© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/99 12. März 1999


Vietnam-Krieg: Ein junger deutscher Autor versucht, den längsten Krieg im 20. Jahrhundert zu beschreiben (Teil 1)
Das Ende eines amerikanischen Traums
Karl van den Driesch

Erstmals in deutscher Sprache, die Geschichte des Vietnamkriegs. So preist der renommierte Verlag C.H.Beck ein kleines Paperback-Bändchen an. In der Tat sucht man nach einer systematisch objektiven Publikation über das Thema bei uns wie auch im englischen Sprachraum vergebens, selbst die amerikanischen Divisionsgeschichten sind noch nicht geschrieben. Nun hat also Marc Frey, Jahrgang ’63, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Nordamerika-Programm der Universität Bonn, eine handliche Arbeit vorgelegt. Die längste militärische Auseinandersetzung des 20.Jahrhunderts (29 Jahre) begann am 19. Dezember 1946 mit Eröffnung der Kämpfe durch die nordvietnamesischen Kommunisten gegen die französische Kolonialherrschaft und endete am 1. Mai 1975 nach der Kapitulation der südvietnamesischen Streitkräfte vor den vietnamesischen Kommunisten. Die Kenntnis einiger Grunddaten ist zum Nachvollziehen der Einwände gegen das Buch unerläßlich.

Kolonialvölker wollten sich emanzipieren

Gegen Ende des 19.Jahrhunderts schuf die Kolonialmacht Frankreich die "Indochinesische Föderation" mit fünf Verwaltungseinheiten: Kotschinchina (Südvietnam), Annam (Mittelvietnam), Tonkin (Nordvietnam), Kambodscha und Laos. In der Logik der Entwicklung lag jedoch die Emanzipation der Kolonialvölker. Die Forderung nach einem Selbstbestimmungrecht, von US-Präsident Wilson 1917 nur wohlfeil plakatiert, trieb den jungen vietnamesischen Auslandsjournalisten Ho Chi Minh zu den Kommunisten; denn diese wandten sich als einzige glaubhaft gegen den Kolonialismus. 1929 gründete er die Kommunistische Partei Indochinas mit dem Hauptziel einer nationalen Souveränität. Sie wurde verfolgt, auch nach dem Eintritt der Japaner in den Zweiten Weltkrieg.

Um den Pressionen breiter begegnen zu können, formierte Ho 1941 die "Liga für die Unabhängigkeit Vietnams", unter dem Kürzel Vietminh besser bekannt. Nach der Kapitulation Japans am 15. August 1945 rief Ho schon am 2. September die unabhängige "Demokratische Republik Vietnam" (DRV) aus, deren Präsident er wurde. Doch französische Truppen landeten im Süden, erzwangen in Saigon ihren alten Kolonialstatus und drangen nach Norden vor. Ho Chi Minh bemühte sich nun um einen Ausgleich.

Die "Konvention von Hanoi" 1946 sah ein autonomes Gesamtvietnam vor als Mitglied der Französischen Union, wie man das französische Kolonialreich nun nannte. Die französischen Streitkräfte durften im unbesetzten Nordvietnam Garnisonen unterhalten, befristet auf fünf Jahre. Über die Zukunft des französisch besetzten Südens sollte eine Volksabstimmung entscheiden. Doch die Franzosen errichteten desungeachtet dort einen gesonderten "Staat von Vietnam" und installierten in der Hauptstadt Saigon ein genehmes Regime mit Westorientierung. Nun existierten zwei gegensätzliche vietnamesische Regierungen in Nord und Süd, die Anspruch auf das ganze Land erhoben. In der DRV kommt es zu einem Streit um die Zollhoheit im Hafen von Haiphong. Dabei sollen 29 Franzosen getötet worden sein. Hernach ließ der französische Oberbefehlshaber am 23. November 1946 das Vietnamesenviertel ohne Vorwarnung mit schweren Waffen attackieren: 6.000 Ziviltote. Kein juristisches Nachspiel, keine "Trauerarbeit". Daraufhin eröffnete Ho am 19. Dezember 1946 den Krieg gegen die französische Kolonialmacht. Im Norden wie im Süden entwickelte sich eine Mischung aus Guerillakrieg und konventioneller Kampfweise, ein "schmutziger Krieg"; denn die Kontrahenten hielten sich herzlich wenig an die Regeln des Völkerrechts. Wie im Zweiten Weltkrieg wurde Terror zum Kriegsmittel, doch die Bestialisierung des Krieges nahm noch zu.

