© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/99 26. Februar 1999


Oper: Richard Strauß’ "Salome" in Dessau
Äußerste Konzentration
Julia Poser

Das imposante Bühnenbild von Fridolin M. Kraska, das die aus wuchtigen Steinquadern erbaute Terrasse des Palastes von Herodes zeigt, reicht im Anhaltischen Theater von Dessau bis an die erste Zuschauerreihe. Im Vordergrund steht das Rund einer vergitterten Zisterne. In diesem Brunnenschacht hält Herodes Jochanaan, den Täufer Johannes, gefangen. Das Orchester, Dirigent und Musiker, hat der regieführende Intendant Johannes Felsenstein weit in den Hintergrund der riesigen Bühne verlegt, verhüllt von einer schwarzen Gazewand. Eine geniale Idee! Sie verlangt zwar von den Sängern äußerste Konzentration, weil sie den Dirigenten nicht sehen können, ist aber auch sängerfreundlich, da durch die Entfernung die entfesselte Strauß’sche Orchesterflut etwas eingedämmt wird.

Nach einigen verfremdeten "Salome"-Aufführungen, die nur der Eitelkeit des Regisseurs und nicht dem Werk dienen, trägt diese kühne und trotzdem klassische Inszenierung Felsensteins zum überwältigenden Opernerlebnis bei. Jedes musikalische Detail versteht er klar auszudrücken und jede Bewegung aus der Musik zu entwickeln. Scharf zeichnet er die einzelnen Protagonisten: Den lüsternen, aber furchtsamen Tetrarch Herodes, der gierig auf seine schöne junge Stieftochter blickt bringt Peter Svensson als stimmlich und darstellerisch perfekten König. Ilona Streitberger bietet von der zutiefst verderbten Herodias ein großartiges Portrait, das sich auch in ihrem gewagten Kostüm (Stephan Stanisic) offenbart. Den asketischen Propheten Jochanaan singt Ludmil Kuntschew mit kraftvollem Bariton, weich in den visionären Verkündigungspassagen. Randall Reid-Smith ist ein schwärmerisch-schmachtender Hauptmann Narraboth. Mit der jungen Kanadierin finnischer Abstammung Eilana Lappalainen als Salome hat Intendant Felsenstein einen großen Fund getan. Dieser begabten Sängerdarstellerin, die auch schon in früheren Partien beeindruckte, steht eine bedeutende Karriere bevor.

Der Regisseur Felsenstein sieht in Salome kein sexgieriges Geschöpf. Für ihn hat sich das fünfzehnjährige Mädchen, das an einem zuchtlosen Hof ausgewachsen ist, dennoch eine gewisse Reinheit bewahrt. In Jochanaan erkennt sie unwissentlich ihren Retter. Als er sie zurückweist, erwacht ihr Trotz.

Im Schleiertanz zeigt die Sängerin dann berechnende Raserei. Wenn sie in ihrem großen Schlußmonolog nackt und einsam das Haupt von Jochanaan in ihrem Schoß hält, werden keine peinlichen Gefühle erweckt. Salomes Todessehnsucht als höchste Erfüllung wird in keuscher Weise dargestellt. Auch sängerisch entspricht Eilana Lappalainen Richard Strauß’ Vorstellung der Salome als "einem Kind mit der Stimme einer Isolde" in überzeugender Weise.

GMD Carlos Kalmar entlockt dem Orchester sowohl flirrende, ekstatische, sinnliche Klangbögen, als auch die schlichten Harmonien der Visionen des Jochanaan.

Jubelnder Beifall für diese großartige Aufführung, die ein würdiger Beitrag zum Richard-Strauß-Jahr ist.


 
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