© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/99 19. März 1999


Parteien: Manfred Brunner über seine Rückkehr in die FDP und Europa
"Die Liberalen sind im Umbruch"
Karl-Peter Gerigk

Herr Brunner, was hat Sie dazu bewogen, nach dem gescheiterten Experiment mit dem Bund Freier Bürger nun wieder in den Schoß der FDP zurückzukehren?

Brunner: Ich habe 1993 die FDP verlassen, weil wichtige Themen, zum Beispiel eine demokratische Europapolitik, dort tabuisiert wurden, und habe versucht, eine eigene nationalliberale Partei zu gründen. Nachdem es nun zu Irritationen kam, stand ich vor der Frage, mich vollkommen aus der Politik zurückzuziehen oder meine Überzeugungen in eine andere Partei hineinzutragen. In dieser Überlegungsphase hat sich die Bonner FDP-Führung mit mir in Verbindung gesetzt und mir zu verstehen gegeben, daß Themen, die noch vor sechs Jahren tabuisiert wurden, jetzt auf der Tagesordnung stehen. Es ist klar, daß meine Forderungen nicht von heute auf morgen in der Partei umgesetzt werden können. Doch meine Ideen sind als ernsthafte Herausforderungen in der FDP gewünscht. Gerade in den neuen Bundesländern hat die FDP einen entschiedeneren und freiheitlicheren Ansatz als in den alten Bundesländern. Dies hat mich dazu bewogen, im Vogtland wieder in die FDP einzutreten.

Wo sehen Sie die konkreten Gründe für das Scheitern des BFB?

Brunner: Ich weiß nich ob er schon gescheiteri ist. Aber es ist uns jedenfalls nicht gelungen, einen spektakulären Wahlsieg zu erringen. Das beste Ergebnis war in München mit drei Prozent. Doch danach gab es nur Nullkomma-Ergebnisse. Wir mußten zur Kentnis nehmen, daß wir uns seit der Europawahl 1994 nicht aufwärts, sondern in den Ergebnissen nach unten bewegten. Das hätte mich nicht weiter gestört, ich hatte der Partei vorgeschlagen, auf einen Bewußtseinswandel zu warten. Doch viele Mitglieder waren für eine Langzeitstrategie nicht zu haben. Sie sahen mich offensichtlich als Hemmschuh, denn ich wurde von vielem nicht mehr informiert. Daraus habe ich meine Konsequenzen gezogen.

Denken Sie nicht, Sie verlieren durch solch ein Bäumchen-wechsel-dich-Spiel ihre politische Glaubwürdigkeit?

Brunner: Ja, es kann sein, daß mancher enttäuscht ist und denkt, Brunner tritt in eine Partei ein, die in vielen Punkten nicht dem entspricht, was er denkt. Dazu kann ich sagen, daß die FDP sich in vielen Punkten entscheidend ändern muß. Ich bin nicht in die FDP zurückgekehrt, um eine falsche Politik mitzutragen, sondern um Veränderungen herbeizuführen und das Profil der Partei zu schärfen. Und die FDP ist im Umbruch. Wer hätte sich vor Jahren vorstellen können, daß sie im Bundestag ein "Einwanderungsbegrenzungsgesetz" vorlegt und den Mut hat, das offiziell so zu benennen.

Sie fordern von der FDP mehr Freiheitsaspekte und erwähnen ausdrücklich den Schutz des ungeborenen Lebens. Wie paßt das zusammen?

Brunner: Es geht mir darum, daß in der FDP ernsthaft über dieses Thema gesprochen wird. Es wird zur Zeit sehr oberflächlich nur unter dem Aspekt der Emanzipation der Geborenen erörtert. Das Freiheits- und Lebensrecht des Ungeborenen wird sehr gering geschätzt. Der Lebensentzug ist der schwerwiegendste Freiheitsentzug. Hier muß eine Partei, die sich dem Freiheitsideal verpflichtet fühlt, einen ganz anderen Diskussionsansatz finden, als er sich in der FDP zur Zeit mehrheitlich zeigt. Man muß sich übrigens auch Gedanken machen, wie man jungen Frauen und jungen Familien hilft. Dies gilt gerade für die Erziehungsphase des Kleinkindes. Die Familien müssen finanziell besser gestellt werden. Ein gutes Beispiel ist hier das Modell, das die FPÖ im Kärtner Wahlkampf mit dem Kinderbetreuungsscheck propagiert hat. Dies würde vielen Müttern erlauben, die Kinder auch länger zu Hause zu behalten. So gut es ist, Kinder rechtzeitig an Sozialverhalten zu gewöhnen, werden sie doch zu früh in den Kindergarten gesteckt. Oft leiden sie darunter.

Sind die Kategorien von Volk und Familie, so wie sie auch von Jörg Haider und der FPÖ mit Erfolg vetreten werden, nicht das bessere Konzept für ein Gesellschaftssystem, als das konsumorientierte, isolierte Individuum der Bürgergesellschaft im Sinn der FDP?

