© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/99 19. März 1999


Betäubungsloses Schächten: Das islamische Opferfest "Kurban Bayrami" steht vor der Tür
"Tötet das Tier auf beste Weise"
Gerhard Quast

Zuerst wird dem gefesselten und niedergeworfenen Tier der Kopf gen Mekka gerichtet. Mit einem scharfen Messer werden im Namen Allahs ("Allah hu Ekber") die Halsmuskeln, Luftröhre, Speiseröhre und Halsschlagadern durchtrennt. Danach die Nervi accesori und der Vagus sowie das gesamte Sympathische Nervensystem und die Nervi phrenici. Während des langsamen Ausblutens des Schafes versorgen Arterien innerhalb der Halswirbelsäule ebenso wie das Rückenmark und die zwölf Hirnnerven das Gehirn und verhindern so, daß das unbetäubte Tier vor dem vollkommenen Ausbluten sterben kann. Der Todeskampf dieser Tiere dauert bis zu 15 Minuten.

Jedes Jahr wiederholt sich diese Prozedur anläßlich des islamischen Opferfestes "Kurban Bayrami" auch in Deutschland zehntausendmal. Viele gläubige Muslime berufen sich dabei auf den Koran, in dem es heißt: "Verwehrt hat Er euch nur das von selbst Verendete und Blut und Schweinefleisch und das, worüber ein anderer Name als Allahs angerufen worden ist." Durchgeführt wird dieses rituelle Schächten in Hinterhöfen und Scheunen, auf freiem Feld und in der heimischen Badewanne. Denn das betäubungslose Schächten ist in Deutschland gemäß Paragraph 4a Absatz 1 des Tierschutzgesetzes (TSchG) streng verboten: "Ein warmblütiges Tier darf nur geschlachtet werden, wenn es vor Beginn des Blutentzugs betäubt worden ist."

Von dieser Betäubung kann nur abgesehen werden, wenn die zuständige Behörde "eine Ausnahmegenehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung (Schächten) erteilt hat". Diese Ausnahmegenehmigung darf aber nur insoweit erteilt werden, "als es erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen" (§ 4, Abs. 2, Satz 2 TSchG). Im Hinblick auf gläubige Juden ist nach geltender Rechtsprechung das betäubungslose Schächten erlaubt. Koscheres Essen sei für sie "zwingende Glaubensvorschrift", so die Begründung. Dies werde im Unterschied zum Islam beim Judentum dadurch deutlich, daß beim Schächten stets ein Rabbi zugegen sein muß, der die Segensformeln spricht, unterstreicht die Islamexpertin Ursula Spuler-Stegemann in ihrem Buch "Muslime in Deutschland".

In Bezug auf die muslimischen Gläubigen wurde das 1972 in das Tierschutzgesetz eingefügte Verbot der Schächtung stets unterschiedlich ausgelegt. Bis 1995 gab es rund ein Dutzend sich widersprechender Urteile deutscher Gerichte. Erst das Bundesverwaltungsgericht schaffte Klarheit. Mit seinem Urteil vom 15. Juni 1995 (BVerwG 3 C 31.93) untersagte das Gericht den Behörden die Erteilung von Sondergenehmigungen, da das betäubungslose Schächten für gläubige Muslime keine zwingende religiöse Vorschrift sei, sondern nur ein Ritual.

In der Schweiz besteht ein Verbot seit 1893

Untermauert wurde diese Entscheidung durch "hochkarätige religiöse Gutachten", schreibt Spuler-Stegemann. In einer "Fatwa" des ägyptischen Großmuftis und Rektors der in der islamischen Welt hohe Autorität genießenden al-Azhar-Universität, M. El-Naggar, vom 25. Februar 1982 an den Kulturreferenten der deutschen Botschaft in Kairo heißt es: "Wenn das Tier durch den elektrischen Schock getötet und dann nach seinem Tode geschlachtet wird, ist das Verzehren seines Fleisches ‘nach der Religion’ verboten, weil es sich in diesem Falle um ein totes Tier handelt. Wenn aber der elektrische Schock nur zur Betäubung des Tieres führt, dieses sofort geschlachtet wird und von ihm Blut herausfließt, ist das Verzehren seines Fleisches erlaubt." Dem Verzehr von Fleisch betäubter Tiere steht "entsprechend den Bestimmungen des Islam" nichts entgegen. Diese Ansicht findet sich in einer Verlautbarung der Islamischen Weltliga aus dem Jahre 1989 in Dschidda und wird so auch vom Präsidium für Religionsangelegenheiten in Ankara vertreten.

