© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/99 26. März 1999


Fußball ist kein Spiel
von Achim T. Volz

ie weltweite Migrationsproblematik nimmt von Tag zu Tag an Schärfe zu. Der Lebensstandard der christlich geprägten Länder, die der industriell-marktwirtschaftlich profitablen Selbstorganisation fähig sind, wirkt wie ein Magnet. Freilich wurde der zigmillionenfache Zustrom Landfremder in der Regel durch wirtschaftliche Expansionsnotwendigkeiten befördert, wo nicht gar überhaupt erst angestoßen. Dazu kam nicht bloß hierzulande eine Aufsteigermentalität bei Eltern, deren Sorge es war und ist, daß es ihre "Kinder einmal besser haben" mögen als sie selbst: ganze Beschäftigungssektoren werden für in der südlichen Hemisphäre Angeworbene geräumt, das Ganze verstärkt durch massive Verkürzung der Arbeitszeit sowie den Einfluß der vom Vor-45er-Zerrbild zum Nach-45er-Vorbild mutierten Völker-Tiegels USA.

Länder in materiell wenig beneidenswerter Lage laden ihren Geburtenüberschuß auf Gesellschaften mit Exportüberschuß ab und dürfen somit ihre eigenen Regime innenpolitisch entlasten – ein kaum gewürdigtes "Ruhmesblatt" der Alt-BRD! Der Wind aber hat sich gedreht: gerade etablierte Landnehmer ("Immis") machen mittlerweile Front gegen jede weitere Zuwanderung, und dies massiver als politisch apathisch gewordene Autochthone, zumal die der Kohl/Schröder-BRD.

Eine Branche aber befleißigt sich antizyklischen Verhaltens – das showsportliche Berufsfußballerwesen, hierzulande als ‘Deutscher Fußball-Bund’ organisiert unter dem Aachener Egidius Braun, einem der Flakhelfergeneration angehörigen Kartoffelgroßhändler, notorischen Gutmenschen. Er und sein mittlerweile geschaßter Bundestrainer Hans-Hubert Vogts dachten um: nach drei mit (zumindest phänotypisch deutsch anmutenden) Deutschen errungenen Weltmeisterschaftstiteln sollte weiteres Heil von Fremden kommen. Man ging fußballerisch auf Neugermanen-Klau und bürgerte ein – nach Farbnuancen geschickt gestaffelt (man kennt ja seine Südkurve...): Zunächst ein hellhäutiges südafrikanisches Lockenköpfchen namens Dundee alias "Tor-Krokodil", dem freilich, kaum in Richtung DFB/BRD eingebürgert, der Torhunger völlig verging. Heute kickt er mit deutschem Paß irgendwo in England.

Einen Farbton dunkler war die Haut jener brasilianischen Perle namens Rink, der ihr Heidelberger Urahn zum Verhängnis wurde; auch Paolo, im Schnellverfahren mit DFB/BRD-Paß ausgestattet, büßte mit dem Wechsel zu solch "historisch belasteter" Nationalität einen Großteil seiner sportlichen Fähigkeiten ein. Seine Rückkehr zum Zuckerhut steht in wenigen Wochen an. Als weitere potentielle DFB-Weltmeister figurieren unter Vogts, neuerdings unter von Ribbeck, der "Rostocker" bzw. hispano-italienische Welschschweizer Oliver Neuville und Mustafa Dogan, ein Ruhrpott-Türke, der am Bosporus kickt.

Befeuert wird diese Art des gemeinen Germanenklaus durch den vormaligen Stuttgarter CDU-Minister Mayer-Vorfelder, der den dortigen VfB seit einem Vierteljahrhundert führt. Der Daimler-Chrysler-VfB unterhält die mit Abstand exotischste Legionärstruppe der Liga, zu 71 Prozent laufen Kicker auf, die der nationalen DFB-Auswahl laut neudeutschem Sozialtherapeutenjargon "nicht helfen können". Besagter VfB-Vordenker verstieg sich zu der Behauptung: "Wenn wir 1918 nicht die Kolonien verloren hätten, kickten in unserer Nationalelf heute auch nur Spieler aus Deutsch-Südwest und Togo." Was will uns das angesichts dreier Weltmeisterschaftstitel, dreier Vize-Weltmeisterschaften, dreier Europameisterschaftstitel sowie zweier Vize-Europameisterschaften bedeuten, die allesamt mit autochthonen Kräften errungen wurden? Hechelt da ein "Konservativer" dem Zeitgeist hinterher – uff de schwäb’sche Eisenbahne...?