Brunner: Das ist kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Für ein Leben in Freiheit sind alle Aspekte notwendig. Die Menschen befinden sich in verschiedenen sozialen Bezügen. Sie haben ein Recht auf individuelle Freiheit. Sie sind auch Mitglieder einer Gesellschaft und haben ein Recht auf ein funktionierendes und freiheitliches Gesellschaftsmodell. Sie sind auch Teil eines Staatsvolkes, und Demokratie heißt Volksherrschaft, die ohne Volk nicht existiert. Das Volk ist mehr als eine unbestimmte, zusammengewürfelte Anzahl von Individuen. Der Einzelne steht in Bezug zur Familie und braucht sie. Wenn diese Urzelle nicht mehr funktioniert, führt dies zu schweren neurotischen Störungen des Einzelnen und der Gesellschaft.

Sie zitieren Max Weber mit den Worten: "Der Bauer ist der letzte freie Mann Europas."

Brunner: Ich bin ein ganz entschiedener Gegner der Agenda 2000. Das ist ein Sterbeprogramm für die Bauern in Deutschland, für die bäuerlichen Familienbetriebe. Ich habe früh gesagt, daß die Landwirtschaftspolitik der EU verfehlt ist, daß sie renationalisiert werden muß und daß man den Bauern die Möglichkeit geben muß, Wettbewerb zu betreiben, ohne Reglementierungen und Quoten. Zusätzlich muß der Bevölkerung klar sein, wieviel ihnen die kulturelle Leistung der Landwirte in der Landschaftspflege und für die Umwelt wert ist. Dieser Leistung muß finanziell Rechnung getragen werden. Das muß vor allem durch nationalen Stützung erreicht werden.

Sie sprechen davon, daß Globalisierung ein Modewort sei und daß sie vor allem der Großindustrie nütze. Was ist Ihr Konzept?

Brunner: Eine freiheitliche Politik muß den Mittelstand fördern. Die ungeheuren Gefährdungen durch die Globalisierung für den Mittelstand liegen auf der Hand. Die Politik muß aufhören, die Internationalisierung und Globalisierung als ein Naturgesetz zu sehen, das man über sich ergehen lassen müsse. Es gibt die Möglichkeit, daß der Staat zugunsten einer sozialen Marktwirtschaft entsprechende Rahmendaten setzt. Vor allem dürfen im internationalen Freihandel die Marktwirtschaftsgefährdungen, "Kartelle" statt Vielfalt und "Vereinheitlichung statt Wettbewerb" nicht übersehen werden.

Meinen Sie auch, daß der Verflechtung und Konzentration von Großunternehmen und Banken, also deren wachsender Macht über Staat und Gesellschaft, Einhalt geboten werden muß?

Brunner: Graf Lambsdorff hat schon vor langem gefordert, das Depotstimmrecht der Banken abzuschaffen, und meiner Meinung nach müssen auch die Industriebeteiligungen der Banken problematisiert werden.

Sie sagen, eine materialistische Gesellschaft ist unfrei. Was meinen Sie damit?

Brunner: Es ist Freiheit, wenn der Mensch die Möglichkeit hat, so zu sein, wie er nach dem göttlichen Schöpfungsplan angelegt ist. Freiheit umfaßt auch, daß er nicht in ein rein materielles Korsett gezwängt wird. Gerade bei einer materiell ausgerichteten Wirtschaft hat der Staat die Aufgabe, durch ein ideelles Konzept und durch ein Verhaltensmuster einen Ausgleich zu schaffen. Ich halte es für notwendig, daß von der Erziehung über die vermittelten Kulturwerte bis hin zur Funktion staatlichen Handelns jedem Menschen klar wird, daß Geld notwendig ist, aber nicht alles.

Sie fordern mehr Demokratie für Deutschland und Europa. Wollen Sie mehr Plebiszite?

Brunner: Wir leben in einer Gesellschaft mit einer engen und komplexen Verflechtung von Politik und Wirtschaft. Die Menschen wenden sich von den politischen Mitwirkungsmöglichkeiten ab. Der Weg zu mehr direkter Demokratie kann hier eine Lösung sein. Die Schweiz ist ein gutes Beispiel für ein Gelingen. Europa ist ein schlechtes Beispiel. Der Wähler hat keine Möglichkeiten, mißliebige Entscheidungen zu verhindern. Im Ministerrat können durch Mehrheitsentscheid auch gegen den Willen des jeweiligen Wahlvolkes Entscheidungen gefällt werden. Hier will ich mich in der FDP einsetzen, daß die demokratische Legitimation Europas im wesentlichen über die nationalen Parlamente erfolgt. Das Europäische Parlament kann nur ergänzend zu den nationalen Parlamenten aktiv werden, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat.

Aber das Bundesverfassungsgericht entscheidet nur auf der Grundlage des Grundgesetzes, nicht auf der Grundlage europäischen Rechts.

Brunner: Hier gilt die sogenannte Brückentheorie, das heißt europäische Rechtsakte sind nur gültig, wenn die deutschen Grundrechte sie zu tragen vermögen. Die angemessene europäische Verfassung sind die Staatsverträge. Eine Verfassung kann sich nur ein Volk geben. Ein europäisches Volk gibt es aber nicht.

 

Manfred Brunner geboren 1947 in München, trat nach seinem Abitur in die Bundeswehr bei den Gebirgsjägern ein und ist heute Major der Resereve. 1965 wurde er Mitglied der FDP und übernahm 1972 den Fraktionsvorsitz im Stadtrat von München. Von 1983 bis 1989 war er Landesvorsitzender der FDP in Bayern. 1994 gründete Brunner dann nach seinem Austritt aus der FDP den Bund Freier Bürger(BFB).


 
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