© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/99 05. März 1999


Kommunismus: Vor 80 Jahren wurde in Moskau die III. Internationale gegründet
Generalstab der Weltrevolution
David Duderstadt

Im Oktober 1917 brachte ein bewaffneter Aufstand eine kleine, aber entschlossene Gruppe um Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, an die Macht. Lenins Partei, die Bolschewisten, errichtete umgehend eine Diktatur von grausamer Härte, die keinen prinzipiellen Widerspruch zu den Ideen Lenins duldete. Diese Revolution war etwas grundsätzlich Neues. Im Gegensatz etwa zur Französischen Revoluion von 1789 war das Ziel nicht mehr nur die Umwälzung des Regierungssystems in einem Lande, sondern die Weltrevolution.

Als im August 1914 in Europa der Erste Weltkrieg begann, waren alle pazifistischen und internationalistischen Pamphlete, die die Sozialdemokraten und Sozialisten Europas in den vergangenen Jahren vor sich her getragen hatten, vergessen. Fast alle sozialistischen Parteien scharten sich im Moment der Gefahr für ihr Vaterland um ihre Fahne. Eine seltsame Wandlung in der Stimmung der Bevölkerungen der Länder, eine für Beobachter aus dem späten 20. Jahrhundert kaum nachvollziehbare Begeisterung erfaßte alle Bevölkerungsschichten, die die Geschichtsschreibung bis heute nicht vollständig zu begreifen und zu erklären in der Lage war.

Nur einige wenige schlossen sich von vornherein aus. Zu ihnen gehörten die russischen Bolschewiken, eine winzige Partei, deren führende Mitglieder in jenen Tagen fast vollständig im Exil lebten und die keinen wirklich breiten Einfluß auf die russische Bevölkerung hatten. Sie taten dies jedoch keineswegs aus pazifistischen Gründen, denn sie waren ja Revolutionäre. Und eine Revolution, das wußte Lenin, verlief blutig oder sie war keine. Bereits September 1914 hatte er den Zusammenbruch der II. Internationalen festgestellt. Er forderte die Schaffung einer neuen Internationalen, die die "alte", die zweite, mehrheitlich gemäßigt sozialdemokratische Internationale ablösen sollte. Eine "künftige Internationale", so Lenin damals, müsse eine "bürgerliche Richtung im Sozialismus" radikal ausschließen.

Diese neue Internationale sollte eine neue Welt-Partei werden; der Ausgangspunkt zur Weltrevolution. Lenin hatte sich schon lange von der Idee des klassischen Marxismus entfernt, eine Revolution komme quasi automatisch, wenn gewisse ökonomische Voraussetzungen gegeben seien, wenn "die da unten nicht mehr wollen und die da oben nicht mehr können". Treffen die "notwendigen" Voraussetzungen der Revolution ein, dann sei die Zeit "objektiv" reif für die Revolution. So hat, etwas überspitzt in den Augen Lenins, der vor 1914 international als die größte Koryphäe des Marxismus verehrte Karl Kautsky, der noch ein Adlatus von Friedrich Engels gewesen war, argumentiert. Lenin sah das grundsätzlich anders. Revolutionen wurden "gemacht". Alles andere war "kleinbürgerliches" Geschwätz. Und der erfolgreiche Putsch der Oktoberrevolution schien ihm recht zu geben.

Gleich nach der Oktoberrevolution begann die neue Sowjetregierung mit ihrer ideologischen Wühlarbeit hinter den militärischen Fronten. Sie führte insbesondere in Mitteleuropa zu einer erheblichen inneren Aufweichung der sowieso schon geistig geschwächten "inneren Front".

Als nach Revolution und Waffenstillstand in Deutschland gegen Ende November 1918 überall die revolutionären Matrosen das Heft in die Hand nahmen, glaubten sich Lenin und Trotzki ihrem Ziel nahe. Doch bereits Ende Dezember 1918 scheiterte ein Spartakistenaufstand in Berlin, der sich eine deutsche Sowjetrepublik zum Ziel gesetzt hatte und mit dem auch führende Mitglieder und Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) wie Georg Ledebour sympathisiert hatten. Spätestens diese Tatsache führte in Moskau zu der Erkenntnis, daß der erste Schwung der Revolution allein nicht ausgereicht hatte und daß neue Anstrengungen zur Herbeiführung einer Weltrevolution notwendig waren.

