© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/99 26. Februar 1999


Vor fünfzig Jahren: Der Parlamentarische Rat verabschiedete das Wahlgesetz für den ersten westdeutschen Volkstag
Unter Aufsicht der alliierten Siegermächte
Kai Guleikoff

Auf der Tagung des Rates der Außenminister der vier Hauptsiegermächte am 15. Dezember 1947 in London warf der sowjetische Außenminister Molotow den Westmächten vor, die Teilung Deutschlands voranzutreiben. Die Außenminister Mar-shall (USA), Bevin (Großbritannien) und Bidault (Frankreich) erklärten daraufhin, die Sowjetunion sei dabei, in ihrer Besatzungszone ein kommunistisches Regime zu installieren. Dieser Wortwechsel kennzeichnete bereits den tiefen Interessenkonflikt der ehemaligen militärischen Verbündeten.

Eine weitere Konferenz auf dieser Ebene und Zusammensetzung kam nicht mehr zustande, die "Großen Vier" hörten auf zu existieren. Trotz der totalen militärischen Niederlage blieb Deutschland mit seinen damals 64,5 Millionen Einwohnern der geopolitische Machtfaktor in der Mitte Europas. Für die Westalliierten verlief die unmittelbare Nachkriegsentwicklung sehr ungünstig. Kommunistische Parteien und Umsturzbewegungen in Europa und Asien hatten bedeutend an Einfluß gewonnen und drängten zur Übernahme der politischen Macht. Die von der Sowjetunion angestrebte Neutralisierung von Finnland bis Österreich wurde als Mittel der schleichenden kommunistischen Einflußnahme auf diese Staaten angesehen. Besonders nach dem Hungerjahr 1947 traten in den Westzonen vermehrt Spannungen mit den Besatzungsmächten auf.

Die Militärverwaltungen der amerikanischen und britischen Besatzungszonen schufen am 9. Februar 1948 das Modell der Bizonenverwaltung unter Einschluß eines deutschen Wirtschaftsrates. Aus den acht Landtagen sollten dazu 104 deutsche Vertreter gewählt werden. Berufen wurde auch ein Länderrat mit 16 deutschen Politikern aus den acht Landesregierungen. Im Wirtschaftsrat wurden fünf ständige Verwaltungen geschaffen: Wirtschaft, Finanzen, Landwirtschaft und Ernährung, Verkehr, Post- und Fernmeldewesen. Die vorsitzenden Direktoren bildeten den Verwaltungsrat unter Leitung eines Oberdirektors. Diese Struktur entsprach einer "Vorregierung" der künftigen "westdeutschen Bundesrepublik".

Viermächte-Verwaltung über Deutschland endete

In der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) erließ die sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) am 13. Februar 1948 den Befehl zur Bildung einer Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) mit gesetzgebenden Vollmachten, als Vorbereitung auf ihre zukünftige deutsche Interessenvertretung. Nach dieser eindeutigen politischen Weichenstellung beiderseits der Elbe, endete die in Potsdam bekräftigte Viermächte-Verwaltung über Deutschland am 20. März 1948. Die eigenständige Entwicklung der Westzonen wurde am 5. März 1948 mit ihrer Einbeziehung in den Marshallplan bereits eingeleitet und mit der Durchführung der Währungsreform am 19. Juni 1948 unumkehrbar gemacht.

Der Wirtschaftsrat der Bizonenverwaltung hatte seinen Sitz in Frankfurt am Main zugewiesen bekommen. Hier residierte im ehemaligen I.G. Farben-Hochhaus die Verwaltung der amerikanischen Besatzungszone. Auf Befehl der Amerikaner begann am 10. August 1948 im alten Schloß auf der Insel Herrenchiemsee in Oberbayern ein Verfassungskonvent seine Arbeit aufzunehmen. Unter alliierter Aufsicht wurde innerhalb von zwei Wochen der "Entwurf eines Grundgesetzes" in Form einer Denkschrift durch 20 deutsche Sachverständige und Politiker formuliert. Der weitere Schritt zur relativen politischen Eigenständigkeit wurde mit der Konstituierung des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948 in Bonn getan. Die Arbeitsausschüsse zum Grundgesetz werden am 15. September 1948 zusammengesetzt aus 65 Delegierten zugelassener Parteien, je 27 von der SPD und der CDU/CSU, 5 Vertreter liberaler Parteien und je 2 von der KPD, dem Zentrum und der Deutschen Partei.

