© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/99 02. April 1999


Frankreich I: Die "Grande Nation" steht im Krieg gegen Serbien hinter den USA
Die Unterwerfung wird kaschiert
Charles Brant

Die militärische Intervention Frankreichs gegen Serbien ist in verschiedener Hinsicht eine "Premiere". Auf die geschlossene Fassade der ersten Tage folgen nun Vorbehalte und Gegenpositionen.

Die französischen Regierungen haben sich bislang immer auf historische Bande besonnen und sich davor gehütet, an der Verdammung Serbiens teilzunehmen. Um die militärische Intervention zu rechtfertigen, bemühten Jacques Chirac und Lionel Jospin ein humanitäres Alibi. Diese Einigung auf die Ideologie der Menschenrechte ist bedeutsam. Sie bestätigt, daß weder die Rechte noch die Linke mehr zu politischen Selbstdefinitionen in der Lage sind, geschweige denn zu Weltentwürfen. Bedeutet dies das Ende der französischen Ausnahmestellung? In jedem Fall ist diese Gleichschaltung mit Washingtoner Positionen ein Ausdruck der Unterwerfung Frankreichs unter amerikanische Befehle. Weit von den gaullistischen Visionen entfernt, die die waghalsige Perspektive eines europäischen Europas eröffneten, das sich vom Atlantik zum Ural erstreckt, entwerfen die Franzosen nicht mehr die Welt. Statt dessen folgen sie.

Die Debatte in der Nationalversammlung war eine reine Formsache. Sicherlich muß man die mechanischen Erklärungen Lionel Jospins genauso erwähnen wie die differenzierte Stellungnahme des ehemaligen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing, der die einzige Gegenstimme innerhalb einer allgemeinen Leere auf der Rechten laut werden ließ. Man darf natürlich auch die Vorbehalte der Kommunisten nicht vergessen, die ihren Widerspruch zum Ausdruck brachten. Insgesamt spiegelt sich in der nationalen Repräsentanz die politische Klasse Frankreichs: ohne Glanz und Leidenschaft, konform.

Dieselben Begriffe bieten sich an, um die Haltung der Medien zu beschreiben. Seit dem Beginn der Operationen scheinen die Fernseh- und Radiojournalisten auf die nichtssagenden Presseerklärungen der NATO angewiesen zu sein. Man spricht von "humanitären Militärschlägen". Die Presse betet offizielle Stellungnahmen nach. Auf tiefschürfende Analysen wird zugunsten einer Wiederholung manichäischer Schemata verzichtet: die "guten" Albaner, die "bösen" Serben. Von Mazedonien ist selten die Rede, von Bulgarien noch weniger, und erst recht nicht von Albanien, dieser terra incognita. Von Alain Finkielkraut bis Bernard-Henri Lévy vertreiben die "Intellektuellen" ihre endlosen moralischen Litaneien. Sie vermeiden Polemiken, als wollten sie nicht an dem Konsens rütteln. Ein etwas lebendigerer Austausch – einer der wenigen – fand zwischen Max Gallo, einem Vertreter der national-republikanischen Linken, und André Glucksmann statt, dem geläuterten Maoisten, der sich inzwischen zum Spezialisten für Völkermorde und Reinkarnationen des Faschismus gemacht hat. Unter den seltenen eindeutigen Stellungnahmen sind die von Jean-Marie Le Pen und Bruno Mégret zu nennen, die sich beide der Vereinnahmung Frankreichs durch die USA widersetzen. Aber dank ihrer Streitigkeiten finden sie sich an den Rand gedrängt.

Dieses Klima änderte sich mittlerweile zum Ende der vergangenen Woche – ein Resultat der ersten Angriffe? Premierminister Lionel Jospin hat erklärt, daß "Frankreich sich nicht mitreißen lasse" und hinzugefügt, die "Militäraktion sei kein Selbstzweck". Außenminister Hubert Védrines, den man in Rambouillet so arrogant erlebt hat, scheint von seinen Überzeugungen Abstand zu nehmen. Selbst er lehnt den Einsatz von Bodentruppen ab. Innenminister Jean-Pierre Chevènement hat, wenn auch schüchtern, anklingen lassen, daß er eine diplomatische Lösung bevorzugt.

Am Samstag und Sonntag kam es in Paris zu Demonstrationen gegen die militärische Intervention. Dabei wurden die zweihundert Demonstranten, die die kommunistische Partei mobilisierte, von Tausenden von Serben überrollt, die unter ihrer Flagge marschierten. Am folgenden Tag endete eine Versammlung auf dem Vorplatz des Trocadéro mit Krawallen vor der amerikanischen Botschaft auf der Place de la Concorde, die im Zeichen von Wurfgeschossen, brennenden amerikanischen Fahnen und Verhaftungen standen. Das Fernsehen zeigte allseits die "bösen" Serben. Man muß hinzufügen, daß diese Demonstrationen nicht an das heranreichten, was aus Italien oder Großbritannien zu sehen war.