Die französische Kriegsphase 1946–54

Die Vietminh, die das Volk durch das nationale Souveränitätsziel weitgehend hinter sich brachten, waren dem konventionellen französischen Expeditionskorps überlegen, sie wurden von China und der Sowjetunion unterstützt. Die US-Regierung entsprach ab Mai 1950 einem französischen Hilfeersuchen aufgrund der Dominotheorie, wonach ein kommunistischer Sieg auch andere Länder umwerfen würde wie das Kippen eines aufrechten Dominosteins den anderen; Expansion sollte mit einer Roll-back-Strategie verhindert werden. Schließlich deckte die Finanzhilfe 78 Prozent der französischen Rüstungsausgaben, auch US-Militärbeobachter standen vor Ort.

Die verlorene Schlacht von Dien Bien Phu 1954, vom Expeditionskorps für den Gegner als Abnutzungsschlacht konzipiert, war der letzte Anstoß für die Grande Nation, sich aus dem Krieg zurückzuziehen. Ihr Korps, 189 500 Berufssoldaten und Freiwillige im Jahr des größten Umfangs 1952, hatte bis zur Genfer Indochina-Konferenz ’54 über 92.000 Tote zu beklagen. In Genf unterzeichneten DRV und Frankreich am 21. Juli einen Waffenstillstand. Vietnam wurde am 17. Breitegrad in Nord und Süd geteilt, die französischen Truppen hatten Nordvietnam zu verlassen, die Vietminh des Südens den Norden aufzusuchen. Kambodscha und Laos wurden souveräne Staaten.

Für Vietnam kündigte die Genfer Schlußerklärung gesamtvietnamesische Wahlen zur Wiedervereinigung im Jahre 1956 an. Nordvietnam entwickelte sich zu einer Diktatur, die den Süden mit Terrorgruppen infiltrierte. Die USA entschlossen sich, für die Sicherheit von Südvietnam, Laos und Kambodscha einzustehen.

Die amerikanische Kriegsphase 1954–73

Nach der Genfer Konferenz inszenieren US-Teams ersten Störaktionen in der DRV. 1955 weigert sich Südvietnam, inzwischen zur Republik Vietnam (RVN) mutiert, die Wahlen mit der DRV vorzubereiten; denn man habe die Genfer Schlußerklärung nicht unterschrieben. Oppositionelle Kräfte werden ausgeschaltet. Repression, Korruption und Ämterpatronage beherrschen das öffentliche Leben, keine Reformen, ein motivierendes Staatsverständnis fehlt. Gleichwohl setzten die USA zur Eindämmung des Kommunismus auf dieses marode Staatsgebilde mit demokratischer Fassade. Materielle Hilfe sollte Südvietnam zu einem Bollwerk entwickeln. Und US-Präsident Kennedy schickte seinem "Klientelstaat" (Frey) viele Militärberater, 1963 sind es schon 16.300.

