© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/99 02. April 1999


CDU: Der Dresdner Abgeordnete Arnold Vaatz gibt Denkanstöße
Politik gegen Meinungsumfragen
Ines Steding

Nach gut einem halben Jahr rot-grüner Bundesregierung existiert in Bonn eine Endzeitstimmung wie nach 16 Jahren der alten Koalition. Doch alleine auf die punktuelle Unzufriedenheit reumütiger Wechselwähler zu setzen, hält der CDU-Politiker Arnold Vaatz für zu wenig. Vielmehr fordert der am 27. September erstmals und direkt in den Bundestag gewählte Dresdner Abgeordnete ein klares programmatisches Koordinatensystem, in dem einem subsidiären Staatsverständnis Vorrang vor den verbreiteten versorgungsstaatlichen Ansprüchen gegeben wird.

Bei dieser oft gehörten Aussage, die schon rituellen Charakter hat, wird mancher ermüdet abwinken. Aufhorchen läßt aber, was dann kommt: Wenn der eigenverantwortliche Mensch das Ideal ist, so Vaatz, dann gelte es, das politische Handeln darauf abzustellen, und zwar auch gegenläufig zu Umfrageergebnissen. "Die CDU surft lieber auf der Spitze der Meinungsumfragen", sagte Vaatz.

Enttäuscht wird, wer es gerne hat, daß im Personenregister geblättert wird. In den verdichteten, in freier Rede vorgetragenen Sach- und Faktengebäuden à la Vaatz dominiert das Geschehen über die Akteure, letztere sind oft als eine Art Zutat präsent. So fand er folgerichtig zur CDU, weil er schon als DDR-Bürgerrechtler mit der christdemokratischen Politik eher übereinstimmte, als mit derjenigen von SPD und FDP.

Nun ist der Mathematiker Vaatz, Jahrgang 1955, ein Profi und Routinier im Metier, der eine abwechslungsreiche politische Vita vorzuweisen hat, jedenfalls kann er bei entsprechenden Fragen danach weit ausholen. So bei seinem abendlichen Besuch einer örtlichen CDU-Gliederung in Wachtberg, einer bevorzugten Einfamilienhausgegend vor den Toren Bonns. Welcher Abgeordnete räumt schon während der Bonner Sitzungswochen und außerhalb von Wahlkämpfen einen Termin frei, um vor etwa 50 Personen in einem schummrigen Gasthaus-Hinterzimmer – die Glühbirnen sind hier vermutlich seit den siebziger Jahren defekt – Rede und Antwort zu stehen.

Den Anstoß zu der Veranstaltung gab der Bonner Ministerialbeamte und stellvertretende Vorsitzende der örtlichen CDU, Heinrich von Uechtritz. Ihn und Vaatz verbinden bis heute die ersten Nachwende-Jahre. Nur im Zeitraffer sei hier ausgeführt: Vaatz hat ein Leben in der DDR-Leben mit Bespitzelung, Verrat, Pressionen und Zwangsarbeit hinter sich. Aktiv in der "Feierabendrevolution", leitete er nach dem 89er Umbruch den von der letzten Volkskammer bestimmten sächsischen Aufbaustab für eine neu zu bildende Landesregierung, der personell durch knapp zehn Bonner Beamte, darunter von Uechtritz, unterstützt wurde. In der Folge bekleidete Vaatz das Amt des sächsischen Staats- und Umweltministers und steht nun vor der Hürde, von einem prominenten Landesgröße zum Bundespolitiker zu mutieren.

Ob ihm seine Tätigkeit im Europa-Ausschuß des Bundestags ein Sprungbrett sein wird? Die Erwartungen, die sich auf ihn richten, sind groß, und die EU-Materie gibt genügend Reibungsflächen, die der ins Präsidium der CDU vorgerückte "Hoffnungsträger" sich nicht wird entgehen lassen. Vor der Wachtberger CDU jedenfalls gab er seine Einschätzung des Ost-West-Verhältnisses zum Besten, bis in dessen letzte Verätselung hinein würde einem Soziologie-Oberseminar der Stoff so bald nicht ausgehen. So kritisierte er das geltende Scheidungs- und Unterhaltsrecht, legte der CDU eine tabubrechende Diskussion über das Familienrecht nahe und charakterisierte das untergegangene DDR-Recht diesbezüglich mit den Worten "nicht keine Freiheit, sondern andere Freiheit". Moderner werden solle seine Partei, indem sie das allzu große Moralisieren über die Lebensform unterläßt: Der vierfache Familienvater befürchtet, daß konservative Alleinlebende oder auch Geschiedene vor den Kopf gestoßen werden könnten, wenn die Union sich allzu stark als Familienpartei präsentiert. Vor allem in den neuen Bundesländern sei die Geschiedenenquote, bedingt durch frühe Eheschließungen, die staatlich begünstigt wurden, besonders hoch.

Überhaupt liegt ihm die Überzeugungsarbeit am Herzen, wozu er eben "eine klare Sprache, die nicht vor Unbekanntem kapituliert" bevorzugt. Und er zieht beispielhaft die umstrittene Bemerkung des Ex-Regierungssprechers Otto Hauser heran: Dessen postitulierte Kausalität zwischen entsprechendem Wahlverhalten und Transferleistungen hätten "die Ostdeutschen besser verstanden".

Scharf kritisierte Vaatz auch die Medien: Vor allem die personell kaum ausgewechselte Lokalpresse in den neuen Bundesländern habe eine zerstörerisch wirkende Deutungshoheit inne; Worte und Worthülsen wie "Menschen zweiter Klasse", "Kolonisierung", "Siegerjustiz" und andere würden "wie eine Stalinorgel hineingeschleudert".


 
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