© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/99 19. März 1999


Roland Bell / Frieder Skibitzki: Kirchenasyl – Affront gegen den Rechtsstaat?
Falsch verstandene Humanität
Friedrich Kleinert

Erst jüngst wurde in einer von der katholischen Bischofskonferenz herausgegebenen "Argumentations- und Entscheidungshilfe" das Kirchenasyl wieder als Akt derNothilfe und letzte Hoffnung für Flüchtlinge verteidigt. Die befristete Aufnahme von ausreisepflichtigen Flüchtlingen in Kirchen und Gemeindehäusern diene dem Ziel, "dem der begründeten Befürchtung nach zu Unrecht abgewiesenen Flüchtling zu seinem Recht zu verhelfen". Die Gewährung von Kirchenasyl wird als die Folge einer Rechtswirksamkeit dargestellt, in der es immer wieder zu eklatanten Fehlleistungen der Behörden und Gerichte sowie Mängel bei der Durchführung des Asylverfahren mit zum Teil fatalen Folgen für die Betroffenen komme. Vom Glaubensethos her sei es daher unter Umständen legitim, die mangelnde Legitimität einer rechtsstaatlich getroffenen Entscheidung einzuklagen und von Abschiebungen bedrohten Personen Schutz zu gewähren. Das Kirchenasyl wird somit als eine "ultima ratio" verstanden, um den Vollzug rechtskräftiger Entscheidungen in letzter Minute noch zu verhindern.

Diese in ähnlicher Form von der evangelischen Kirche geteilte Stellung zum Kirchenasyls verfügt im rechtsstaatlichen System der Bundesrepublik Deutschland über keine Legitimation. Weder die Rechtsordnung noch das neue Kirchenrecht kennen die Institutionen eines Kirchenasyls. Auch die Entscheidungen im Asyl- und Ausländerrecht unterliegen in vollem Umfang rechtsstaatlichen Grundsätzen, die für jedermann gleichermaßen gelten. Dennoch zählt das Kirchenasyl zu den umstrittensten Fragen zwischen den Kirchen und dem Rechtsstaat, obwohl Deutschland weltweit das einzige Land mit einem in der Verfassung verankerten subjektiven Recht auf Asyl ist und es jedem Asylbewerber offensteht, die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Anspruch zu nehmen.

Die Autoren sind Mitarbeiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, den Befürwortern und Gewährern von Kirchenasyl die Praxis entgegenzuhalten. Insgesamt 16 Fälle von Kirchenasyl für kurdische Asylbewerber in verschiedenen Bundesländern, darunter auch Baden-Württemberg, werden auf die Vorwürfe gegen Behörden und Gerichte hin einer genauen Untersuchung unterzogen. Die Darstellung der tatsächlichen Sachverhalte macht deutlich, daß sich Beamte und Richter um die Wahrheitsfindung weitaus mehr Mühe machen, als die Verfechter eines Kirchenasyls bereit sind zuzugeben. In keinem einzigen der untersuchten Fälle lag tatsächlich eine politische Verfolgung vor. Mit dem Asylverfahren sei vielmehr versucht worden, "ein anders nicht oder nur schwerer erhaltbares Aufenthaltsrecht zu erlangen".

Das Kirchenasyl beschädigt nach Ansicht der Autoren durch falsch verstandene Humanität langfristig das rechtsstaatliche Asylverfahren. Es fördere ein wachsendes Mißtrauen der Bevölkerung in Recht und Gesetz und sei selbst inhuman, weil das selektive Herauspicken einzelner Fälle gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße. Die Gewährung von Kirchenasyl wird im Ergebnis als Affront gegen den Rechtsstaat gewertet, weil auch die damit verbundene Absicht, "Unrecht zu beseitigen und Flüchtlingen zu ihrem Recht zu verhelfen, ins Leere geht, da das geltende Asylverfahren kein Unrecht darstellt und der Rechtsweg in jedem Fall ausgeschöpft wurde und auch in Zukunft ausgeschöpft werden kann".

 

Roland Bell / Frieder Skibitzki: Kirchenasyl – Affront gegen den Rechtsstaat? Berlin-Verlag, Berlin 1998, 61 S., 44 Mark


 
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