© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/99 19. März 1999


Lafontaines Rücktritt: Sternstunden des deutschen Journalismus
Oskar sagt Tschüs
Frank Liebermann

Den römischen Bauern Cincinnatus erreicht die Nachricht beim Pflügen seines Ackers: er wurde in das höchste Staatsamt Roms erhoben. Ganz anders Oskar Lafontaine. Er überraschte die deutsche Öffentlichkeit mit seinem Rückzug ins Privatleben. Seiner Auskunft nach möchte er sich mit Frau und Kind der Landwirtschaft in seiner saarländischen Heimat widmen.

Es war ein schöner Tag. Die Sonne schien, ein laues Lüftchen wehte, die ersten Boten des Frühlings kündigten sich an. Auch im Saarbrückener Stadtteil Rothenbühl war das nicht anders. Dort versammelte sich eine muntere Schar von Schreiberlingen und verharrte mehrere Tage vor dem Haus des ehemaligen Finanzministers Oskar Lafontaine. Aus aller Welt waren sie gekommen, sogar aus den befreundeten Bundesstaaten von Europa. Antennen und Satellitenschüsseln reckten sich in Richtung Himmel. Alle kamen sie ihrer Informationspflicht nach.

Schließlich wollte die Menschheit wissen, warum der Oskar auf sein Ministeramt verzichtete. Hatte dieser doch einfach so das Handtuch hingeworfen, ohne seine Gründe der interessierten Öffentlichkeit darzulegen. Lange mußten die Kollegen ausharren.

Oskar Lafontaine ist es ja gewohnt, daß sich die Journalisten vor seinem Haus versammeln. Zum Beispiel nach der Niedersachsenwahl. Da verkündete er die Kandidatur von Gerhard Schröder und reichte den Journalisten Schnaps. Und diese Woche? Einfach nichts. Ohne Verköstigung mußten die Schreiber ausharren. Tagelang.

Was machen aber Journalisten, wenn es nichts zu berichten gibt? Schweigen sie? Selbstverständlich nicht. In solchen Situationen werden die besten Seiten der berichterstattenden Zunft nach außen gekehrt. Auch wenn nichts passiert, berichtet wird trotzdem. Sternstunden des Journalismus schlugen in dieser Zeit.

Begabte Fernseh- und Rundfunkjournalisten verkündeten in mehrminütigen Statements, was geschah: nichts. Oskar ließ sich nicht sehen. Kein Grund für die Journalisten-Meute zu verstummen. Schließlich waren sie da. Und man wußte ja, daß er zu Hause war. Darüber läßt sich schon mal zehn Minuten reden. Zehn Minuten mit Mutmaßungen, was er gerade tut. Trinkt Oskar Wein? Spielt er mit seinem Kind? Ißt er etwas? Solche Fragen bewegen den geschäftigen Journalisten.

Die Berichterstatter lassen sich in mehrere Kategorien einstufen. Als erstes fallen die präzisen Beobachter auf. Dieser Gattung Journalist entgeht nichts. "Oskar Lafontaine ist zu Hause. Sein Rücktritt am gestrigen Tag hat uns alle überrascht. Das Haus wird von Polizeibeamten hermetisch abgeschirmt. Noch hat er kein Statement abgegeben. Aber, ich habe vorhin am Fenster eine Bewegung gesehen. Es tut sich also etwas im Hause." Solche brillanten Einspielungen wiederholen sich im Stundentakt. "Noch ist nichts zu sehen, wir wissen aber, daß Oskar Lafontaine zu Hause ist." Weitere wichtige Hinweise: "Aus einem benachbarten Restaurant wurde etwas zu essen geliefert". Wir, die vor unserem kleinen Fenster zur großen weiten Welt sitzen, freuen uns über diese präzisen Informationen. Aber damit nicht genug.