Untermauern läßt sich diese Position auch durch das Buch Sahiha, in dem Imam Moslem die Worte Muhammads folgendermaßen wiedergibt: "Man soll bei jedem Tun sein Bestes tun, und wenn Ihr ein Tier tötet, dann tötet es auf beste Weise. Und wenn Ihr schlachtet, dann sollt Ihr auch gut schlachten; (…) das Tier muß sich bei der Schlachtung in ruhigem Zustand befinden". Daraus schließt Sheikh Mohamed Salah Wal Balta, Sheriatsrichter von Sidon (Libanon), daß gegen das Mittel der Betäubung "keine Einwände" bestünden, weil es den Zweck erfülle, "die Schmerzen des Tieres während seiner Schlachtung zu lindern, aber nicht zu töten".

Trotzdem ist die gegenwärtige Gesetzeslage in doppelter Hinsicht umstritten. Für die Verfechter betäubungslosen Schächtens stellt das auf Muslime abgestellte Verbot der Schächtung nicht nur eine Einschränkung der Religionsfreiheit dar, sondern wird als eine Form der Ausländerfeindlichkeit gewertet. Den Argumenten der Tierschützer wird entgegengehalten, daß durch das unprofessionelle Schwarzschächten den Tieren mehr Leid zugemutet werde, als vor dem Verbot, als dies unter Aufsicht von Veterinären und Tierschützern vonstatten ging. Hinzu komme, daß es keine europaeinheitliche Regelung gebe – Verbote existieren in Liechtenstein (seit 1988), Norwegen (seit 1930), Schweden (seit 1937), der Schweiz (seit 1893), Deutschland, Island und den österreichischen Bundesländern Tirol (seit 1949) und Oberösterreich (seit 1952) – und somit Tiertransporte in Länder üblich geworden seien, die das Schächten ohne Betäubung weiterhin erlauben – wenn auch nur unter strengen Auflagen, wie in Großbritannien, Frankreich und Dänemark.

Tierschützer hingegen fordern ein strikteres Verbot, das auch die Angehörigen jüdischen Glaubens nicht ausnimmt. Das wiederum hat die Tierschützer dem Vorwurf des Antisemitismus und mangelnden Respekt vor den Gefühlen der jüdischen Opfer und Hinterbliebenen ausgesetzt. Vertreter jüdischer, insbesondere orthodoxer Gemeinden sehen sich durch die Forderungen der Tierschützer an die Verfolgungen der Nationalsozialisten erinnert. Diese hatten bereits unmittelbar nach der Machtergreifung 1933 ein antijüdisch motiviertes Verbot des Schächtens erlassen, das 1945 aufgehoben und 1960 vom Bundesgerichtshof als "nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahme" eingestuft wurde. Zwölf Jahre später wurde die Schächtung durch Paragraph 4a TSchG mit den für Religionsgemeinschaften geltenden Ausnahmen wieder eingeführt.

Viele Tierschützer sehen in den Verfolgungen während des Dritten Reiches allerdings keine Pflicht zur Zurückhaltung schließlich verbiete die jüdische Religon "nicht das Fleisch von Tieren zu essen, die vor ihrem Tode betäubt wurden. Sie schreibt allerdings vor, daß Tiere nach dem Schlachten ausbluten müssen. Die Betäubung führt weder zum Tod des Tieres, noch verhindert sie das von der Religion vorgeschriebene Ausbluten." Somit könne ein Verbot des betäubungslosen Schächtens nicht als Einschränkung der Religionsfreiheiten angesehen werden, ganz zu schweigen "von Hinweisen auf Antisemitismus", betont Samuel Dombrowski, selbst Jude und Überlebender des Vernichtungslagers Auschwitz.

Mit türkischen Flugblättern gegen die "Tiermassaker"

Ungeachtet dieser Vorwürfe und einer möglichen Kriminalisierung durch ein von der rot-grünen Bundesregierung geplantes "Antidiskriminierungsgesetz" mobilisieren seit einigen Jahren verstärkt Tierschützer – allen voran eine von unterschiedlichen Gruppen unterstützte "Bundesarbeitsgruppe gegen betäubungsloses Schächten" – massiv gegen das illegale Abschlachten. Mit Flugblattaktionen in türkischer Sprache und Mahnwachen wollen sie auch während des diesjährigen "Kurban Bayrami", das vom 28. bis 31. März stattfindet, auf die weitverbreitete Praxis betäubungslosen Schächtens aufmerksam machen und unterstreichen, daß Schwarzschächten kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat darstellt.


 
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