© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/99 05. März 1999


Lifestyle-Magazin "Econy": Wie Moral und Marktwirtschaft harmonieren
Wohlfühlen, Kohle machen
Rainer Vogel

Nach den Berechnungen amerikanischer Computer-Experten "kann ein durchschnittliches Gehirn während eines durchschnittlichen Lebens rund 200 Megabyte an Informationen behalten". Das ist kein gutes Zeugnis für unsere staubgrauen Zellen, denn sie kommen damit nur auf "zwischen drei und fünf Prozent dessen, was eine konventionelle PC-Festplatte speichern kann". Gemessen am World Wide Web stehen wir noch dümmer da, denn das wird uns schon im Jahr 2005 überflügeln, und im Jahr 2060 gibt es "so viele Bytes im Netz wie Atome im Universum: 10 hoch 80".

Gott sei dank gibt es angesichts dieser beunruhigenden Aussichten ein Magazin wie Econy, Untertitel "Business in Bewegung", das uns nicht nur mit solchen Info-Bytes zermürbt, sondern uns auch den "Takt der neuen Zeit" erklärt (damit wir, wie unsere Politiker und Manager sich auszudrücken belieben, den "Standort sichern" und die "Zukunft gewinnen"). Falls wir es gerade eilig haben – etwa, weil ein "praktischer Wecker" klingelt, "der sich automatisch meldet, wenn der SAP-Kurs ... um mehr als fünf Prozent gefallen ist" – können wir die aufwendigen philosophischen Econy-Artikel, zum Beispiel. über "das Ende der Geschwindigkeit", getrost überblättern, schließlich werden die wichtigsten Essentials als Merksätze für unsere grauen Bytes am Rand zusammengefaßt.

Zum Glück sind es nie mehr als vier, und der Leser kann sich einprägen und, wenn er etwa ein Jungunternehmer ist, in seine "Unternehmensphilosophie" integrieren, daß Raum und Zeit, "heute noch wichtige Faktoren", von den "Netzwerken" bald zur "Nebensache" gemacht werden, denn: "Information, die wichtigste Ware, steht für alle jederzeit zur Verfügung." Lehrsatz zwei und drei dieser Zeittheorie für Business-Bewegte erklären uns, daß "Tempo und Expertentum" dadurch zur "vernachlässigbaren Größe" werden. "Alle sind immer schon angekommen" – aber trotzdem gibt es kein Recht auf Faulheit mit vollem Lohnausgleich, denn wir müssen stets die sich ständig wandelnden "Standarts" einhalten und möglichst überbieten.

Diese Standards dienen dazu, das Leben der global Players bzw. Menschen, zu strukturieren. Die traditionelle Gliederung freilich, Arbeit und Freizeit oder gar irgendwelche heimeligen Werte sind "schon in der Dienstleistungsgesellschaft sowenig von praktischem Nutzen wie Kirchenglocken, die zum Mittagstisch rufen". Den Kleingeistern und Pantoffelschlurfern hat das Stündlein geschlagen; sie haben sich den "Standards" anzupassen, dann wird es auch für sie wieder Orientierung geben. Lehrsatz 4 weiht uns dazu in die Weisheit der drei M's ein: "Zu den wichtigsten Orientierungspunkten zählen die drei M's, Menschen, Mode und Marken, die das Chaos ordnen und Beziehungen herzustellen vermögen."

Angesichts der Vielfalt von Moden und Marken ist deren Gliederungsfunktion allerdings beschränkt, wie bereits der nächste Artikel "Zwölf Jahreszeiten" zugeben muß. Er trägt seinen Titel deshalb, weil die Modesaisons nicht mehr mit den Jahreszeiten wechseln, sondern jeden Monat – oder eigentlich so schnell, daß alles gleichzeitig nebeneinander existiert bzw. ständig neu von der virtuellen Multikultiwelt erzeugt wird. Wenigstens die Menschen stellen in dieser Datenachterbahn noch eine gewisse Konstante dar; schließlich läßt sich die Dummheit des alten Adam ziemlich genau mit 200 Megabyte beziffern, und Dummheit ist, wie schon Immanuel Kant feststellte, "nicht kurierbar" (es sei denn, man biotecht ein bißchen in den Gen-Daten herum).

Einige solcher Adams haben es geschafft, ihre paar Bytes optimal zu investieren. Diese lobenswerten Einheiten an Humankapital (in welcher Währung werden sie eigentlich gemessen, doch wohl nicht in Euro?) werden uns von Econy als leuchtende Vorbilder präsentiert. Sie heißen zum Beispiel Burkhard Dahlick, tragen nur eine schnöde Jeans und ein kariertes Hemd und leiten die Oder-Glas GmbH in Frankfurt/Oder. Oder sie arbeiten dort, in Frankfurt an der Oder, als Schaltkreis-Designer.

Oder sie waren sogar, auch das kommt vor und läßt hoffen auf das Gute im Menschen, Dozent für Marxismus-Leninismus und haben es heute immerhin zum Privatdetektiv gebracht.

Überhaupt diese verfluchten, kissenfurzenden, elfenbeinturmgebleichten und von Spinnweben überzogenen, verbeamteten Akademiker! Wenigstens ab und zu schafft es mal einer von ihnen, sein Schneckenhaus abzuwerfen und den Highway in die große Welt des Big Business zu finden. Ihnen gibt zum Beispiel Domizil eine Chance. Domizil ist eigentlich ein Einrichtungshaus, verkauft aber keinesfalls Möbel, sondern "Wohlbefinden", "Ideen", "Gefühle", "ja, sagen wir es ruhig: Glück".

Einer der Glücklichen, der es vom erbärmlichen Theologie-Dozenten an der Ruhr-Universität Bochum bis zum Möbelvertreter von Domizil gebracht hat, ist Hartmut Schulz. "Er ist so begeistert bei der Sache", lobt ihn seine Chefin Birgitta Jaeggle; kein Wunder, denn die Frohe Botschaft, die er jetzt predigt – "Einrichtungsideen, Stimmungen, Gefühle" – wird von seinen Schäflein nicht so verstockt aufgenommen wie das langweilige Evangelium, schon gar nicht "bei einem Glas Roten aus der Toskana" oder wenn "der Prosecco prickelt wie Domizil".

Gerne bleibt Hartmut Schulz dann auch mal bis abends um zwölf beim "Kunden-Partner-Freund", denn gemäß Frau Jaeggles "Unternehmensführung ohne Hierarchie" ist jeder ein Leistungsträger, "weil auch die einfachste Arbeit erfüllend sein kann". Was könnte für einen Theologen beglückender sein, als in einem solchen, ja, "Heilsorden" den Menschen zu dienen? Vielleicht liest er nachts, nachdem er von seiner missionarischen Arbeit ruht, noch ein wenig im Econy-Katechismus, um sich an geistlichem Brot zu laben. Zum Beispiel an den vier Geboten zur "Moral in der Marktwirtschaft" auf der letzten Seite des neuen Econy-Heftes. Dort kann er dann erfahren, daß Christentum und Marktwirtschaft durchaus vereinbar sind, ja daß sogar die Bibel ein gesundes "Me-too" (so heißt es auf Pidgin-Deutsch für "Egoismus") voraussetzt: "Du sollst deinen Nächsten lieben – wie dich selbst (Matthäus 22,39)." Die letzten drei Worte sind unterstrichen, aber der Leser wird sie schon nicht übersehen.


 
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