ZEIT-Nachbetern mag es trivial klingen, dennoch gilt nach wie vor, daß die Dinge sich hart im Raume stoßen: Wo bereits einer ist, kann kein anderer mehr hin. Die gesamtgesellschaftliche "Entwicklung" greift nun auch nach dem Profifußball. Ein Arbeitsplatz, der mit Urdu besetzt ist, kann von Hans oder Christa nicht eingenommen werden. Im Strafvollzug verhält es sich, gottlob und leider zugleich, umgekehrt: Wo Yildriz sitzt, sitzt eben kein Jürgen. Die flagrante Landnahme erstreckt sich nun auf den lukrativsten Profisportsektor; die Top-Stars der internationalen Szene sieht man zwar nur in Mailand und Madrid - in Stuttgart, Kaiserslautern, Rostock und Freiburg kassieren die Mittelmäßigen. In ihren Herkunftsländern mögen sie Stars gewesen sein, für die großen Vereine aber reicht es nicht; hierzulande verstopft solche Legionärsbrut dem deutschen Nachwuchs den Zugang zur Wettspielpraxis als dem einzigen Weg zu internationaler Klasse. Abermals stellt sich die Frage nach Nutzen und Kosten solchen Migrationswesens, zumal in einem kulturell so stark durchmodellierten Siedlungsraum, wie es das zentrale Europa darstellt. Auf wessen Kosten findet diese Landnahme statt? Wer sind die Nutznießer? Eines von vielen Tabus, eine unter den BRD-Bedingungen geistiger Selbstfesselung öffentlich nicht diskutierbare Fragestellung – im angeblich freiesten Deutschland aller Zeiten.

Dem von Sat 1 gebauchpinselten Fan aber scheint es zu behagen, strömt er doch (noch) rekordverdächtig häufig ins Stadion. Doch am Horizont zeichnet sich bereits das Ende dieser Art "Boom-Liga" ab: Wenn selbst ein "Automann" namens Gerhard Schröder "mehr Herz statt Geld" anmahnt, simultan zur Spielstärke der Nationalelf das TV-Zuschauerinteresse an ihren Niederlagen absinkt, die völlig überzogene Eintrittspreise entrichtenden Anhänger sich mit denen auf dem Rasen nicht mehr identifizieren, weil sie deren Namen nicht mehr aussprechen können, wenn aus regional verankerten Traditionsvereinen Börsengrößen werden, dann wird womöglich das Ende der Eckfahnenstange bald erreicht sein. Die Branche wirtschaftet mittlerweile noch unseriöser, noch illusionärer als unsere öffentlichen Haushälter. Geld regiert – wo nicht die Welt, so zumindest die Euro-Liga der künftigen Fußballbörsianer. Der Wurstfabrikant und Bayern-München-Großmogul Uli Hoeness steht prototypisch für die hiesige Ausgabe der Sanz, Tapie, Agnelli und was dergleichen schwerreiche Windbeutel mehr sein mögen. Der Fußball als Vergnügen der arbeitenden Männermassen ist am Ende, längst wurde er umcodiert zur Langeweileverminderungs- und Sublimationspraktik freizeitverwöhnter Angestelltengesellschaften. Im Protest gegen diese manipulative Verfremdung im Kapitalinteresse bildeten sich Ansätze einer authentischen rechten Jugendkultur (u.a. "Frankfurter Adler" bzw. "Dortmunder Borussenfront"); panisch reagierend ließen die Herrschenden jede Menge linksradikale Sozialarbeiter in "Fan-Projekten" auf die jungen Fußball-Patrioten los; der DFB reagierte mit Kriminalisierung bzw. "Ausgrenzung" etlicher Tausend.

In Zukunft regiert das internationale Börsenkapital ein weiteres gesellschaftliches Segment. Der schlimmste aller Fundamentalismen, der des totalen Geldwerts, ergreift auch den beliebtesten Massensport via "Privatisierung". Denn der DFB ist am Ende der Gelackmeierte: als nützlicher Idiot wird er den "Entwicklungen" freie Hand gelassen haben und auf den Status eines Brauchtumswarts reduziert sein. Die Bundesligen der Profis werden internationalisiert wie alles und jedes in der BRD, mit Ausnahme Hitlers und seiner Folgelasten; Profite werden privatisiert, lästige Kosten dem Standort-Staat aufgebürdet. Schon vermag der mafiöse Weltverband Regierungen zu erpressen: die Milliardeneinnahmen seiner Weltmeisterschaften will er von Steuern freigestellt sehen, soll das betreffende Bewerberland sich überhaupt Hoffnungen machen dürfen, das imageträchtige, gleichsam metapolitische Großspektakel abhalten zu dürfen.

