© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/99 26. März 1999


Rot-Grün in der Krise: Die Koalitionspartner würden am liebsten die Scheidung einreichen
Wechselfieber in Bonn
Hans-Georg Münster

Man kann es sich natürlich einfach machen und die Auffassung vertreten, der Bonner "Kabinettsbösewicht" Jürgen Trittin müsse jetzt aus der Regierung fliegen, nachdem er das rot-grüne Reformprojekt inFrage gestellt hat. Eigentlich reicht es ja auch mit den Sonderwegen des grünen Umweltministers, der Engländern und Franzosen Lektionen über "höhere Gewalt" bei der Wiederaufarbeitung von Kernbrennstäben erteilen und die deutschen Atommeiler im Handstreich abschalten wollte.

Im Hamburger Magazin Stern hatte Trittin in einem Interview an den Grundsäulen der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder gerüttelt. Nach dem totalen Ausstieg des SPD-Vorsitzenden und Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine sah Trittin weitreichende Konsequenzen: "Rot-Grün als Reformprojekt ist tot", so der Umweltminister.

Noch weitreichender schienen die Konsequenzen zu sein, die Trittin mit Blick auf die eigene Partei formulierte: SPD und Union seien nach Lafontaines Ausscheiden zwei Volksparteien der Mitte, die kaum noch voneinander zu unterscheiden seien. Deswegen spreche "mittelfristig" für die CDU als Partner genau so viel oder so wenig wie für die SPD. Einziges Hemmnis für eine schwarz-grüne Zusammenarbeit ist für Trittin die Unions-Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.

Im sozialdemokratischen Teil des Regierungslagers wurden sofort Beruhigungspillen verteilt, oder es wurde mit Hohn und Spott reagiert. Er wünsche Trittin viel Spaß bei den Koalitionsverhandlungen mit CSU-Chef Edmund Stoiber, war von SPD-Fraktionschef Peter Struck zu hören. Hinter den Kulissen hieß es, Trittin sei einfach sauer gewesen, daß Innenminister Otto Schily in Verhandlungen mit der FDP über die Staatsbürgerschaft eingetreten sei.

Dabei hatte Schily konsequent grüne Positionen im Ausländerrecht (zum Beispiel die doppelte Staatsbürgerschaft als Regelfall für alle) geopfert, um die Zustimmung der bundesweit letzten sozialliberalen Länder-Koalition in Rheinland-Pfalz zu erheischen. Nach der für Rot-Grün verloren gegangenen Hessenwahl braucht Schily die Stimmen der Mainzer SPD/FDP-Regierung, um die Änderungen beim Staatsbürgerschaftsrecht durch den Bundesrat zu bringen.

Trittin habe, so heißt es aus Schröders Umgebung, Taktik und Strategie verwechselt. Schily habe keinesfalls Vorbereitungen für den Koalitionswechsel der SPD zu den Liberalen getroffen, sondern Mehrheiten für ein wichtiges Projekt besorgen wollen. Doch so leicht ist Trittin nicht zu nehmen. Der grüne Abgeordnete Albert Schmidt hat in diesem Zusammenhang eine interessante Bemerkung gemacht: Mit Lafontaine habe der "letzte große Ideologe" die politische Bühne Deutschlands verlassen. Für den Saarländer, der um jeden Preis seine Ideale von Gleichheit und Gerechtigkeit verwirklichen wollte und dabei Mentor der ähnliche Vorstellungen vertretenen Grünen war, gibt es in der SPD keinen Ersatz. Dort regieren jetzt Manager-Typen wie Schröder, Hombach oder Müntefering.

Damit hat Trittin recht: Das rot-grüne Reformprojekt ist tot. Das kann auch positiv gesehen werden, wie es der grüne Abgeordnete Schmidt tut: SPD und Grüne seien jetzt dabei, eine ganz normale Koalition zu werden. Der irrsinnige Druck, in Monatsfristen die Welt der Bundesbürger auf den Kopf zu stellen, ist mit Lafontaine verschwunden.

Eine ganz normale Koalition kann man aber auch mit anderen Parteien bilden. Das hat Trittin, als Ex-Kommunistenfunktionär mit Strategie besser vertraut als jeder nur im Rhythmus von Legislaturperioden denkende bürgerliche Politiker, schneller begriffen als andere. Die SPD wird sich unter Schröders Regie verändern. Positionen der alten Linken werden aufgegeben, die "Neue Mitte", bisher nur rhetorisches Beiwerk für Wahlkämpfe, könnte mit Inhalten gefüllt werden. Schon fürchtet Stoiber, das Opponieren in Bonn gegen Schröders Neue Mitte könne für die Union verdammt schwer werden.

Und Trittin fürchtet, daß die nächste "ganz normale" Koalition ohne seine Partei gebildet werden könnte. Die Grünen haben sich programmatisch und personell an die Sozialdemokraten gekettet. Allein Außenminister Joschka Fischer käme als potentieller Partner für die Union infrage. Was Trittin wollte, war der Versuch, das Sprengen von Ketten wenigstens anzudenken.

Natürlich will die Union auch auf längere Sicht keine Koalition mit den Grünen. Schäuble und Stoiber würden, falls sie die Chance bekämen, am liebsten in eine Große Koalition unter Schröder einsteigen. Oder sie würden das Bündnis mit der FDP neu auflegen wollen. Damit bleiben Trittin und seine Partei in den Ketten der SPD. Schröder kann das Katz-und-Maus-Spiel mit seinem Umweltminister fortsetzen ("Mehr Fischer – weniger Trittin"). Aber vielleicht lobt Schröder ihn noch nach Brüssel in die EU-Kommission weg. Dann bliebe Trittin erspart, was seiner Partei eines Tages drohen könnte: die politische Endlagerung.


 
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