© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/99 26. März 1999


Arnulf Baring: Es lebe die Republik, es lebe Deutschland! Stationen demokratischer Erneuerung 1949 bis 1999
Gegen negativen Sonderweg Deutschlands
Detlef Kühn

Dem Berliner Historiker und Juristen Arnulf Baring ist vor zwei Jahren mit seiner in Buchform gestellten Frage "Scheitert Deutschland?" ein aufrüttelnder Bestseller gelungen. Jetzt hat sich sein Verlag anläßlich des 50jährigen Bestehens der Bundesrepublik Deutschland entschlossen, von dem 1932 Geborenen eine Sammlung von Aufsätzen und Buchteilen, die seit 1962 erschienen und noch aktuell sind, herauszugeben. Damit liegt ein Lesebuch vor, das jüngeren Menschen und darüber hinaus besonders Lesern in den neuen Bundesländern in fesselnder, leicht lesbarer Weise zeitgeschichtliches Wissen über die letzten 60 Jahre nahebringt.

Beginnend mit den Erfahrungen des zwölfjährigen Baring bei der Zerstörung Dresdens im Februar 1945 – einem Ereignis, das er zu Recht als Kriegsverbrechen bezeichnet –, über die schaurigen Erlebnisse beim Einzug der siegreichen Roten Armee in Berlin im April, die über Jahre hinweg das persönliche Verhältnis aller Betroffenen zu "den Russen" belastet haben, den Aufstand vom 17. Juni 1953 bis hin zu der ausführlichen Schilderung aller wesentlichen Etappen der alten Bundesrepublik bis 1990, lernt der Leser Fakten, Hintergründe und nicht zuletzt Motive und Bewertungen der handelnden Politiker und ihrer Wähler kennen. Daß dabei das Schwergewicht auf Westdeutschland gelegt und die DDR meist pauschaler abgehandelt wird, ist wohl unvermeidlich und ergibt sich aus dem Kenntnisstand und den Publikationsmöglichkeiten, die der Autor bei der Abfassung dieser Beiträge hatte.

Richtig spannend wird es noch einmal in dem letzten Kapitel "Woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen". Es nimmt ein Fünftel des gesamten Buches ein und bringt ein aktuelles Resümee der geschichtlichen Erfahrungen mit Nutzanwendungen für die Zukunft. Hier wird sogar noch die Hessenwahl berücksichtigt. Wie schnell aber scheinbar langfristig angelegte Machtstrukturen überholt sein können, wird deutlich, wenn man die Beurteilung der Rolle des SPD-Vorsitzenden und Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine liest, der bei Erscheinen des Buches bereits zurückgetreten war.

Von bleibender Bedeutung ist allerdings der Aufruf Barings an die Deutschen, trotz aller Belastungen durch die Vergangenheit (Auschwitz!) endlich ein unbefangenes Verhältnis zur eigenen Existenz – und das heißt vor allem zur eigenen Geschichte – zu entwickeln. Mit deutlicher Kritik an den 68ern stellt Baring fest: "Wir sollten uns keinen Selbsthaß, keinen negativen Nationalismus einreden lassen." Durch die Wiedervereinigung seien wir "in die gesamteuropäische Einbettung zurückgekehrt" (und nicht mehr nur westeuropäisch ausgerichtet, wie es in der Zeit des Kalten Krieges unvermeidlich war). Es gebe keinen negativen Sonderweg Deutschlands von Luther bis Hitler. Zum Beispiel sei Deutschland vor 1914 keineswegs zielbewußt auf den Krieg zugesteuert: "Die Spannungen des Reiches vor allem mit Frankreich und Rußland, dann aber auch mit Großbritannien, lagen auch an den anderen." Auch heute noch gehe es in Europa nach wie vor nicht so harmonisch zu, wie die Deutschen sich das in ihrer Naivität vor 1990 eingebildet hätten: "Selbst enge Verbündete spähen uns mit Hilfe der Geheimdienste aus, um deutsche Firmen auf den Weltmärkten auszustechen."

Vor allem plädiert Baring dafür, bewußt die Bereiche der deutschen Geschichte in das öffentliche Bewußtsein zu rücken, mit denen man sich ohne Probleme identifizieren könne. Die Beschränkung der historischen Betrachtung auf die Zeit des Nationalsozialismus sei schädlich und liege weder in unserem noch im Intersse unserer Nachbarn. Wer unvoreingenommen sei, könne "viel Positives" in der deutschen Geschichte finden, meint Baring.

Baring wünscht sich einen nüchterneren Umgang auch mit den Russen, die "nur partiell als Europäer gelten können (…) Die bisherige exklusive Beziehung zu einer Leifigur, die Kameraderie zwischen Helmut Kohl und Boris Jelzin, war kurzsichtig, hat auch Deutschland nichts gebracht, aber viel Geld gekostet." – Baring sieht den Nationalstaat noch lange nicht am Ende. Wir selbst müßten unser Land in Ordnung bringen, die Europäisierung oder gar Globalisierung werde daran nichts ändern: "Unser Aufschwung, wenn er denn kommt, wird sich, wie überall anderswo, im nationalen Rahmen vollziehen."

Im Umzug nach Berlin sieht Baring eine Chance und die Notwendigkeit, unser Verhältnis zu unserer eigenen Geschichte zu verbessern, wobei er dringend rät, sich dabei auch das Verlorene in den früher deutschen Vertreibungsgebieten neu vor Augen zu führen und innerlich anzueignen.

Berlin sei nicht nur eine "heitere und aufregende Stadt", die junge Leute von der Love Parade oder Fußballspielen her kennen – Traditionen, an die man, wie Bundeskanzler Schröder meint, anknüpfen könne. "Das wird nicht reichen", stellt Baring nüchtern fest. Man müsse sich bei diesem Ortswechsel schon mehr anstrengen und sich auch auf unsere lange Geschichte "so oder so neu einstellen".

Schließlich könnten die Deutschen dauerhaft nur dann "eine gute Meinung" von sich selber haben, wenn auch "öffentliche Emotionen" möglich seien. Man dürfe alle Politik nicht nur daran messen, "wieviel Geld gemacht und bewegt wurde". Auch seelische Kräfte spielten dabei eine entscheidende Rolle. Und dies führt Baring letztlich zu dem Rat, dem französischen Beispiel zu folgen und auch Deutschland und sein Staatsform freudig zu bejahen: "Es lebe die Republik, es lebe Deutschland". Sein Wort in Gottes und der Wähler Ohr!

 

Arnulf Baring: Es lebe die Republik, es lebe Deutschland! Stationen demokratischer Erneuerung 1949 bis 1999, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999, 348 Seiten, 39,80 Mark


 
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