Ist die französische Haltung erschlafft? Nichts ist weniger zutreffend. Am Montag veröffentlichte die Presse Umfragen. Eine davon, die der CSA für die Boulevardzeitung Le Parisien libéré durchführte, sagt aus, daß 46 Prozent der Franzosen gegen die Bombardierung Serbiens sind (während 40 Prozent sie befürworten), 46 Prozent der Franzosen gegen die Beteiligung Frankreichs sind (während 45 Prozent ihr zustimmen) und 65 Prozent der Franzosen Präsident Milosevic für die Situation verantwortlich machen. Diese Ergebnisse sind keineswegs widersprüchlich. Sie zeigen einerseits den Einfluß der anti-serbischen Propaganda in der Kosovo-Frage, bestätigen aber auch die Kluft zwischen den Franzosen und ihrer politischen Klasse.

Präsident Jacques Chirac, der sich dieser Entwicklung durchaus bewußt ist, fühlte sich dazu verpflichtet, am Montagabend mit einem salbungsvollen Fernsehauftritt in sie einzugreifen. Seine Rede, die mehrere Tage nach dem Beginn der Bombenangriffe auf Serbien erfolgte, vermittelte eine gewisse Verlegenheit. Indem er sich zum wiederholten Male auf "Gesetze der Moral und Menschlichkeit" berief, richtete Jacques Chirac seine Anschuldigungen gegen Slobodan Milosevic und sein Regime, das er für "200.000 Tote" und Akte der "Barbarei" verantwortlich machte. Er bemühte sich deutlich, die serbische Regierung von dem serbischen Volk zu trennen – ein Anzeichen, daß der Appell an die französich-serbische Freundschaft durchaus nicht wirkungslos blieb.

Im selben Zug ermahnte Jacques Chirac die Franzosen, die "Moral" der an den Operationen beteiligten Soldaten zu unterstützen. Diese Appelle an die Rührseligkeit gingen der Ankündigung fortgesetzter Bemühungen der französischen Regierung voraus, "eine diplomatische Lösung zu finden", was einem Eingeständnis der Sackgasse gleichkommt, in die die Bombenangriffe geführt haben. Ein weiteres Indiz: die ständige Erinnerung an die von "den Europäern, den Amerikanern und den Russen" unternommenen Anstrengungen. Gleichzeitig wurden die Franzosen über die Initiative in Richtung des russischen Premierministers unterrichtet. Hier zeigt sich das pädagogische Ziel Jacques Chiracs: Er suchte nämlich die unerfreuliche Unterwerfung unter den politischen Willen der USA zu kaschieren.

Das erste Mißbehagen ist offensichtlich. Solange die eropäische Frage so sehr die Tagesordnung beherrscht und die politischen Konstellationen in Unruhe versetzt, haben die Franzosen gewisse Probleme damit, zuzugeben, daß Europa ohnmächtig ist, einen Konflikt auf seinem eigenen Boden zu lösen. Gewitztere Köpfe fragen sich, wo plötzlich die Westeuropäische Union geblieben ist, deren – bislang geringfügige – Rolle man gerne zu einem militärischen Arm Europas ausweiten würde.

Das ist jedenfalls der Tenor der Kritiken einiger französischer Verantwortlicher an dem Führungsstab der NATO. Eine der bemerkenswertesten ist die des Armeegenerals Jean Cot. In einem Beitrag, der am 27. März in Le Monde veröffentlicht wurde, bestritt der ehemalige Kommandant der FORPRONU nicht nur die Effektivität der Luftangriffe, sondern ging auch auf die essentielle Frage ein, indem er hinzufügte: "Auf jeden Fall täte Europa einen großen Schritt in Richtung Einheit, wenn die Europäer sich des eklatanten Widerspruchs zwischen Zielen und Mitteln im Kosovo bewußt würden und sich endlich von der unverständlichen Hemmung befreien würden, die sie bisher glauben ließ, daß sie ohne die Amerikaner nicht handeln können."

In seinem Grab dürfte de Gaulle diesen Worten Beifall spenden. Denn man kann sich gut den Sarkasmus vorstellen, mit denen er die Umtriebe seiner jämmerlichen Nachfolger ohne Mut und Vorstellungskraft beobachten muß, die nach der Pfeife eines William Clinton tanzen. Man mag auch den bitteren Jubel nachvollziehen, mit dem er am Vorabend des 50. Jahrestages der atlantischen Allianz die Nachricht aufnehmen kann, daß die NATO sehr wahrscheinlich in Frankreich erneut an Glaubwürdigkeit verlieren wird.


 
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