© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/99 26. Februar 1999


Heinz Schön: Im Heimatland in Feindeshand. Schicksale ostpreußischer Frauen 1945 bis 1948
Eine wahrhaft grauenvolle Lektüre
Ulrich Kriehn

Das Buch "Im Heimatland in Feindeshand" ist eine bittere Leseübung – immer wieder braucht man bei der Lektüre Pausen, um Abstand zu gewinnen und der eigenen Seele Raum zum Verarbeiten der furchtbaren Vorgänge einzuräumen, von denen dieses Buch handelt.

Heinz Schön war als 19jähriger Überlebender der Wilhelm Gustloff-Katastrophe – das mit Flüchtlingen überladene Schiff wurde von sowjetischen Torpedos am 30. Januar 1945 versenkt, 9.000 Menschen kamen dabei um; seine Familie geriet im Zuge der sowjetischen Besetzung Ostpreußens unter die Gewaltherrschaft der Sieger. Der Verfasser ist kein Historiker, sondern Zeitzeuge, der aber sehr wohl das historische Handwerkszeug beherrscht: Das Buch ist schlüssig gegliedert, Schön hält sich mit eigenen Interpretationen zurück und läßt in 27 Berichten Frauen zu Wort kommen, die jene Zeit erlebt und erlitten haben. Es folgt ein abschließendes Kapitel, in dem aus inzwischen zur Veröffentlichung freigegebenen russischen Quellen zitiert wird, wobei die bürokratischen Anweisungen der Sowjets betreffend der Behandlung der deutschen Restbevölkerung in einem erschreckenden Maß Einblick in die wirkliche Absicht der sowjetischen Militärregierung geben.

Heinz Schön bedauert im Vorwort, daß die etablierte Geschichtsschreibung in Deutschland den Themenbereich "Flucht und Vertreibung" weitgehend negiert hat und daß in der medialen Öffentlichkeit so gut wie nichts darüber berichtet wird. Eine rühmliche Ausnahme war Anfang der 80er Jahre der dreiteilige Dokumentationsfilm "Flucht und Vertreibung" von Eva Berthold. Um so mehr ist es zu begrüßen, daß sich jenseits der etablierten Wissenschaft Privatpersonen finden, die diese weißen Flecken aufarbeiten.

Eine Fülle von Zitaten belegen, daß es sich bei der Vertreibung der Deutschen und dem, was Ernst Jünger einmal "Ausmordungen" genannt hat, nicht um spontane Racheakte einzelner Soldaten handelte, sondern um langfristig geplante und von höchster Stelle durchgeführte Vernichtungspolitik.

Wie die Rote Armee ihre Soldaten propagandistisch vorbereitete, zeigen die Texte des in der literarischen Welt auch heute noch hochgerühmten Ilja Ehrenburg: "Die Deutschen sind keine Menschen.Von jetzt ab ist das Wort Deutscher der allerschlimmste Fluch. Von jetzt ab bringt das Wort Deutscher ein Gewehr zur Entladung. Wir werden nicht sprechen. Wir werden uns nicht aufregen. Wir werden töten. Wenn Du im Laufe eines Tages nicht wenigstens einen Deutschen getötet hast, so ist es für Dich ein verlorener Tag gewesen. (…) Wenn Du den Deutschen nicht mit einer Kugel töten kannst, so töte ihn mit dem Seitengewehr. (…) Wenn Du einen Deutschen getötet hast, so töte einen zweiten Deutschen – für uns gibt es nichts Lustigeres als deutsche Leichen. Zähle nicht die Tage. Zähle nicht die Kilometer. Zähle nur eines: die von Dir getöteten Deutschen", so die Anleitung für den Rotarmisten, wie mit dem soldatischen Gegner zu verfahren ist. Auch für die Zivilbevölkerung gab es Anweisungen Ehrenburgs: "Tötet, ihr tapferen Rotarmisten! Es gibt nichts, was an den Deutschen unschuldig ist. Folgt der Anweisung des Genossen Stalin und zerstampft das faschistische Tier in seiner Höhle. Brecht mit Gewalt den Rassenhochmut der germanischen Frauen. Nehmt sie als rechtmäßige Beute. Tötet, ihr tapferen vorwärtsstürmenden Rotarmisten! Tötet!"