Am 24. Januar 1919 veröffentlichte die Kommunistische Partei Rußlands einen Aufruf zur Schaffung einer Kommunistischen Internationalen (Komintern), die als "Generalstab der Weltrevolution" dienen sollte. Sie tagte vom 2. bis zum 6. März in Moskau. Zwar waren 51 Delegierte aus 29 Ländern anwesend, aber sie vertraten zum Teil völlig unbedeutende Parteien, zum Teil sogar obskure Gruppierungen, über deren eigentlicher Existenz man sich nicht völlig sicher war. Die einzige kommunistische Partei außerhalb Rußlands war damals die deutsche KPD. Deren Führer, Liebknecht und Luxemburg, waren aber vor wenigen Wochen ermordet worden. Und die KPD hatte sich entschieden gegen die Gründung der Kom-intern zum damaligen Zeitpunkt ausgesprochen. Der deutsche Delegierte, Hugo Eberlein, konnte erst nach langem Überreden dazu bewogen werden, sein Veto entgegen der Weisung der KPD aufzugeben.

Doch schon schnell wurde klar, daß die bis 1923 von der Komintern gesteuerten Aufstände vor allem in Deutschland, Italien und auf dem Balkan nicht nur fehlgeschlagen waren, sondern auch auf die örtlichen Parteien eine zum Teil verheerende Rückwirkung hatten. Sie waren in Moskau von Komintern-Chef Nikolai Bucharin, Karl Radek, dem Deutschland-Experten Lenins, und anderen geplant worden, in der Regel ohne intime Kenntnisse des Volkes oder des Landes, in dem der Aufstand stattfinden sollte. Die Weltrevolution blieb aus. Der letzte Putschversuch der Komintern in Europa fand 1924 in Estland statt. In jenem Jahr übernahm Stalin die Macht. Bereits damals war die Komintern im wesentlichen Befehlsempfänger des inneren Kreises der Kommunistischen Partei Sowjetrußlands um Lenin, des Politbüros.

Die Komintern geriet seit Mitte der zwanziger Jahre in einem schleichenden Prozeß unter die vollständige Kontrolle Stalins, der sie mehr und mehr zur Dienerin seiner innenpolitischen Bedürfnisse degradierte. Eine wirkliche Mitsprache der angeschlossenen Parteien gab es nicht. Gerade in der Stalinschen Zeit verfügte die Komintern aber über eine besondere Anziehungskraft. Die Mitgliederzahl der Komintern wuchs unaufhörlich.

Die Weltkongresse der Komintern wurden immer seltener. Fanden sie zunächst bis 1922 noch jährlich statt, so änderte sich dies schnell. Nur noch drei weitere Kongresse sollte es geben: 1924, nach dem Tod Lenins, 1928 nach Ausschaltung Trotzkis durch Stalin und dann 1935 nach dem völligen Bankrott der Komintern-Linie gegenüber dem Nationalsozialismus in Deutschland.

Die Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 stellte eine Zäsur in der Geschichte der Komintern dar. Die abenteuerlichen Fehlbeurteilungen jener politischen Ereignisse, die nicht zuletzt auf Stalin selbst zurückgingen, wurden von ihm jedoch allein der Komintern angelastet. Immer stärker wurde die Auslandsarbeit der Komintern direkt durch Organe der Sowjetunion kontrolliert.

Im April 1941 sprach sich Stalin schließlich für die Auflösung der Komintern aus. Dies bedeutete de facto lediglich die ohnehin bereits vollzogene Ausschaltung von Einflüssen anderer kommunistischer Parteien neben der KPdSU. Die endgültige Auflösung erfolgte am 15. Mai 1943 als freundliches Zeichen gegenüber dem amerikanischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen