Nach 1989 folgten Ausstellungen in Berlin, Chemnitz und München, die Beteiligung an lokalgeschichtlich orientierten Buchausgaben, unter anderem "Das Blaue Wunder – Geschichte einer Brücke" oder "Paradiesminen – Prora auf Rügen".

Die Ausstellung ist bis zum 22. April werktags von 17 bis 22 Uhr für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich. Für Mai 1999 wird eine neue Ausstellung vorbereitet. Geplant ist, Ölgemälde von Eberhard von der Erde auszustellen. Zur Auswahl stehen Bilder über dessen Untersuchungshaft in der Bautzener Straße (Dresdens frühere MfS- Bezirksdienststelle) und Dresdner Impressionen. Die Behörde des Bundesbeauftragten, Außenstelle Dresden, bietet Führungen und Veranstaltungen im Informations- und Dokumentationszentrum nach telefonischer Vereinbarung an (03 51 / 85 15 50 oder Fax: 03 51 / 8 51 56 00).


 
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