1960 entsteht im Süden die kommunistisch geführte Aufstandsbewegung "Nationale Befreiungsfront" (FNL), verlängerter Arm der DRV. Die Kommunisten darin firmieren unter dem Kürzel Vietcong, das sich schnell für alle Guerillakämpfer im Süden durchsetzt. In den ländlichen Gebieten hat die FNL bald das Sagen, sie erhebt Steuern. Wo Freiwilligkeit nicht ausreicht, wird grausam durchgegriffen. Den Nachschub aus der DRV transportiert man ungeniert durch die beiden souveränen Staaten Laos und Kambodscha, der Weg geht als HoChiMinh-Pfad in die Geschichte ein. Er bestand aus einer Vielzahl von Pisten durch Dschungel, Flüsse und Gebirge. Kennedys Nachfolger Johnson nimmt ’64 die Beschießung des US-Zerstörers "Maddox" durch DRV-Schiffe zum Anlaß, den Krieg auszuweiten. Er läßt die DRV und den HoChi-Minh-Pfad systematisch bombardieren, ebenso Guerilla-Ziele in Südvietnam. Und er schickt Bodentruppen. Sie dürfen jedoch nicht nach Nordvietnam vordringen, weil dann ein Eingreifen der Chinesen und Russen befürchtet wird. Die US-Truppen operieren von Stützpunkten aus gegen den "unsichtbaren" Feind in Südvietnam, sie werden aus der Luft mit chemischen Giften zur Entlaubung, mit Napalm und anderem unterstützt. Man setzt wieder einmal auf den Abnutzungskrieg, also auf ein Aufgeben des Gegners nach hohen Verlusten, mithin auf ein Konzept, das weder in Verdun noch in Dien Bien Phu funktionierte. Unter diesen Auspizien war keine aktive Massenloyalität der Südvietnamesen zu gewinnen, die Bombardierungen wirkten solidarisierend mit Ho, vergleichbar mit den Reaktionen der deutschen Bevölkerung im Bombenkrieg der Alliierten. Anfang 1969 stehen in Südvietnam 543.400 amerikanische Soldaten (Höchststand) neben südvietnamesischen und geringen alliierten Kräften aus Korea, Taiwan, Thailand, Philippinen, Neuseeland und Australien. Durch häufigen Austausch hielten sich insgesamt drei Millionen US-Soldaten irgendwann einmal in Vietnam auf. Die Bundesrepublik unterstützte mit einem Hospitalschiff, das man aus Verbundenheit mit den USA entsandte, aber auch – nach Frey – durch jährliche Zahlungen an Südvietnam in Höhe von 7,5 Millionen US-Dollar. Die große Tet-Offensive der DRV/FNL im Januar ’68 wird abgewiesen. Aber sie bewirkte in den USA ein Umdenken in Richtung Disengagement. Um Voraussetzungen für Verhandlungen zu schaffen, stellte US-Präsident Johnson am 31.3.68 die Bombardierung der DRV ein, doch der Gegner zeigte noch wenig Entgegenkommen. US-Präsident Nixon will deshalb den Krieg "vietnamisieren", ein euphemistischer Begriff für das Wegdriften der USA ab ’69 und das Ausliefern seines Balgs Südvietnam an eine vorhersehbare Zukunft. 1969 beginnt US-Sonderberater Kissinger mit der DRV zu verhandeln, 1973 unterzeichnen die Kriegsparteien in Paris endlich ein Waffenstillstandsabkommen. Es sah nun den völligen Abzug der US-Streitkräfte vor und allgemeine Wahlen in Südvietnam, durchgeführt von einem "Nationalen Versöhnungsrat" aus Vertretern der Südregierung, der FNL und Sondergruppen. Nach dem Ausscheiden der USA beträgt die Zahl der US-Toten 58.134, nach Frey kehren nur 580 Kriegsgefangene zurück. Friedensnobelpreis für Henry Kissinger und DRV-Verhandler Le Duc Tho, der den Preis ablehnt.

Die vietnamesische Kriegsphase 1973–75

Der Versöhnungsrat kommt nicht zustande, die beiden vietnamesischen Kontrahenten versuchen vielmehr, ihre Gebiete auszudehnen, der Krieg geht weiter. Krude annektieren die Chinesen 1974 die ölverdächtigen Paracel-Inseln Südvietnams. Am 1. Mai 1975 ist der Krieg zu Ende nach Einnahme von Saigon durch die Kommunisten und Kapitulation der Südvietnamesen. Die USA bringen die Saigoner Führungsspitze außer Landes, und über 120.000 Kollaborateure, die zurückbleibenden Parteigänger der USA, erwartet ein unfreundliches Schicksal. Die vietnamesischen, kambodschanischen und laotischen Toten wurden nicht penibel registriert, der Aderlaß war erheblich. Am 2. Juli 1976 wird die Sozialistische Republik Vietnam (SRV) als gesamvietnamesisches Ereignis ausgerufen. Im Frühjahr 1997 eröffnen Vietnam und die USA wieder gegenseitig Botschaften, keine Wiedergutmachungen.

In seinem Vietnambuch nennt Autor Frey nicht einmal alle Daten der vorstehenden Kurzübersicht. Dennoch: viele Informationen, auch über die Zeit danach, aber nur spärliche Anmerkungen, also wenig Quellen. Die abschließende Bibliographie führt eine ausufernde Literatur vor Augen. Obwohl sie nicht vorgibt, vollständig zu sein, vermißt man namhafte Titel wie "La Bataille de Dien Bien Phu" von Jules Roy und "Crisis in Command" von Gabriel/Savage. Und gerade wegen der Literaturfülle sind wir auf Autoren angewiesen, die so objektiv wie möglich Daten mit Interpretationen liefern, die der Wahrheit nahe sind, Autoren, die uns signalisieren, daß wir keinem zeitgeistigen Gefälligkeitsschreiber aufsitzen.

 

Karl van den Driesch, freier Journalist, wurde 1925 in Mönchengladbach geboren; im Kriegseinsatz ab 1943 in der Heeresdivision Großdeutschland; Eintritt in die Bundeswehr 1956; zuletzt als Oberst im Generalstab und Ausbilder an der Luftlandeschule Altenstadt.

Den zweiten Teil lesen Sie in der nächsten JF-Ausgabe in der kommenden Woche.


 
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