Was der "Literat" Ehrenburg hier formulierte, klang als Tagesbefehl des Sowjetgenerals Tschernjachowskis kurz vor der Einnahme des Dorfes Metgethen so: "2.000 Kilometer sind wir marschiert und haben die Verwüstungen aller Errungenschaften gesehen, die wir in 20 Jahren aufgebaut haben. Nun stehen wir vor der Höhle, aus der heraus die faschistischen Angreifer uns überfallen haben. Wir bleiben erst stehen, wenn wir sie ausgeräuchert haben. Gnade gibt es für niemanden (....) Das Land der Faschisten muß zur Wüste werden."

Metgethen wurde von der deutschen Armee zurückerobert: sämtliche Bewohner des Dorfes – vor allem Kinder und Frauen – waren nach furchtbaren Folterungen, Vergewaltigungen und Mißhandlungen getötet worden. Nachdem in Goldap und Nemmersdorf gleichermaßen die deutsche Armee die verwüsteten Dörfer kurzfristig zurückgewinnen konnten, lud die deutsche Regierung neutrale Beobachter, darunter Ärzte aus der Schweiz, zu einer unabhängigen Prüfung der Massaker ein. Obwohl beispielsweise in Nemmersdorf auch 50 französische Kriegsgefangene, die auf den Bauernhöfen gearbeitet hatten, von den Rotarmisten erschlagen wurden, war die Reaktion der ausländischen Presse zurückhaltend; immerhin war der furchtbare Anblick der zu Tode gequälten Frauen und Kinder so nachhaltig, daß ein Korrespondent des Schweizer Courier berichtete: "Ich verschone Sie mit der Schilderung der Verstümmelungen und dem entsetzlichen Anblick der Leichen auf dem Feld. Es sind Eindrücke, die auch die lebhafteste Phantasie übersteigen."

Zu diesen Eindrücken gehörte die Tatsache, daß nur wenige Menschen einfach mit einem Genickschuß getötet wurden, sondern in unvorstellbarer Weise gekreuzigt, verstümmelt und solange geschändet worden waren, bis sie zu Tode kamen. In dem sorgfältig dokumentierten Bildteil sind einige wenige Aufnahmen abgebildet – es waren vor allem die Bilder der ermordeten Kinder, die mich dazu zwangen, das Buch von Zeit zu Zeit mit Schaudern wegzulegen…

Die 27 Tatsachenberichte spiegeln dieses kollektive Schicksal dann bezogen auf den einzelnen Menschen. Es sind apokalyptische Schilderungen von Grauen, und das alles in einem nüchternen Stil. Es wird einfach erzählt, was geschah: die Morde, die Vergewaltigungen, die pure Lust am Quälen, Erniedrigungen an wehrlosen und schuldlosen Menschen. Wenn Ernst Jünger einmal von den Dämonen redet, die sich der verlassenen Tempel bemächtigt haben, dann kann man diese Vorgänge nur noch in einen solchen Kontext einordnen.

Jeder dieser Tatsachenberichte bringt einem in verzweifelter Klarheit nahe, wozu Menschen fähig sind. Daß die überlebenden Opfer trotzdem noch Lebenskraft hatten, verwundert, schließlich waren sie auch später weitgehend zum Schweigen verurteilt.

Das Abschlußkapitel beschreibt, wie nach den Schrecken des Jahres 1945 die Vertreibung der verbliebenen deutschen Bevölkerung von den sowjetischen Herrschern gehandhabt wurde. Auch hier grauenhafte Berichte. Und ein Vorgehen, das sich mit Begriffen wie "Ausrottung" oder "Völkermord" am ehesten noch benennen ließe.

Nach der Lektüre dieses Buches schwingen einem die Worte des großen Dichters Gerhard Hauptmann nach, der nach dem Angriff auf Dresden im Februar 1945 sagte, beim Untergang Dresdens lerne man das Weinen wieder, und der sich nur wünschte, daß Gott die Menschen mehr läutern und zur Besinnung bringen sollte – welch himmelweiter Unterschied zu den Haßgesängen eines Ilja Ehrenburg.

Schön beschreibt, wie die Mörder niemals vor irgendein Gericht gebracht wurden, im Gegenteil für ihre Taten befördert und mit Ehrenzeichen der Sowjetunion behängt wurden.

 

Heinz Schön: Im Heimatland in Feindeshand. Schicksale ostpreußischer Frauen unter Russen und Polen 1945 bis 1948, Arndt Verlag, Kiel 1998, 320 Seiten, 39,80 Mark


 
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