Der Abstand zwischen großen und kleinen, armen und reichen Fußballspielveranstaltungs-GmbHs nimmt, wie in den übrigen Gesellschaftssegmenten, eklatant zu; ohne Rücksicht darauf, daß die Attraktivität des Spiels aus einer Chancengleichheit herrührt, sucht man die Kapitalisierungs- und Profitmöglichkeiten immer umfassender auszuschöpfen. Möglichst viele "Vereine" wollen und sollen international spielen, im Fernsehen erscheinen und damit ans große Geld gelangen. Unterdessen aber wird Aufmerksamkeit zu einer knappen Ressource, redundant zusammengestellte Werbefilmchen kreuzen den Zuschauer zurück zum Schwachsinnigen, dem Reklame-Scharlatane ihren ‘Nürnberger Trichter’ aufsetzen dürfen. Die heillose Symbiose zwischen Profisport und TV verwandelt sich in ein unentwirrbares Knäuel aus fassadenhafter Aufmotzerei, endlosem Geschwätz und bewährten Regeln, Einrichtungen und Strukturen modelnden Profitinteressen sportferner "Anleger". So scheuchte jüngst ein Londoner Börsenmagnat Europa mit seiner Absicht auf, eine eigene, quasi "private" Profiliga zu installieren; um die festländischen Großvereine für die Flucht aus ihren nationalen Ligen bzw. Verbänden zu gewinnen, köderte er sie mit äußerst vagen Aussichten auf Milliarden-Tantiemen aus Fernsehrechten.

Wie bei so vielem in den "modernen Gesellschaften" wird auch die Durchkapitalisierung des Fußballhochleistungssports das Verblassen seiner Reize bedeuten; er wird im unendlichen Ozean buchhalterischer Langeweile, im weißen Rauschen der Kalküle bleicher Schmalbrüstiger untergehen. Der Kitzel des Pokalmodus, das Drama der Verlängerung, die Elfmeterentscheidung werden Vergangenheit sein – zugunsten der endlosen Fortsetzung des Immergleichen an vielen einnahmeträchtigen Spielterminen. Die liberale Ideologie des unendlichen Diskutierens, des Nichtentscheidens, des Offenlassens, der Primat von Moral und Profit legt sich wie eine Teerdecke nun auch über den Fußball. Schon kann man über eine dubiose "Fairplay-Wertung" in die Europapokalwettbewerbe gelangen: Können und Kampf Nebensache – Gutmenschlichkeit und Hypermoral Hauptsache.

Bald wird es keinen Bundesligaprofi mehr geben, der nicht "europäisch" spielt. Die sich epidemisch verbreitende Legionärsmentalität (maximales cash bei minimalem Leistungsabruf) führt im Verbund mit inflationärem Spielemodus und TV-Übertragungsfrequenzen dazu, daß Langeweile und Überdruß um sich greifen werden. Was sein Gutes hätte, ginge der genervte Fußballfreund dann gelegentlich zum Amateurliga-Meisterschaftsspiel um die Ecke, zahlte in der heimischen Seelenbinder- oder Kelbassa-Kampfbahn.

Am Ende der "Entwicklung" mag es so weit kommen, daß es auf keines dieser unablässig angepfiffenen, abgefilmten bzw. "übertragenen" Spielchen mehr ankommt; nichts, was nicht morgigentags repariert werden könnte, keine Niederlage endgültig, kein Versagen definitiv. Unter slchen Bedingungen werden epochale Matches mit mythischem Mehrwert unmöglich, schon zwei Tage später kann sich jeder "rehabilitieren", die Stadionkamera, der Drittschiedsrichter – sie räumen alle Unklarheiten per Videomikroskop aus, schon morgen kann der Sieger eine weitere Zigtausenderprämie einstreichen, der Jungstar sich für einen anderen Börsenwert empfehlen, kann statt für Opel nun für die Bayer AG in Australien repräsentieren, will sagen gegen Buschfußballer antreten, damit auch dort das Wissen um Aspirin per Leibchenaufdruck zum Allgemeingut der vom Brummschädel "danach" geplagten Konsumenten werde. Dank einer agilen ägyptisch-nigerianisch-georgischen Mittelfeldachse und gewieften Marketingkonzepten aus Leverkusen. Den Fußballfreund erwartet ein glanzvoll elendes Dilemma: Er, vor dem Unbehagen an der modernen Rationalisierungswelt zur Fußballromantik geflohen, muß nun erleben, wie ihm auch dieses letzte öffentliche Refugium genommen wird. Die unaufhaltbare Verwertungslogik des Kapitals unterwirft sich nun auch die Ränder der Lebenswelt, entstellt sie mehr und mehr und beraubt sie ihrer tröstenden Potenz.

Müßte Sepp Herberger, letzter Trainer der Fußballnationalmannschaft des "Großdeutschen Reiches", dies heute miterleben, als kritischer Zeitzeuge der bereits angebrochenen Malaise, bliebe er gewiß bei seiner hintersinnigen Analyse: "Die Leute gehen so gern zum Fußball, bloß weil sie nicht wissen wie es am Ende ausgeht." Dann aber fügte er, die Stirn in tausend Falten gelegt, hinzu: "Was aber, wenn es immer weniger darauf ankommt, wie es am Ende ausgeht?"

 

Achim T. Volz schrieb zuletzt auf dem Forum über das Auftreten und Scheitern der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Frankreich (JF 30/98).


 
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