© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/99 26. März 1999


Muslime in Deutschland: Eine Tagung in München
"Wir sind da!"
Philip Plickert

Am Anfang drehte sich alles um ein kleines Stück Stoff: das Kopftuch. Es war an Frankreichs Schulen, zuletzt auch in Baden-Württemberg, zu einem Politikum geworden. Die Süddeutsche Zeitung und die Evangelische Akademie Tutzing hatten in den Münchner Gasteig zu einer Podiumsdiskussion eingeladen zum Thema "Mit und ohne Kopftuch – Identität von Muslimen in Deutschland". Signalisieren verschleierte muslimische Frauen in Deutschland damit nur ihr religiöses Bekenntnis, oder hat das Tuch eine weiterreichende politische Bedeutung? Nein, das selbstbewußte Tragen des Schleiers ermögliche eine freie Bewegung in der Männergesellschaft, behauptete Nigar Yardim. Die junge Frau aus Duisburg spricht Deutsch ohne jeden Akzent, ist im "kulturellen Austausch" tätig und bestens integriert. Sie inkarniert den Wunschtraum eines jeden Ausländerbeauftragten, doch ist sie auch repräsentativ für die Mehrheit der hier lebenden Muslime?

Der Pariser Politologe Gilles Kepel berichtete von der Gratwanderung des französischen Staates in der Frage des Kopftuchtragens. Zuletzt hätten die Organisationen der französischen Islamisten aber selbst die Lust an dem Streit verloren. Der evangelische Bischof Ludwig Kohlwage assistierte mit dem Zauberwort vom Dialog, der alle Probleme lösen werde. Toleranz sei aber auch "keine Einbahnstraße". Die "Diskussion" entwickelte sich also prächtig, da alle einer Meinung schienen. Bis sich Udo Steinbach, der Direktor des Deutschen Orient-Instituts, mit einem Paukenschlag zu Wort meldete: "Ist der Islam denn überhaupt kompatibel mit unserem Staatsverständnis, unserer Vorstellung von Pluralität, Säkularität und Menschenrechten? Ich behaupte: Nein". Seit dem 13. Jahrhundert ziehe sich als roter Faden durch alle islamischen Kommentare, daß Muslime kein Gesetz über dem Koran dulden dürften. Das islamische Gesetz trete also in Konkurrenz zu unserer Verfassung.

Cornelia Sonntag-Wollgast, parlamentarische Staatssekretärin im Bonner Innenministerium, zweifelte diese Aussagen nicht an. Aber mit solch deutlichen Worten fördere Steinbach ungewollt die Fremdenfeindlichkeit in der Bevölkerung. Professor Steinbach wollte sich jedoch "keinen Sand in die Augen streuen" lassen, legte sogar noch eins drauf: Religionen hätten nicht die Tendenz, friedlich zusammenzuleben; dies habe die Geschichte gezeigt. Er selbst habe ganze Aktenordner mit integrationsfeindlichen Äußerungen der islamischen Organisationen in Deutschland.

Stimmt gar nicht, meinte Nigar Yardim, die Muslime seien sehr geduldig und hätten viel guten Willen gezeigt. Lediglich sei ihre Sprache noch nicht so "diszipliniert", und in der Moschee drückten sich die Vorbeter manchmal etwas mißverständlich aus. Aber was sollte ihr Nachsatz andeuten, die Muslime der dritten und vierten Generation seien nicht mehr so geduldig?

Professor Kepel interpretierte die mangelnde Bereitschaft sich einzugliedern als Gegenreaktion auf die bisherige Einbürgerungspraxis in Deutschland – zum Entzücken der SPD-Frau Sonntag-Wollgast! Die Muslime könnten sich nicht integrieren, da sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht bekommen hätten. Die Aussicht auf den Doppelpaß habe große Bewegung in die islamische Gemeinschaften gebracht, pflichtete ihm die junge Muslime bei. Nun käme man aus den "Hinterhöfen" heraus, damit die Deutschen merkten: "Wir sind da!" Auch hier widersprach der Orient-Experte Steinbach energisch: Zwar habe er in früheren Publikationen die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft befürwortet, jedoch sei diese kein Allheilmittel. Er befüchtete nun sogar, daß radikal-islamische Gruppen die neuen Möglichkeiten der Einbürgerung nutzen werden, um verstärkt missionarisch tätig zu sein. Nach wie vor erhielten die Imame und Muezzins ihre Ausbildung ausschließlich im Ausland. Und den Einfluß der fundamentalistischen Koranschulen auf die Kinder dürfe man nicht unterschätzen. Deshalb sei es an der Zeit, an deutschen Schulen islamischen Religionsunterricht einzuführen, selbstverständlich nur in deutscher Sprache. Dieser müsse akademischen Standards entsprechen, wozu eine entsprechende theologische Fakultät gegründet werden sollte. Vielleicht sei dies auch ein Beitrag zur Modernisierung des erstarrten Islams weltweit. Dieser sei jedoch kein Monolith, sondern es gebe die verschiedensten Strömungen. Die Entwicklung im Iran unter Chatami beispielsweise stimme ihn sehr hoffnungsvoll.

Auch Bischof Kohlwage hoffte auf die Wandlungsfähigkeit der Religionen. Ihm gehe es um ein "Aufeinanderzugehen", die "versöhnte Verschiedenheit". Der Verweis auf den Münsteraner Frieden, den er dabei mehrfach bemühte, überzeugte nur mäßig. Zwischen Christentum und Islam gibt es halt ein paar mehr Unterschiede als zwischen Katholiken und Protestanten.

Angesichts von über sieben Millionen Ausländern und knapp drei Millionen Muslimen in Deutschland ist die Frage nach dem richtigen Weg zu Integration brisant. Wie viele Zugeständnisse soll die christliche Mehrheit dabei machen: Kopftuch an der Schule, eigener Religionsunterricht, getrennter Sportunterricht für Jungen und Mädchen, demnächst völlig getrennte Schulen? Die ständig steigende Zahl der Moscheen, die auffälligen Minarette oder den Gebetsruf über Lautsprecher empfinden viele als Bedrohung. Auch dem Bischof bereitete es ein wenig Bauchschmerzen, einerseits den islamischen Religionsunterricht zu bejahen, andererseits zu sehen, wie "schwachbrüstig" der christliche Glaube derzeit ist. Eine berechtigte Sorge, fand Professor Steinbach und brachte es auf den Punkt: "Sind wir dabei, das christliche Abendland zu verlieren?" Die Innenpolitikerin Sonntag-Wollgast schien diesem keine Träne nachzuweinen. Immerhin war sie zu der Einsicht gekommen, "Multi-Kulti hört sich zwar gut an, ist jedoch noch utopisch". Es sei schon ein Erfolg, wenn die verschiedenen Kulturen friedlich miteinander oder nebeneinander leben könnten. Die Ablösung vom Heimatland werde für die Emigranten immer schwieriger, da die Heimat ständig greifbar bleibt durch eigene Zeitungen und Fernsehsender, eigene Geschäfte und Gasthäuser. Die Notwendigkeit zur Integration bestehe nicht mehr in gewissen "geprägten Stadtvierteln", eine nette Umschreibung für das häßliche Wort Ghetto. Damit hat die Staatssekretärin im Innenministerium bereits vor jenem Phänomen kapituliert, welches ihr oberster Dienstherr unbedingt zu vermeiden sucht: die Entstehung von "Parallelgesellschaften".


 
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