Die SPD unter Kurt Schumacher propagierte nach 1945 den Weg zum "demokratischen Sozialismus" in Deutschland, gar nicht so weit entfernt von der anfänglichen CDU/CSU-Programmatik eines "christlichen Sozialismus" (Ahlener Programm). Die Liberalen der FDP und der DVP (Demokratische Volkspartei in Baden und Württemberg) setzten unter Theodor Heuss und danach unter Hermann Schäfer die nationalliberalen und linksliberalen Traditionen aus der Weimarer Republik fort. Die KPD des moskautreuen Altkommunisten Max Reimann kämpfte für ein "antifaschistisch-demokratisches Regime einer parlamentarisch-demokratischen Republik". Das ehemalige Zentrum spaltete sich nach 1945. Mehrheitlich ging es in der CDU/CSU auf, lediglich Reste des linken Flügels behielten den traditionellen Namen bei und sammelten sich um die damals einzige weibliche Parteivorsitzende, Helene Wessel. Die Deutsche Partei (DP) entstand 1945 als niedersächsische Landespartei und erreichte 1947 bundesweit unter Heinrich Hellwege Anerkennung bei den Konservativen wegen ihrer föderalistischen, christlichen und antisozialistischen Politikausrichtung.

Präsident des Parlamentarischen Rates wurde Konrad Adenauer, den westlichen Besatzungsmächten als "loyaler Antifaschist mit ausgeprägter politischer Westbindung und Verwaltungstalent" bekannt. Der Hauptausschuß wurde mit Carlo Schmid von der SPD besetzt, der in Frankreich geboren wurde und ebenfalls das unbedingte Vertrauen der Alliierten genoß. Die Beratungen fanden im großen Sitzungssaal der Pädagogischen Hochschule in Bonn statt. Alliierte Kontrolloffiziere nahmen an allen wichtigen Erörterungen teil. Die Handlungen bestimmten nach wie vor die Siegermächte. Sie zeigten auch in keinem Fall die Absicht, den von ihnen beherrschten Teilen Deutschlands die volle Handlungsfreiheit zurückzugeben. Deutsche Politik wurde nur im vorgegebenen Rahmen der alliierten Vorstellungen gestattet. In Konrad Adenauer war daher ein zur deutschen Geschichte distanzierter Politiker gefunden worden. Seine vierzehnjährige Erfahrung in der Kommunalpolitik kam ihm dabei ebenso zustatten wie sein überdurchschnittlich ausgeprägtes Selbstvertrauen. In seinen Erinnerungen schrieb Adenauer: "Bei meiner Wahl zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates war maßgebend gewesen, daß ich in den Jahren von 1920 bis 1933 Präsident des Preußischen Staatsrates, eines kleinen Parlaments, gewesen war und daher Erfahrungen in der Leitung einer solchen Körperschaft besaß." Die Alliierten erinnerten sich an Adenauers eigenständige Politik Mitte der 20er Jahre im Rheinland (siehe JF 6/99) und erkannten sein nach wie vor altes, neues Programm für eine deutsche Westanbindung. Er nahm damit den Westmächten die Furcht vor einem möglichen neuen "Rapallo-Vertrag".

Die Sitzungen des Parlamentarischen Rates verliefen zur weitgehenden Zufriedenheit der Besatzungsmächte. Auf der Plenarsitzung vom 24. Februar 1949 wurde in allen drei Lesungen das Wahlgesetz für den ersten "Volkstag der westdeutschen Bundesrepublik" verabschiedet. Die politische Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen von der Direktive der US-amerikanischen Stabschefs "JCS-1067" vom 26. April 1945 bis zur Genehmigung des Wahlgesetzes vom 24. Februar 1949 gehört zur Einmaligkeit jener Nachkriegszeit. In der Direktive hieß es noch, daß es den US-Truppen verboten sei, sich den Deutschen freundschaftlich zu nähern. Deutschland sei ein besiegter Feindstaat, der einem korrekten, aber harten Besatzungsregime zu unterwerfen sei. Der Hochmut der Siegermächte zerschellte an einer politischen Grundlage europäischer Politik. Adenauer dazu: "Die Schlüsselposition hält die Bundesrepublik. Ohne die Bundesrepublik ist eine Herrschaft über Westeuropa für Sowjetrußland unmöglich."


 
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