© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/99 19. März 1999


Nachruf: Zum Tod des Geigers Yehudi Menuhin
Künstler für Deutschland
Felizitas Küble

Yehudi Menuhin, ein Musiker von Weltruhm, starb am 12. März 1999 in einem Berliner Krankenhaus an akutem Herzversagen; er wurde 82 Jahre alt. Der 1966 von Königin Elisabeth zum "Lord" geadelte Geigenkünstler erhielt auch das Ritterkreuz der französischen Ehrenlegion. Lord Menuhin, 1916 in New York als Sohn jüdischer Einwanderer geboren, fühlte er sich einem Land und seiner Kultur besonders verbunden: Deutschland.

Die Verständigung zwischen Juden und Deutschen war ihm ebenso wichtig wie der Brückenbau zwischen Juden und Christen. Wegen seiner Versöhnungsarbeit erhielt Menuhin 1979 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In seiner Dankesrede erklärte der Preisträger, die Grundlage des europäischen Friedens sei "unser griechisch-römisches und jüdisch-christliches Erbe". Jesus Christus, so Menuhin, sei "unbestreitbar der Größte aller Menschen". Der jüdische Geigenkünstler würdigte die "lebende Wahrheit von Christis vorbildhaftem Leben".

Zur Wahrheit unseres Lebens gehörte für den Verstorbenen auch die Anerkennung einer übernatürlichen Welt. In seinem Buch "Kunst als Hoffnung für die Menschheit" erläuterte Menuhin den Sinn der Religion; sie führe uns zu der Einsicht, "dieses Leben nicht als unser Ein und Alles zu betrachten, sondern als ein Pfand, dessen Hüter wir für eine kleine Weile sind". Noch deutlicher äußerte sich der Geigen-Lord in seinem Werk "Kunst und Wissenschaft als verwandte Begriffe": "Eine Gesellschaft, die weder betet noch fastet und in der nicht wenigstens einige Menschen auf diese Art am Unendlichen teilhaben, ist in ihrem Gleichgewicht ernsthaft gestört".

Ebenso positiv wie die Religion wertete der prominente Musiker auch die Wiedervereinigung Deutschlands: "Außerordentlich, daß Deutschland endlich vereinigt und die Geschichte korrigiert worden ist. Ich bin überwältigt!" Geradezu entsetzt äußerte sich Sir Menuhin über Goldhagens antideutsches Buch "Hitlers willige Vollstrecker". Er verurteilte das umstrittene Werk als "eine Schande".

Der Star-Geiger beschränkte sich freilich nicht auf markige Worte. Seine deutschfreundliche Haltung bewies er jahrzehntelang durch Taten der Verständigung und Nächstenliebe. Menuhins Vorliebe für Deutschland und seine Kultur kam nicht von ungefähr: der Musiker, der als Neunjähriger an der Manhattan Opera debütierte und kurz darauf bereits zum Symphonie-Orchester von San Francisco gehörte, befaßte sich schon in seiner Jugendzeit gründlich mit den deutschen Philosophen. Auch Beethoven war für ihn eine wichtige Brücke zur musikalischen Kultur Deutschlands. Als er im Alter von elf (!) Jahren eine Europa-Tournee unternahm – man schrieb das Jahr 1927 –, trat der "Wunderknabe" auch in Deutschland auf. Zwei Jahre später, kurz vor seinem 13. Geburtstag, spielte das Geigengenie in der Berliner Philharmonie, wo er drei Konzerte an einem Abend gab: Bach, Beethoven und Brahms. Bruno Walter, der Dirigent, schenkte dem jungen Musikanten ein Bild mit der Widmung: "Für den kleinen Jungen mit der großen Seele".

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Geigenkünstler bei über 500 Konzerten weltweit gefeiert; er beteiligte sich auch an Aufführungen für die alliierten Streitkräfte. Der Massenmord an den europäischen Juden erschütterte den Musiker jüdischer Herkunft, verführte ihn jedoch nicht zum Deutschenhaß. Im Gegenteil: der prominente Geiger trat 1947 nach einer Künstlerpause wieder an die Öffentlichkeit – und zwar "ausgerechnet" im zerstörten, von der Welt verachteten Deutschland. Zugunsten deutscher Vertriebener und Flüchtlingskinder verzichtete er auf das Honorar. Auch in schwerer Zeit schlug sein Herz für Deutschland und die Deutschen. Bis zu seinem Tod, der viele Menschen mit Trauer erfüllt, blieb die Liebe zu Deutschland für Yehudi Menuhin selbstverständlich


 
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