© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/99 19. März 1999


Dresden: Die Ausstellung "Verlassene Gärten" hat die Natur im Visier
Heiterkeit und Melancholie
Uwe Ullrich

Kürzlich öffnete das erste Businesscenter in Dresden seine Räumlichkeiten. Am zentrumnahen Rand des Stadtteils Blasewitz entstand eine Alternative zu den auf konventioneller Basis angebotenen Büroflächen. Unternehmen aller Branchen und unterschiedlicher Größe können komplett eingerichtete Büroräume, auch zeitlich variabel, mieten. Im Mietpreis ist die Nutzung der umfangreichen Infrastruktur enthalten. Das in Europa weitgehend unbekannte Geschäftskonzept bewährte sich in den USA. "Plug and work" lautet die Zauberformel.

Gleichzeitig mit der Eröffnung dieses Centers erfolgte eine Werkpräsentation der Dresdner Künstlerinnen Christine Heitmann (Collagen) und Christine Wahl (Graphik). Tilmann Heitmann steuert der unter dem Titel "Verlassene Gärten" stehenden Verkaufsausstellung Fotografien bei. Zu Beginn der Vernissage bescheinigte Holger M. Starp, Geschäftsführer der plug and work GmbH, den Ausstellenden eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe. "Die Natur mit ihren immer wiederkehrenden Abläufen des Werdens und Vergehens bringt uns, gleichsam in einem Spiegel, unser eigenes Dasein vor Augen."

Im eng umgrenzten Rahmen des Gartens läßt sich die unermeßliche Vielfalt der Veränderung, auch der menschlichen, nachvollziehen. Während der Bürger an der künstlichen Perfektionierung seiner unmittelbaren Umgebung wirkt, gestaltet sich seine Berührung mit der Natur zu etwas eher Zufälligem. Die Arbeiten der drei Künstler wollen auf den Verlust und das Nicht-Wahrnehmen ursprünglicher Bewegungsräume der Menschen aufmerksam machen. Aus der Übereinstimmung der inhaltlichen Thematik, der langjährigen Beschäftigung mit ihr und dem Bedürfnis, gegenwärtige Befindlichkeiten und Probleme offenzulegen, entstand die Idee, gemeinsam dieses Projekt zu gestalten.

Die 1937 in Dessau geborene Christine Heitmann, Ehefrau des sächsischen Justizministers, lebt seit der Bombardierung Dresdens 1945 im Stadtteil Blasewitz. Nach einer Berufsausbildung absolvierte sie ein Abendschulstudium an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Unter anderem studierte Frau Heitmann Plastik, der sie auch heute noch die meiste Zeit widmet. Über die Arbeiten der Künstlerin äußert Professor Jürgen Paul: "Da sind die Plastiken und Medaillen, die Gemälde und Collagen und dann auch Zeichnungen. Der Kunsthistoriker sieht verzweigte Bezüge in der Geschichte der Moderne der zwanziger Jahre und der Nachkriegszeit. Immer sieht und spürt man die formenden Finger, den Prozeß des Modellierens. Da entsteht ein taktiles Gefühl zwischen dem Stofflichen und Bildhaften." Die Collagen entwickeln ein ästhetisches und inhaltliches Eigenleben voller Besinnlichkeit, aber auch poetischer Stimmungen. Vergleichbar sind sie mit der Sensibilität der Skulpturen, jedoch durch andere Mittel und Materialien ausgedrückt. Farbige oder transparente Papiere überlagern sich. Heraus treten oder verschwinden Farben und Konturen, verschleiern sich zum Teil. Es entsteht der Eindruck, daß sich alles zwischen innerer Heiterkeit und Melancholie bewege.

Frau Heitmann gehört wie die Grafikerin Christine Wahl, Jahrgang 1935, der Generation an, die sich nach dem Krieg künstlerisch profilierte. Ihre Erfahrungen mit der DDR ließen sie an der Wirklichkeit reiben, um eigenständige geistige und künstlerische Weltanschauungen zu formulieren. Nach einem Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden arbeitet Frau Wahl seit 1958 als freischaffende Grafikerin. Ihre Zeichnungen und die Druckgrafik basieren auf klassischen Vorbildern, sind vom souveränen Umgang mit Pastell und Aquarell gekennzeichnet. "Spannungsvoll und gegensätzlich waren die Anregungen ihrer Lehrer an der Dresdner Kunsthochschule. Hans Theo Richter vermittelte den tektonischen Bau der Zeichnungen aus der Dix-Schule und humanes Ethos aus der Kollwitz- Tradition. Dessen Strenge lockerte Max Schwimmer durch die kleinpariserische Phantasie und leichtfüßige Fabulierlust auf", erklärt Professor Diether Schmidt. Die Bedingung und Grundlage für Frau Wahls Weltsicht liegt in deren Sujektivität, in einer Bildwelt, die das Lebensgesetz des Stirb und Werde dominierend beherrscht.

Über seinen Zugang und Annahme fotografischer Sichtweise der Umwelt äußert sich Tilmann Heitmann: "Schon als kleiner Junge war ich gern in ihrem Atelier. Da blieb mir ja nichts anderes übrig, als mich mit Kunst zu beschäftigen." Durch die künstlerische Tätigkeit seiner Mutter inspiriert, fand der 1975 geborene Musikschüler Mitte der achtziger Jahre zur Fotografie. Erste Arbeiten widmen sich der Dokumentation über Blasewitz. Til Heitmann bemüht sich, mit sachlichem Blickwinkel dem Betrachter Wirklichkeitsangebote zu unterbreiten. Es gelingt ihm, durch unterschiedliche Standpunkte der Objektbetrachtung viele mögliche Sichtweisen zu suggerieren. Die vorgelegten fotografischen Arbeiten des jungen Künstlers beweisen, daß Fotos nicht wertloses Massenprodukt sein müssen, sondern die zuverlässige Dokumentation der Wirklichkeit sein können. Uwe Ullrich

 

Die Ausstellung im Abakus Businesscenter Dresden, Blasewitzer Straße 41, findet bis zum 22. April 1999 statt. Sie ist Montag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr geöffnet.


 
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