© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/99 19. März 1999


CD: Klassik
Intervallsprünge
Julia Poser

Wer heute nach einer Aufnahme von Christoph Willibald Glucks bekanntester und beliebtester Oper "Orpheus und Euridike" sucht, hat die Qual der Wahl zwischen mehreren Fassungen. Da gibt es die Wiener Fassung von 1762 in italienischer Sprache. Wien war damals eine der Hochburgen für die italienische Opera seria. Zunehmend begannen aber immer mehr Komponisten, unter ihnen auch Gluck, eine Reform dieser altmodischen Kunstform anzustreben. Dabei stießen sie jedoch auf den erbitterten Widerstand der hochbezahlten Gesangsvirtuosen. In der Uraufführung von "Orfeo ed Euridice" sang der berühmte Kastrat Gaetano Guadagni die Partie des sagenhaften Sängers Orpheus. Mit Glucks reformerischen Ideen war der eitle Kastrat allerdings ganz und gar nicht zufrieden. Statt barocker, halsbrecherischer Koloratuen verlangte Gluck von ihm, sich mit "kunstlosen", schlichten Arien zu begnügen. Auch das Wiener Publikum konnte mit der "azione teatrale per musica" genannten Festoper mit nur drei Personen und ohne verwickelte Intrigen nicht viel anfangen.

Zwölf Jahre später, 1774, lebte Gluck in Paris. Marie Antoniette, die französische Kronprinzessin, ebnete ihrem ehemaligen Musiklehrer am Wiener Hof alle Wege zur Aufführung seiner Opern. Der Text von "Orfeo" wurde ins Französische übersetzt, und Gluck fügte für das obligatorische Ballett im 2. Akt den "Tanz der Furien" ein. Wichtigste Änderung war jedoch, daß statt eines Kastraten ein Tenor die Hauptrolle sang, denn in Paris waren Kastraten nicht beliebt. Diese Pariser Fassung wurde für Gluck ein sensationeller Erfolg.

1859 bearbeitete dann Hector Berlioz die Oper, und außerdem gibt es noch eine deutsche Fassung mit einem Bariton als Orpheus.

Die CD Firma ARTS hat nun einen neuen "Orfeo ed Euridice" herausgebracht, der ein wahrer Glücksfall für Opernliebhaber ist. Neben dem günstigen Preis bringt diese Aufnahme auch die Bravour-Arie "Addio o miei sospiri" (lebt wohl meine Seufzer), die sich nicht in jeder Einspielung findet. In dieser mit glänzenden Intervallsprüngen gespickten, dramatischen Arie besticht Ewa Podles als thrakischer Sänger Orpheus durch große Virtuosität. Auch wenn sie nach dem "Reigen der seligen Geister" den reinen Himmel (Che puro ciel) besingt, spürt man die Sonne Homers in ihrem warmen, vollen Mezzosopran. Die bekannteste Arie der Oper "Che faro?" (Ach, ich habe sie verloren) interpretierte Ewa Podles mit berührender Innigkeit. Mit Ana Rodrigo als schönstimmige Euridice und Elena de la Merced mit helljubelndem Sopran als Amor wird ein vollkommendes Trio gebildet. Der Coro de la Comunidad de Madrid beweist seine Qualität sowohl als trauernde Hirten und Furien im Hades, als auch am Ende im Triumph der Liebe.

Dieser "Orfeo" hat aber noch einen weiteren Pluspunkt: Der schon 80jährige Peter Maag, letzter noch lebender Schüler des legendären Dirigenten Wilhelm Furtwängler, dirigierte das spanische Orquesta Sinfonica de Galicia mit schöpferischem Elan. Bereits in den ersten Takten der Ouvertüre fesselte die dynamische Kraft und die leidenschaftliche Spontanität seines Dirigats. In den lyrischen Passagen erreicht Maag aber auch schimmernde Transparenz und makellose Klarheit.

Eine der überzeugendsten Aufnahmen von "Orfeo ed Euridice". (ARTS 47536-2, 2 CDs, ital./engl. Libretto, ausführliches Beiheft, ital., deutsch, engl., franz.)


 
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