© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/99 05. März 1999


Singewettsteit: In Würzburg trafen sich Pfadfindergruppen
Der Tradition verpflichtet
Hans Köper

Mit großer Spannung erwartete man in bündischen Kreisen den 8. Würzburger Singe- und Instrumentenwettstreit am vergangenen Wochenende, nachdem es im letzten Jahr zu einem Eklat gekommen war: Einige Jurymitglieder bewerteten ganz offensichtlich auch die politischen Standpunkte der einzelnen Singegruppen. Das war besonders interessant, wenn man bedenkt, wie der Würzburger Singewettstreit zustandegekommen war: Nachdem lange Zeit der traditionsreiche Hamburger Singewettstreit Treffpunkt der bündischen Szene war, spaltete sich 1992 ein Teil derjenigen Pfadfinder ab, die noch auf die beiden großen Traditionslinien der bündischen Jugend, die Wandervogel- und Pfadfinderbewegung, Wert legten. Der Hamburger Singewettstreit hatte sich damals mehr oder weniger zu einem offenen Jugendgruppentreff gewandelt, auf dem die politische Korrektheit fröhliche Blüten trieb. Mißliebige Pfadfindergruppen wurden ausgebuht, anstelle von Fahrtenliedern tendierte man zu Folklore, seichtem Pop, Musicals oder Showeinlagen.

Mit diesem Erneuerungsanspruch fand 1992, zunächst in Augsburg, unter maßgeblicher Teilnahme der Katholischen Pfadfinderschaft Europas (KPE) und des Deutschen Pfadfinderbundes (DPB) der erste "alternative" Singewettstreit statt, der seinen norddeutschen Bruder längst an musikalischem Niveau, inzwischen auch an Größe überflügelt hat; die 1.600 Plätze im Würzburger Kongresscentrum waren restlos ausverkauft. "Wir fragten damals absichtlich nicht nach der politischen Couleur oder dem Gebetsbuch", erinnerte Andreas Hönisch, Gründer der KPE und maßgeblich beteiligt an der Gründung dieses Singewettstreits. Voriges Jahr mußte man aber "Gegenläufiges kennenlernen", bemerkte er. Mit seiner Anspielung deutete er die Verhältnisse des Vorjahres an: Mit Pfiffen und Schmährufen wurde aus dem Saal gegen einige Gruppen Stimmung gemacht. Auch die Jury leistete sich einen dicken Hammer: In einem wegen zu großer Teilnehmerzahlen ausgetragenen Vorentscheid fielen trotz guter sanglicher Leistungen ausgerechnet die Gruppen durch das Sieb, die durch ihre konservative Haltung in das Räderwerk der Presse geraten waren.

Dieses Jahr schien man wieder einen Schritt in die richtige Richtung getan zu haben: Eine neue Jury wurde zusammengesetzt; auch war das Klima untereinander um einiges gelöster.

Besonders die Fahrtengruppen hatten dieses Jahr den Schwerpunkt auf das Volkslied gelegt: Neben schottischen, irischen, griechischen und jiddischen fanden sich auch deutsche dabei. Die Arrangements waren oft mit vielen Instrumenten ausgestaltet. Leider kamen alte Fahrtenlieder kaum zur Darbietung, und wenn, waren sie durch unverständliche Interpretationen verunstaltet worden. Auch war vielen Gruppen nicht klar, daß mit langen Instrumentalvorspielen und und unbekannten Liedern kein Blumentopf zu gewinnen war. Eine löbliche Ausnahme bildete die Deutsche Gildenschaft Müllingen mit Walter Scherfs "Alt Dimo trank...", die damit aber nur den elften Platz in der Kategorie der Fahrtengruppe zugesprochen bekamen. Die ersten vier Plätze konnten sich Fahrtengruppen der KPE sichern, deren Sangeskultur sich auch in anderen Kategorien zeigte: Bei den Stämmen erkämpfte sich der Stamm Kaiser Karl I. der KPE mit einem russischen Donkosakenlied den ersten Platz, den zweiten Platz teilten sich die Mädelschaft Midgard und DPB mit dem Stamm Salier der KPE. Bei den Instrumentalkreisen herrschte eine große musikalische Bandbreite: Von einem barocken Flötenkonzert und der Ouvertüre zu "Orpheus aus der Unterwelt" (gespielt vom Stamm Maria Goretti, KPE, die damit wieder auf dem ersten Platz landete), dem "Entertainer", ungarischen und irischen Volksweisen bis hin zu dem progressiven "Aquamarin" von David Bennet für Schlagwerk und Saxophon.

Bei den Singekreisen erreichte die Europäische Pfadfinderschaft St. Michael mit einem irischen Freiheitslied und einer schmissigen Malaguena vor dem Pfadfinderbund Kreuzfahrer den ersten Platz. Der sonst in dieser Sparte auftretende KPE-Bundessingekreis fiel dieses Jahr in die neu eingeführte Kategorie "Chöre", in der er ohne Konkurrenz blieb und mit dem "Cum sancto spirito" aus der h-Moll-Messe von Bach den Abend beschloß. Als Konsequenz der Trennung kündigte Chorleiter Hönisch an, künftig mit dem 100 Mann starken Bundessingekreis nicht mehr auftreten zu wollen.

Am Ende zeigte sich noch einmal, wie es um die Tugenden einiger Pfadfinder bestellt ist: Während die meisten sich schon auf den Weg ins Jugendzentrum zur großen Singerunde machten, blieben nur wenige zurück, um den reichlich zurückgelassenen Müll aufzusammeln. "Das meiste bleibt immer an uns hängen", meinte ein Mitglied des ausrichtenden Pfadfinderbundes Weltenbummler, ein anderer: "Man glaubt manchmal nicht, daß wir hier unter Pfadfindern sind."


 
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