© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/99 19. März 1999


Kosovo und Kurdistan: Das Spiel der USA
Eigene Interessen
Alain de Benoist

Zuweilen bringt das Tagesgeschehen in erhellender Weise Ereignisse zusammen, die zunächst einmal gar nichts miteinander zu tun haben. Daß die Kosovo-Krise im selben Moment ins Rampenlicht rückte, da die USA Beihilfe zur Entführung des Kurdenchefs Abdullah Öçalan am 15. Februar in Kenia leisteten – einem Staat, der sowohl als Stützpunkt des israelischen Geheimdienstes als auch für seine Anfälligkeit gegenüber amerikanischen Drohungen bekannt ist – verleitet dazu, zwei Fallbeispiele miteinander zu vergleichen: das der Kurden und das der Kosovo-Albaner.

In beiden Fällen widersetzt sich eine kulturell homogene ethnische Minderheit der erzwungenen Integration in einen Nationalstaat, der ihre Existenz leugnet. In beiden Fällen läßt sich derselbe Wille zur nationalen Emanzipation beobachten, für den die militanten Bewegungen UCK und PKK stehen. Der große Unterschied ist, daß die Kosovo-Albaner wenigstens Albanien als Nachbarstaat haben, während die Kurden das weltweit einzige Volk einer solchen Größe bilden, das niemals in irgendeiner Weise gesetzlich anerkannt war. Ein zweiter Unterschied liegt darin, daß Jugoslawien im Moment bereit zu sein scheint, dem Kosovo ein gewisses Maß an Autonomie zurückzugeben. Die Türkei dagegen stellt sich weiterhin taub gegenüber den elementarsten Forderungen ihrer 15 Millionen Kurden, wie zum Beispiel der rechtlichen Anerkennung ihrer Sprache oder der Möglichkeit, in dieser Sprache Zeitungen herauszugeben.

Nicht nur, daß die USA hier mit zweierlei Maß messen – sie praktizieren im einen Fall das genaue Gegenteil dessen, was sie im anderen tun. Sie unterstützen den türkischen Nationalismus gegen den kurdischen Separatismus, geißeln aber den serbischen Nationalismus, indem sie sich auf die Seite der Kosovo-Albaner stellen. Einerseits leisten sie der Türkei logistische Hilfe, um "die kurdische Rebellion auszumerzen", andererseits setzen sie Belgrad unter Druck, den Forderungen der UCK nachzugeben. Einerseits beteiligen sie sich an der Unterdrückung der anatolischen Kurden und an der Entführung ihres Anführers, andererseits unterstützen sie den Traum von Groß-Albanien und drängen die Europäer, Serbien die Abtrennung des Kosovo aufzuzwingen und damit den Kosovo-Albanern etwas zuzugestehen, was den bosnischen Serben noch verweigert wurde.

Dieser Widerspruch läßt sich leicht erklären. Die Amerikaner setzen sich völlig über das Völkerrecht hinweg und haben nur ihre eigenen Interessen im Sinn. Die türkischen Kurden schaffen Probleme, die diesen Interessen im Weg stehen, denn die Türkei ist zusammen mit Israel und Saudi-Arabien für die USA der wichtigste Verbündete im Nahen Osten. In Ankara herrscht deshalb die Gewißheit, sich alles erlauben zu können.

Aus amerikanischer Perspektive ist der Separatismus im Kosovo gerechtfertigt, nicht aber in Kurdistan, Palästina oder Nordirland, ganz zu schweigen vom Baskenland, dem Norden Italiens oder Korsika. Aus diesem Grund urteilt man in Washington, daß die Situation in Serbien unmittelbar die "internationale Gemeinschaft" betrifft, während die Kurdenfrage genauso eine "interne türkische Angelegenheit" ist, wie die Massaker in Ost-Timor eine "alleinige Sache Indonesiens" sind. Der Kosovo ist indessen immer noch eine Provinz Serbiens – ganz genauso, wie etwa die Bretagne oder Korsika zu Frankreich gehören. Man stelle sich vor, diese beiden Regionen beabsichtigten eine Sezession. Wäre es in diesem Fall denkbar, daß die französische Regierung ein Eingreifen der NATO in Brest oder Ajaccio hinnehmen würde, um die Unterdrückung eines Aufstands zu verhindern, der die nationale Einheit gefährdete?

Im Kosovo, der für Washington keine besondere wirtschaftliche Bedeutung hat, geht es den USA zum einen darum, politische und religiöse Antagonismen zu schüren, die zu Zeitbomben im Herzen des europäischen Integrationsprozesses werden. Gleichzeitig wollen sie der Europäischen Union erneut unter Beweis stellen, daß sie als einzige in der Lage sind, Konflikte auf europäischem Territorium zu lösen.

Die Verhandlungen zwischen Serben und Kosovo-Albanern sind am 15. März wieder aufgenommen worden. Letztere sind offenbar bereit, ein Friedensabkommen zu unterzeichnen, das eine substantielle Autonomie ihrer Provinz vorsieht. Allerdings lehnt Milosevic kategorisch eine internationale Miltärpräsenz ab. Für den Fall, daß die Serben das Abkommen nicht unterzeichnen, droht die NATO mit Militärschlägen gegen vermeintliche "strategische" Ziele auf serbischem Gebiet, die aber selbstverständlich auch Zivilisten beherbergen. Zum ersten Mal in seiner Geschichte wird das atlantische Bündnis militärische Macht als politisches Instrument benutzen und damit massiv gegen die Charta der Vereinten Nationen verstoßen. Die Machtstellung Milosevics wird sich dadurch, wie einst die Saddam Husseins, keineswegs schwächen, sondern um so stärker werden. Der Zorn der Serben wird ins Unermeßliche wachsen. Das könnte der Beginn einer allgemeinen Destabilisierung der Region sein.


 
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