© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/99 12. März 1999


Europäisches Parteiensystem: Spanien ist die letzte bürgerliche Bastion in Europa
Integration der Mitte nach rechts
Carlos E. Izquierda

Dreizehn von fünfzehn Staaten der Europäischen Union (EU) neigen nunmehr nach links. Die wohl letzte konservative Trutzburg in Europa ist die Regierung des spanischen Ministerpräsidenten José Maria Aznar.

Spanien ist im Verhältnis zum übrigen Europa jedoch schon immer ein wenig antizyklisch gewesen. Bis Mitte der 70er Jahre, als das westliche Europa ausschließlich aus demokratischen Regierungen bzw. konstitutionellen Monarchien bestand, herrschte in Spanien noch das autoritäre Regime Francos. In den 80er Jahren, als Europa vornehmlich von bürgerlichen Politikern wie Margaret Thatcher und Helmut Kohl geprägt wurde, hatte auf der iberischen Halbinsel der Sozialdemokrat Felipe Gonzales insgesamt 14 Jahre die Macht inne. Und nun, da sich – abgesehen von Irland – überall in Europa die politische Linke durchgesetzt hat, rudert in Spanien die konservative Volkspartei (PP) wiederum gegen den Strom.

Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern macht Spanien unter seiner jetzigen Regierung eine beachtliche Entwicklung durch: Die Lebensqualität in den Städten sowie der Wohlstand der Bevölkerung wächst stetig. Der Verbrauch von Energie wird nicht wie in Deutschland bewußt verteuert, sondern von Jahr zu Jahr preiswerter. Auch die steuerliche Belastung für Bürger und Betriebe befindet sich mit etwa 30 Prozent auf einem erträglichem Niveau. Selbst die mit der irischen IRA vergleichbare baskische Terrororganisation ETA hat das Bomben und Töten weitgehend eingestellt. Einziger Schattenpunkt ist nach wie vor die zu hohe Jugendarbeitslosigkeit von 20 Prozent.

Der Grund für den latenten Boom ist nicht allein bei der spanischen Regierung zu suchen. Spanien profitiert auch und vor allem von der Europäischen Union. Nicht nur weil weite Teile des Landes landwirtschaftlich genutzt werden und ihnen dadurch viele Agrarsubventionen zufließen, sondern auch weil zahlreiche Infrastrukturmaßnahmen, wie der Ausbau der Madrider Metro sowie der Straßenbau in entlegenen Provinzen mit europäischen Geldern finanziert werden.

Im Gegensatz zu Deutschland profitiert Spanien auch voll und ganz vom Euro. Zum einen hat es die berühmt berüchtigten Euro-Kritierien nicht etwa wie im Falle Frankreichs, Italiens oder Belgiens mit Bilanzkosmetik erreicht, sondern in bemerkenswerter Weise allein durch solide Haushaltspolitik. Es läuft somit keine Gefahr, daß sich frisierte Daten zu einem späteren Zeitpunkt rächen. Auch kann getrost davon ausgegangen werden, daß der Euro auf jeden Fall stärker als die spanische Pesete sein wird, was von der D-Mark so ohne weiteres nicht behauptet werden kann.

Der sonnige Staat im Süden des Kontinents profitiert aber noch aus einem anderen Grund: Wie in den Vereinigten Staaten ziehen viele Menschen aus den kälteren Regionen an ihrem Lebensabend in angenehmere Klimazonen. In den USA findet der Exodus nach Florida und Kalifornien statt; in Europa ist es vornehmlich Spanien und Italien. Diese "Wetterflüchtlinge" sind im Gegensatz zu den sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen wohlhabend. Sie bauen sich Häuser oder kaufen Wohnungen und machen reichlich von Freizeit- und Erholungsdienstleistungen Gebrauch. All dies kurbelt die Wirtschaft an. Ihre Auswanderung in die südlichen Gefilde wird sogar noch durch die zunehmende europäische Integration erleichtert.

Ob von Spanien nun ein "Rollback" der Konservativen zu erwarten ist, ist fraglich. Erste Anzeichen dafür zeichnen sich bereits ab, da in einigen europäischen Ländern (wie zum Beispiel in Frankreich und in Italien) die politische Linke sich laut Umfragen keiner großen Beliebheit mehr erfreut. Doch der desolate Zustand der oppositionellen Bürgerlichen vermag daraus bisher kein Kapital zu schlagen.

Um an der Macht zu bleiben, hat der spanische Ministerpräsident seiner Partei eine schnelle und zielbewußte Entwicklung zur politischen Mitte hin verordnet. Dafür scheut er auch nicht vor umfassenden Personalveränderungen zurück. Die wohl wichtigste Umsetzung liegt schon mehrere Monate zurück: die Ablösung des früheren Regierungssprechers Rodriguez, einem rechten Haudegen, durch den parteilosen Industrieminister Piqué. Piqué gehörte am Ende der Franco-Zeit und zu Beginn des politischen Übergangs zur demokratischen Opposition; er hat im Gegensatz zu vielen Politikern der Volkspartei und Mitgliedern der Regierung nichts mit der traditionell demokratieskeptischen Rechten zu tun.

Den Weg zur Mitte hat Aznar nicht unbedingt selbst vorgezeichnet, doch es spricht für seine politische Klugheit, daß er diesen Weg eingeschlagen hat und konsequent weitergegangen ist. Um die nächsten Wahlen zu gewinnen, braucht er Wähler aus der Mitte. Von rechts drohen ihm keine Gefahren. In Spanien existieren keine nennenswerten rechten Protestparteien. Sicher gibt es noch zahlreiche Anhänger des Ancién Regime, die eine rechte Diktatur der derzeitigen parlamentarischen Demokratie vorziehen würden, doch bleibt ihnen nichts anderes übrig, als das für sie kleinere Übel, die konservative Partei Aznars, zu wählen.

Aznars Weg zur Mitte unterscheidet sich aber wesentlich von dem, was andere bürgerliche Parteien Europas darunter verstehen. Denn es geht ihm dabei nicht darum, jede Art von politischer Festlegung und parteiprogrammatischem Profil zu vermeiden, oder gar Positionen der Gegenpartei zu übernehmen. "Unser Spektrum ist viel weiter als das der deutschen CDU", so Aznar in einem Interview mit der Madrider Tageszeitung El Mundo. Spaniens "Neue Rechte" streift den Muff der traditionellen Rechten ab, indem sie auf das freiheitsfeindliche Vokabular reaktionärer Ideologien verzichtet und stattdessen auf pragmatischen Populismus sowie auf "unpolitische" Technokraten setzt.

Die spanische Volkspartei hat durchaus gute Aussichten, nach den im März 2000 stattfindenden Wahlen weitere vier Jahre zu regieren. Nach einer Umfrage der katalanischen Zeitschrift El PeriÛdico kann die regierende Volkspartei ihren Vorsprung weiter auf 42,6 Prozent gegenüber der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) ausbauen, die nur noch 33,9 Prozent für sich verbuchen kann.


 
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