Neben den präzisen Beobachtern gibt es aber auch eine zweite Kategorie von Reportern, die uns erheitern: die Kumpels. Kumpels von Oskar finden sich überall. Sie sprechen nicht vom Minister oder Parteivorsitzenden, sondern von "dem Oskar". Liebevoll wird er geduzt, so wird eine vertrauliche Nähe geschaffen, die sich auch auf uns Steuerzahler ausdehnt. "Als ich den Oskar vergangene Woche beim Empfang der rumänischen Botschaft getroffen habe, hat er mir schon so etwas angedeutet." Besonders beeindruckend auch, wenn Freunde des Politikers zu Wort kommen.

Der Informationssender NTV bemühte Erich Böhme. Dieser verwöhnte uns mit besonderem Detailwissen: "Ich habe den Oskar angerufen, aber es war nur der Anrufbeantworter dran. Vermutlich wird er mit seiner Frau eine gute Flasche Wein trinken oder im Elsaß einen saufen."

Toll auch der Westdeutsche Rundfunk (WDR). Der Kölner Regierungspräsident Antwerpes: "Oskar, ich werde dir einen Wein schicken." Und dann zu Bettina Böttinger: "Wissen Sie, der Oskar mag auch junge Weine." Solch Detailwissen beeindruckt.

Gänzlich anders agieren die Spekulanten. Ihr Blick schweift in die Zukunft, Spekulationen und Mutmaßungen werden selbstbewußt zum Besten gegeben. "Der Oskar war stinksauer über die Fotos von Gerhard Schröder." Oder: "Der Wirtschaft ist es erstmals gelungen, einen Politiker zu stürzen." Eigentlich brauchen die Journalisten den Gegenstand der Berichterstattung überhaupt nicht. Sie wissen schließlich schon von vorneherein, was Sache ist. Gerne werden auch Zeugen hinzugerufen, die mitspekulieren. Nachbarn, die ihren Hund Gassi führen, bekommen die Möglichkeit ihre Sicht der Dinge zum Besten zu geben. "Herr Lafontaine ist eigentlich ein ganz normaler Nachbar. Ich glaube, daß er sich nach diesem Schritt erleichtert fühlt."

Im Unterschied dazu gibt es noch die Sensiblen. Sie fühlen sich in die Psyche des anderen ein. "Was mag Oskar Lafontaine angesichts der Schlagzeilen fühlen?"

"Die Börse boomt, die Wirtschaft jubelt, und die SPD ist zerstritten. Eine schwere Zeit steht dem Saarländer bevor." Selbstverständlich darf auch nicht der Respekt vor dem "großen Schritt" fehlen. Nun ja, Oskar hat seine Wähler betrogen, der Wirtschaft geschadet und seine Partei in ein Fiasko gestürzt.

Soweit, so gut. Da kann man schon mal seinen Respekt zum Ausdruck bringen. Eines haben natürlich alle Kategorien von Schreiberlingen gemeinsam. Sie wissen gar nichts. Ihnen ist es von Donnerstag bis Sonntag gelungen, kontinuierlich keine Information zu senden. Und das stundenlang.

Erst am Sonntag gegen 10 Uhr war es dann soweit. Oskar betrat mit seinem Sohn Carl-Maurice den Balkon. Anders als der Kanzler trug er keinen 4000 DM Anzug. Im Gegenteil. Ähnlich wie Kanzler Kohl zog Oskar die schlichte Strickjacke vor.

"Macht mal schön eure Fotos", wies er die Wartenden an. "Und dann geht und laßt uns in Ruhe."

Dankbar folgten die Journalisten der Anweisung. Neckisch seinen Sohn auf der Schulter tragend grüßte er die Nachbarn, Carl-Maurice steckte den Journalisten die Zunge heraus. Lustig auch die gestammelte Erklärung am Sonntag.

Peinlich und benebelt sagte Lafontaine in zwei Minuten fünfzigmal "Mannschaftsspiel" und verschwand. Genauso wie die Journalisten.


 
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