© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/99 12. März 1999


Film: Im Alter von 70 Jahren ist der Regisseur Stanley Kubrick verstorben
Zwischen Realität und Alptraum
Werner Olles

Um ein Wasserloch herum hat sich ein Rudel Affen versammelt. Beim Anblick eines riesigen, glänzenden Monolithen entdeckt eines der Tiere die Möglichkeit, einen Knochen als Werkzeug zu benutzen. Mit einem triumphierenden Schrei wirft er ihn in die Luft, eine Überblendung läßt ihn als Raumschiff erscheinen. Man schreibt das Jahr 2001, auf dem Mond wurde jener geheimnisvolle Monolith wiedergefunden. Man vermutet, daß er eine Art Beobachtungsstation ist, da von ihm eine Strahlung ausgeht. Ein Raumschiff wird ausgesandt ....

Mit dieser Szene beginnt Stanley Kubricks wohl bekanntester Film: "2001: Odyssee im Weltraum", den er 1968 drehte. Am Ende des Films rast das gleiche Raumschiff führungslos durch das Weltall, bis die Reise in einem mit Louis XVI.-Möbeln ausgestatteten Hotelzimmer für den Raumfahrer Bowman endet. Er sieht sich selbst als Sterbender im Bett liegen, an dessen Fuß-ende ein Monolith steht. Als er diesen berührt, erlebt er seine eigene Wiedergeburt, um in Zukunft als Embryo durch den Weltraum zu schweben. Von den insgesamt 140 Minuten des Films waren nur knapp vierzig Minuten mit Dialog angefüllt, der Rest ist – so Kubrick – "ein visuelles Erlebnis, das das Unterbewußtsein mit einem emotionalen, philosophischen Inhalt direkt durchdringt". Bis heute ist "2001" der definitive Science-fiction-Film, materialistische Utopie und psychedelische Seh-Erfahrung in einem, ein ästhetisches Spiel der Vorstellungen und Mythen.

1945 begann der im Jahre 1928 in New York geborene Kubrick bei der Zeitschrift Look eine Photographielehre; mit 21 war er bereits ein erfolgreicher Photograph. 1950 fing Kubrick an Filme zu drehen. Nach einem Film über einen Boxkampf ("The Day of the Fight") und zwei ziemlich mißlungenen Gangsterfilmen ("Fear and Desire", "Killers Kiss") gelang ihm 1956 mit "Die Rechnung ging nicht auf" (The Killing) ein großer Wurf. Kubrick stellt eine Welt der Gier, der Einsamkeit und Brutalität dar, das apokalyptische Bild einer urbanen Gesellschaft, in der Motive, Schicksal und Scheitern seiner kriminellen Protagonisten symptomatisch sind für das trostlose Leben in miesen Kneipen, schäbigen Hotelzimmern und verdreckten Wettbüros. 1963 folgt "Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben", in dem es um einen Luftwaffenstützpunkt geht, auf dem atomwaffenbestückte B-52-Bomber stationiert sind. Der Kommandant des Stützpunktes, General Jack D. Ripper, ist ein paranoider Antikommunist, der davon überzeugt ist, daß die "Rotan" seine Körpersäfte stehlen. Also schickt er einen Langstreckenflieger mit einer H-Bombe gen Moskau, denr er nur selbst mit einem Geheimcode wieder zurückrufen kann…

Für solche Phantasien ließ seine zynische Zukunftsbeschreibung "Uhrwerk Orange" (1970) keinen Platz mehr. Der Film schilderte eine Gruppe Jugendlicher, deren Lebensgefühl primär von Sadismus und Brutalität bestimmt ist und deren Anführer nur für Schlägereien, Vergewaltigungen, Drogen und Beethoven-Musik lebt. Nach einer Aversionstherapie wird er jedoch allergisch gegen all dies und kehrt als geläuterter Pazifist zurück in eine Welt, die immer noch von den gleichen Perversionen bestimt wird, denen er vorher zugetan war.

Nach "Barry Lyndon", einem von Kubricks wohl schönsten Filmen, wandte sich der Regisseur dem Horror-Genre zu. In "Shining" (1979) erzählte er die Geschichte eines erfolglosen Schriftstellers, der den Posten eines Hausmeisters in einem abgelegenen Hotel annimmt. Eingeschneit und völlig abgeschnitten vom Rest der Welt nimmt, das Unheil im Overlook-Hotel in den Rocky Mountains schon bald seinen Lauf. Jack Torrance, der schriftstellerische Hausmeister, verfällt wie sein Vorgänger dem Wahnsinn. Kubrick schildert dem Amoklauf des axtschwingenden, irre gewordenen Jack Nicholson mit einer Perfektion, die an Besessenheit grenzt. "Shining" ist eine grandiose Reise in die Innenwelt einer artifiziellen Zone des Terrors, die die Grenze zwischen Realität und Alptraum verwischt. In dieser Symphonie des Grauens spielt sich der wirkliche Horror zwar in den Köpfen der Figuren ab, aber die fiebrigen Imaginationen sind mehr als nur ein Stilprinzip. Kubrick erweist sich hier einmal mehr als ein Mystiker des 20. Jahrhunderts, der den Surrealismus auf die Spitze treibt und eine intime Wanderung ins Nichts unternimmt. Dort angekommen, sehen wir, wie die materielle Realität von atavistischem Spuk und dämonischer Rache beseitigt wurde. Dieses Ende der Rationalität beschreibt Kubrick in "Shining".

"Full Metal Jacket" war einer seiner letzten Filme. Ohne jeglichen Anflug von Romantik oder heroischem Pathos bebilderte Kubrick eine kleine Episode aus dem Vietnamkrieg. Weder Abenteuer noch Ruhm oder Ehre erwarten die jungen Soldaten nach ihrer harten Ausbildung, sondern nichts als Blut, Schmerz und Tod. Schonungsloser hat wohl noch nie ein Regisseur die Schrecken des Krieges thematisiert. Stanley Kubrick starb vergangenen Sonntag im Alter von siebzig Jahren in seiner englischen Wahlheimat.


 
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