© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/99 26. März 1999


Erinnerung: Vor zehn Jahren starb Sulamith Wülfing
Malerin der Zwischenwelten
Magdalena S. Gmehling

"Lassen Sie dem Künstler seine Geheimnisse. Nehmen sie sein Kunstwerk so, wie es Ihnen sich gibt." Mit dieser Bitte um Diskretion versuchte Sulamith Wülfing 1985 auf ihrer letzten groen Ausstellung ihr Leben und ihr Werk abzuschirmen, ihre Privatsphäre zu schützen. Vor zehn Jahren, am 20. März 1989, starb sie im Alter von 88 Jahren in Wuppertal.

Die Nationalsozialisten betrachteten ihre Bilder als "entartete Kunst" und verbrannten sie öffentlich in Königsberg. Mancher deutsche Soldat trug im Krieg ihre Postkarten wie einen Talismann im Tornister. Man hängte die Engel der Sulamith Wülfing Neugeborenen über die Wiege und gab sie Verstorbenen mit in den Sarg. Die Nachfrage der Besatzungsmacht nach ihren Bildern ließ den einschlägigen Handel sprunghaft ansteigen. Die feinsinnigen Gebilde wurden um den ganzen Erdball verbreitet. Es gibt Mappen, Kalender, Märchenbücher von Sulamith Wülfing und Schmuckteller-Reproduktionen auf teurem Porzellan. Ihren ersten Engel zeichnete die Künstlerin im Alter von vier Jahren. Als Malerin des Feinstofflichen und als Intuitive, der es gegeben war, die Gesetze des Übernatürlichen verhalten auszudrücken, darf man ihr eine besondere Sensibilität für die Beziehung zwischen dem Schönen und Guten nachrühmen. Das sichere Empfinden der wesenhaften Verbindung von Form und geistiger Schau kennzeichnete das Schaffen der Künstlerin lebenslang. Die bedrängenden, detailgenauen und aussagekräftigen Bilder einer magisch schwebenden Welt nahmen unter ihren begnadeten Händen Gestalt an.

Sulamith Wülfing wurde 1901 in Wuppertal-Elberfeld geboren. Nach einer behüteten Kindheit und Jugend studierte sie an der örtlichen Handwerker-und Kunstgewerbeschule. Der Sohn des Direktors, Otto Schulze, wurde nicht nur ihr Ehemann, sondern gleichzeitig ihr Manager, Verlagsleiter, ja die ordnende und bestimmende Triebkraft ihres Lebens. 1943 floh sie vor den schweren Bombenangriffen mit Mutter und Kind nach Rheinhessen und weiter ins Elsaß. Wie durch ein Wunder entging ein großer Teil ihres Werkes der Zerstörung. Nach 1945 nahm Sulamith Wülfing mit ihrem Mann, Otto Schulze, wieder die künstlerische und verlegerische Arbeit auf.

Obwohl die Künstlerin ein streng abgeschiedenes, ja fast klausurhaft einsiedlerisches Leben führte, gab es Kontakte zu zeitgenössischen Schriftstellern und Malern. Zu nennen sind der nach 1945 als vermißt geltende Schriftsteller Max Jungnickel, die Langenburger Pfarrfrau Agnes Günther, deren Roman "Die Heilige und ihr Narr" Sulamith Wülfing illustrierte. Ferner der Holzschneider Ernst von Dombrowski, dessen Werke sie sehr bewunderte, die Malerin Hanna Nagel und das Multitalent Ruth Schaumann. Befreundet war Sulamith Wülfing mit den Familien Fidus und Vogeler. Auch hatte sie Verbindungen zu den Kreisen um Krishnamurti. In den fünfziger Jahren inspirierten sie der Wuppertaler Bühnenbildner Heinrich Wendel und der Dirigent Hartmut Klug. Gelegentlich kam es vor, daß ein hoher Abgesandter des Vatikan unvermittelt um eine lange Unterredung mit ihr nachsuchte.

Sulamith Wülfing stand der modernen Kunst nach eigener Aussage "ablehnend wie ein Klotz" gegenüber. Sie war der Ansicht, es sei eine Sünde, den Menschen "Steine statt Brot" zu reichen. Ihre besondere Fähigkeit, nicht nur das Charakteristische menschlicher Gesichter, sondern auch das Wesen der abgebildeten Person zu erspüren und festzuhalten, ließ keinen Raum für experimentelle Spielereien, geschweige denn für die Mißachtung ästhetischer Gesetze. Immer wieder betonte sie, nur das gelten zu lassen, "was aus der Liebe" käme. Oft wurde sie als religiöse Künstlerin bezeichnet. Dies mag insofern gelten, als ihre Bilder jenseits aller Konfessionen angesiedelt sind. Der ergreifende Christuszyklus, den sie lange Zeit geheim hielt, belegt ihre eigene Aussage, daß an der historischen Person des Jesus von Nazareth kein Künstler vorbei sehen kann.

Ihr frühes Schaffen ist allerdings weit mehr in den phantastischen Zwischenwelten beheimatet. Gnomen, Geister, Hexen, Nymphen, Elfen waren ihr bildreiche Wirklichkeit, die sie in ihren filigranhaften, oft wie hingehaucht erscheinenden Blättern enthüllte. Mit zunehmendem Alter wurden ihre Bilder ernster und todesbezogener. Die Eleganz und die visionäre Kraft ihrer Engeldarstellungen sind unbestritten. Sie selbst hatte oft das Gefühl als flögen selige Scharen mit weitem großen Flügelschlag in alle Welt. Das Schöne war für sie ein geistiges Kraftfeld, welches seine Berechtigung in sich trug.

Ihr Credo faßte Sulamith Wülfing in den bemerkenswerten Sätzen zusammen: " Woran ich fest glaube, ist aber die Unsterblichkeit der Seele – die Individualität, die uralt ist und noch sehr viel vor sich hat an Entfaltung, Weiterentwicklung. Wie sich das aber alles jenseits unseres Wissens abspielt und abgespielt hat, das bleibt – jedenfalls jetzt noch – Geheimnis."

Es verwundert keineswegs, daß sich heute auch esoterisch ausgerichtete Strömungen um eine Neubelebung des Werkes von Sulamith Wülfing bemühen.


 
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